The Farewell

Lulu Wang
Eine Hochzeitsfeier, die gleichzeitig eine Verabschiedung ist. Die Welt fällt auseinander, um sich neu zusammenzufügen.
«Ha! Ha!» tönt es aus dem Off, während wir Ausschnitte eines belebten Innenhofs sehen. Eine Frau hängt Wäsche auf, die Männer haben es sich mit Qigongkugeln auf dem Sofa gemütlich gemacht. Was transkribiert als Lachen gelesen werden könnte, sind laut und scharf ausgestossene Atemübungen, Teil einer Leibesertüchtigung. Die Grossmutter der Protagonistin Billi übt täglich im Hof, um Gifte aus dem Körper zu schaffen, wie sie ihrer Enkelin erklärt. Sie weiss allerdings nicht, dass es tatsächlich noch etwas Anderes in ihrem Körper gibt, das heraus sollte, weiss nichts von ihrem Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium – denn das hält ihre Familie vor ihr geheim. Sogar die Ärzte sind an dieser Lüge beteiligt. Ganz selbstverständlich. Nur Billi kann nicht überzeugt bei dieser Unwahrheit mitmachen, genauso wenig wie ihr die Übung gelingt, die ihr die Grossmutter zeigt. Ihr «Ha, ha» tönt eher wie ein Witz.
Doch zum Lachen ist Billi nicht zumute. Sie ist mit ihrer Familie aus New York, wo sie seit ihrem sechsten Lebensjahr lebt, nach China zurückgereist – vordergründig, um an der Hochzeit ihres Cousins teilzunehmen. Die übereilte Heirat nach nur drei Monaten Beziehung scheint den Bräutigam nicht wirklich glücklich zu machen. Wohl weil es für alle vor allem darum geht, der Grossmutter so etwas wie ein Abschiedsfest auszurichten, ohne dass sie es weiss. Während der Onkel Billi erklärt, warum die Familie für die Grossmutter die emotionale Bürde tragen muss, sagt sie zwar nach jedem seiner Sätze «Ich weiss», begreifen kann sie es aber nicht wirklich. Sie bemüht sich, nichts zu verraten, doch so wie Awkwafina sie in sich zusammengesackt und schlurfend spielt, merkt man ihr die inneren Widerstände nur zu gut an. Sie ist in den USA sozialisiert worden, spricht nicht mehr gut chinesisch. Der Grossmutter fühlt sie sich jedoch sehr nah und verbindet mit ihr Erinnerungen an eine glückliche Kindheit vor der Emigration. Sie ist eine Entwurzelte, die weder in den USA noch in China ganz zu Hause ist, die sich in New York mit wenig Erfolg als Filmemacherin versucht und in der Heimat wie eine Touristin wirkt.

Lulu Wangs bittersüsse Komödie, die unaufgeregt eine herzzerreissende Familiengeschichte erzählt, basiert auf eigenen Erlebnissen der Regisseurin. Sie erzählt von einem Culture Clash, der Ang Lees The Wedding Banquet ins Gegenteil verkehrt: Nicht die Eltern verstehen die fremde Kultur in der neuen Heimat ihrer Kinder nicht, sondern das Kind kehrt in die Heimat der Eltern zurück und versteht ebenso wenig. So tut sich Billi schwer mit der Performance, an der alle anderen so souverän und selbstverständlich teilnehmen.
Es ist nachvollziehbar – und sehr vereinfachend –, dass der Verleih für die Presse nur Bilder zur Verfügung stellt, die jeweils die ganze Familie darstellen. Genau dieses Gefühl des starken Zusammenhalts vermittelt auch der Film. Er variiert im Gegensatz zur Einförmigkeit des Promomaterials seine Bildsprache subtil und ohne Klischees. Billi steht anfangs ausserhalb, während die Familie als Einheit erscheint, oft um den mit Essen reich gedeckten Tisch versammelt. Was jedoch stärker auffällt, sind Bilder, die beinah zufällig kadriert wirken. Die Präzision liegt in dieser scheinbaren Beiläufigkeit. Die Figuren bewegen sich in den Bildausschnitt hinein oder aus ihm hinaus, als wäre die Kamera nicht an ihrem Tun interessiert. Doch genau darum werden ihre Bewegungen zueinander und voneinander herausgestellt. Oder anders betrachtet: Als würden sie eine Bühne bespielen, wird damit auch ihre Performance betont, die Lüge gegenüber der Grossmutter in jeder Einstellung aufs Neue wiederholt.
Viele Bildgestaltungen erinnern zudem an traditionelle chinesische Malerei, in der die Leerstellen von den Betrachter_innen mit eigenen Vorstelllungen gefüllt werden können und in denen der einzelne Mensch nicht im Zentrum steht. In The Farewell sind die Bilder flächig gehalten, sodass immer wieder solch prägnante Leerstellen entstehen. Eine Person allein im Bild wirkt isoliert und aus dem Lot, ob dem leeren Bildraum über ihren Köpfen erscheinen auch Paare etwas verloren. Neben Billi tut sich mehr als einmal eine Lücke auf, die nur von den anderen geschlossen werden kann. Umgekehrt lernt Billi, dass auch sie die ihr manchmal fremde Welt komplett machen kann.

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