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Die vierte Gewalt: Ist sie noch zu retten?

Wie sieht die Zukunft der Medien aus? Auch in der Schweiz ist ihre Unabhängigkeit bedroht. Ein Einblick in den Alltag von Journalistinnen und Journalisten.

Text: Tereza Fischer / 05. Feb. 2018

Es gehört zu den glücklichen Fügungen im Leben von Filmemacher_innen, wenn der Kinostart des eigenen Films zeitlich perfekt zu einem aktuellen und drängenden gesellschaftspolitischen Thema passt. Obwohl Dieter Fahrer mehrere Jahre an seinem Dokumentarfilm über die Entwicklung der Medien gearbeitet hat, trifft er damit nun kurz vor der No-Billag-Abstimmung ins Schwarze. Es geht ihm nicht nur um die Digitalisierung der Medien und ihre Folgen sowie um die Wandlung der Rezipient_innen in User_innen, die, wie es Fahrer ausdrückt, selbst von den Medien «ge-used» werden. Es geht vor allem um die Wahrung der demokratischen Strukturen dank öffentlichen Medien und ihrer sozialen und polititschen Kontroll- und Vermittlungsfunktion. Nicht umsonst trägt der Film den Titel Die vierte Gewalt.

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Die Protagonisten dieses Films heissen «Der Bund», «watson», «Echo der Zeit» und ­«Republik». Eine Stimme erhalten sie von engagierten Redakteur_innen, die die jeweilige Haltung und Praxis verkörpern. So steht die Berner Zeitung für eine lange Tradition des klassischen Zeitungsjournalismus. Schon Fahrers Eltern lasen schon vor sechzig Jahren täglich den «Bund» und tun es heute noch. In der Redaktion stapeln sich Dossiers auf den Schreibtischen, das Wissen materia­lisiert sich hier noch in Papierbergen. Sie stehen für die sorgfältige Recherche, für das Stellen der richtigen Fragen. «Ich muss nichts wissen, ich darf fragen», schwärmt Marc Lettau, ein Lokaljournalist aus Überzeugung. Genauso gründlich arbeitet die Redaktion von «Echo der Zeit», der prestigeträchtigen Sendung des öffentlichen Radiosenders SRF. Als Kondensat aus den verschiedenen Sequenzen, die einen Einblick in Redaktion und Studio bieten, lässt sich das Ringen um Qualität herauslesen, das sich wiederum im Finden von präzisen Formulierungen manifestiert. Solche Prozesse benötigen Zeit. Und Zeit ist Geld, das im Mediensektor immer weniger wird.
Den beiden traditionellen Medien sind die Onlinepublikationen «watson» und «Republik» gegenübergestellt. Während Letztere noch dabei ist, ein Versprechen zu verkaufen, wächst «watson» bereits seit 2013 und dehnt sich demnächst auch nach Deutschland aus. Gleich in der ersten Szene sticht bei der Redaktionssitzung das Werbeplakat im Hintergrund ins Auge: «Katzenbilder sind auch News.» Das ist mehr als ein witziger Slogan, denn wie Rafaela Roth postuliert: Das Ziel ist es, gelesen zu werden. Was Roth durchaus als verständliche Vermittlung von komplexeren Inhalten und von solidarischem Journalismus meint, gilt hier aber in allen Bereichen, denn Traffic, also die Besucher­aufkommen, ist für ein Gratisonlineportal die wichtigste Währung, ob bei eigenen Reportagen oder dem «native advertising», der Werbung, die als redaktioneller Beitrag verpackt ist.
Die unmittelbare Zukunft der Medien verkörpert das Onlinemagazin, das sich programmatisch «Republik» benannt hat. Fahrer kann hier nicht den Redaktionsalltag zeigen, sondern «nur» die Vorbereitungen eines ambitionierten Projektteams, das sich nichts weniger vorgenommen hat, als eine Qualitätspublikation zu lancieren, die dank Abonnements ganz ohne Reichweitenstress auskommt und das Ziel hat, den Journalismus und damit auch die Demokratie zu retten. Ein Vorhaben, das offensichtlich auf fruchtbaren Boden fällt, wie das enorm erfolgreiche Crowdfunding bewiesen hat. Es ist allerdings ein anderer Boden, als der, den «watson» klickwirksam bearbeitet.

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Fahrer hat für die weitgehend wertfreie Darstellung der Medienentwicklung einen persönlichen Zugang gewählt, ein Vorgehen, das sich im Schweizer Dokumentarfilm gerade grosser Beliebtheit erfreut. Was aber gewinnt er damit? Er stellt uns zum einen seine hochbetagten Eltern, die treu den «Bund» lesen, vor. Damit schafft er einen emotionalen Anknüpfungspunkt und einen weiteren Zeithorizont für seine Darstellung, ohne ins Archiv steigen zu müssen. Die Aufnahmen der Eltern, die ein ganz anderes Zeitgefühl haben als die «newsgetriebenen» Redaktionen, bilden den Ruhepol in den Gegenüberstellungen der Institutionen. Fahrer findet noch einen zweiten Kontrapunkt, den er zwischen die Redaktionsporträts montiert. Dank «watson» entdeckt er im Internet Livestreams. Dieser «Teppich aus Alltag», die fixen und ununterbrochenen Aufnahmen von Überwachungskameras bieten ihm einen faszinierenden Einblick auf die ganze Welt. Man kann zusehen, wie nichts geschieht. Es sind ehrliche Bilder ohne Autorschaft, ohne Gewichtung, ohne Meinung, frei von jeder Dringlichkeit. Sie sind das Gegenteil von der Praxis, Nachrichten zu pushen und Meinungen statt Fakten und Analysen zu publizieren.
Dieser subtile visuelle Kommentar passt zu Fahrers unaufgeregtem Dokumentarfilm, der nichts anderes bietet als ein gut recherchiertes Thema, ohne aufdringlichen Meinungsjournalismus und Kata­s­trophenszenarien. Natürlich entgeht uns nicht, dass die vor Optimismus sprühende Sitzung der ­«Republik»-Redaktion in einem idyllischen Vorortgarten einem journalistischen Paradies gleicht. Hier wird ein Stück weit die Hoffnung vermittelt, dass die vierte Gewalt nicht kurz vor der Abschaffung steht. Es ist aber kein abschliessendes Statement, vielmehr lässt sich diese Medienentwicklung ausserhalb des Kinos direkt weiterverfolgen: Am 15. Januar 2018, kurz bevor der Film ins Kino kommt und diese Filmbulletin-Ausgabe erscheint, geht die «Republik» online.

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Die Macht, die Medien früher hatten und damit die Demokratie eines Landes sicherten, war es, aufzuklären und aufzudecken und damit den Bürger_innen Wissen und Orientierung zu vermitteln, das sie handlungsfähig macht. Die vierte Gewalt selbst vermittelt Wissen, das den Zuschauer_innen am 4. März 2018 bei der Abstimmung um die No-Billag-Initiative nützlich sein könnte.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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