Midsommar

Ari Aster
Auch die lichtdurchflutete Weite Nordschwedens kann beklemmend sein. Zumindest für drei Anthropologiestudent_innen, die Mittsommerrituale studieren wollen, aber in die Fänge einer sektenähnlichen Gemeinschaft geraten.
Es ist noch gar nicht so lange her, seit der amerikanische Regisseur Ari Aster mit Hereditary Furore machte. Im Sommer 2018 war das. Eine grausame Familientragödie schlug in einen übernatürlichen Horrorfilm um, die Spannung baute sich langsam auf, die Veränderungen geschahen schleichend. Der Gefährdung einer Familie folgt nun die Gefährdung einer Gruppe von Freunden, diesmal nicht in der Enge und Düsternis von Gebäuden (man erinnere sich an die Miniaturmodelle von Häusern und Wohnsituationen, die die Mutter in Hereditary herstellt), sondern in der lichtdurchfluteten Weite Nordschwedens, wo es im Sommer niemals dunkel wird. Auch das kann beklemmend sein.
Wie Hereditary beginnt Midsommar mit dem schockierenden Tod geliebter Menschen, ein Trauma, das die Protagonistin schnell hinter sich lässt, um sich in ein anderes Umfeld, sowohl sozial als auch physisch, zu stürzen. Dani hat soeben durch einen grausamen Unfall ihre Schwester und ihre Eltern verloren. Florence Pugh, die man aus Lady Macbeth kennt, spielt sie in einer Mischung aus Schüchternheit und Trauer, die später in Angst, Aggressivität und Zorn umschlägt. Ihr Freund Christian ist, seiner mangelnden Sensibilität wegen, kein grosser Trost, zumal er mit seinen Kommilitonen Josh und Mark auf Betreiben von Pelle in eine kleine schwedische Kommune reisen möchte. Hier wollen die drei Anthropologiestudenten ein seltenes Mittsommerritual studieren, das nur einmal alle neunzig Jahre gefeiert wird. In seiner emotionalen Hilflosigkeit lädt Christian zum Unwillen der anderen Dani ein, mitzukommen.

Der Empfang in der einsam gelegenen Kommune im Norden Schwedens ist freundlich, von nun an nimmt sich der Film sehr viel Zeit, Umgebung, Alltag und Gebräuche zu beschreiben und zu zeigen: die volkstümliche Kunst im Schlafsaal, die farbenfrohen Kleider der Mädchen und Frauen, die gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten an ellenlangen Tischen, die symmetrisch angeordnet im Freien stehen. Fast hat man den Eindruck, einer Idylle beizuwohnen. Doch dann schleichen sich kleine Irritationen in die Erzählung ein. Was macht der Bär dort im Käfig mitten auf der Wiese? Warum werden den Freunden ohne ihr Wissen Drogen verabreicht? Warum will Christian, zu Josh’ grossem Ärger, ausgerechnet jetzt seine Magisterarbeit über Mittsommerrituale schreiben? Es kommt noch schlimmer: Die vier Freunde müssen hilflos mit ansehen, wie zwei Mitglieder der Gemeinde von einem hohen Felsen springen und bis zur Unkenntlichkeit entstellt unten aufschlagen. Was als Fest der Liebe und Glückseligkeit begonnen hat, nimmt eine unheimliche Wendung, die das sonnendurchflutete Paradies in eine Hölle verwandelt. Flucht unmöglich.
Nicht entkommen können, gefangen sein im öffentlichen Raum, ohne Zäune, ohne Fesseln – diese beklemmende Prämisse erinnert an einen anderen Horrorfilm: The Wicker Man, jenes lange Zeit vergessene Meisterwerk des Mysteriösen und Makabren. Auch dort spielte der Konflikt zwischen christlichem Glauben und heidnischem Kult eine grosse Rolle, mit der Einsamkeit auf einer schottischen Insel war die Ferne von der Zivilisation etabliert. Der provokative, bizarre, erotische und beklemmende Ton von The Wicker Man überträgt sich auf Midsommar – ohne die Handschrift Asters anzutasten.

Fast zweieinhalb Stunden nimmt sich der Regisseur für die Einführung der Figuren, ihre Veränderung, für Beobachtungen, Beschreibungen, Begegnungen. Immer tiefer zieht er uns in einen ganz eigenen Kosmos, dessen Fremdheit immer ungemütlicher wird. Aster interessiert sich dabei für kleine Schattierungen: Wenn beim Mittagsmahl die zahlreichen Männer und Frauen wie auf ein geheimes Kommando Messer und Gabel in die Hand nehmen, ist das keine normale Handlung, sondern ein irritierender Moment, der zum schleichenden Unwohlsein der Zuschauer_innen beiträgt. Die Möglichkeit zur Flucht entpuppt sich als Illusion, es häufen sich Bilder brutaler Gewalt und blutigen Gores, die in ihrer Plötzlichkeit, Beiläufigkeit und Direktheit stets etwas Verstörendes haben. Nicht einmal der Sex verheisst Erlösung: Die erotischen Avancen, die eine schöne junge Frau Mark macht, strahlen eher Gefahr aus als Lust, und bevor er ahnt, was sie im Schilde führt, ist es auch schon zu spät.

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