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The Kindergarten Teacher

Eine Frau meint es gut, verliert dabei jedes Mass und wird zur Gefahr. Ein kleiner, beklemmender Film mit einer grossen Maggie Gyllenhaal.

Text: Philipp Brunner / 05. Feb. 2019

Von den Gyllenhaal-Geschwistern ist Maggie die ältere und weniger bekannte. Während ihr Bruder Jake deutlich früher in grösseren Parts zu sehen war, musste sie lange mit Nebenrollen vorliebnehmen. Das änderte sich spätestens 2014, als sie in Hugo Blicks Miniserie The Honourable Woman das vielschichtige Porträt einer Frau lieferte, die umso näher an ihre eigenen Abgründe gerät, je mehr sie Gutes tun will. Nun verkörpert sie in The Kindergarten Teacher, dem Zweitling von Sara Colangelo, die New Yorker Vorschullehrerin Lisa – eine Figur, die mit der Figur der ehrenwerten Nessa Stein aus der Serie einiges gemeinsam hat.

Freilich ist das Milieu jetzt ein komplett anderes: War Nessa noch die wohlhabende Philanthropin, die einem weltumspannenden Imperium vorstand, arbeitet Lisa in einem ganz und gar unglamourösen Kindergarten, wo sie Fünfjährigen das Alphabet beibringt. Auch ihrem Privatleben ist der Glanz abhandenge­kommen: In ihrer Ehe vereinsamt, von ihren Teenagerkindern kaum beachtet, ist Lisa so bedürftig wie die kümmerliche Sonnenblume, die sie im Fenster des Schulzimmers platziert. Der Abendkurs in kreativem Schreiben, den sie belegt, ist keine Hilfe: Trägt sie eine ihrer Schriftproben vor, erntet sie nachsichtiges Lächeln.

 

Als sie in der Schule zufällig mitbekommt, wie einer ihrer Schützlinge spontan ein Gedicht fabriziert, ändert sich schlagartig alles. Es ist wie ein Erweckungserlebnis: Erschüttert vom Potenzial des Jungen beginnt sie ihn umgehend zu fördern – und kommt noch im selben Augenblick vom Weg ab. Denn von nun an lässt sie den kleinen Jimmy nicht mehr aus den Augen und auch nicht mehr in Ruhe. Sie stürzt sich förmlich auf ihn, überfordert ihn mit populärwissenschaftlichen Überlegungen zu literarischen Perspektiven und Ähnlichem. Zunächst zelebriert sie ihre Entdeckung noch mit heiligem Ernst, feiert jede Äusserung des Wunder­kindes als «Werk», das es sorgsam zu bewahren gilt. Doch ihre Anteilnahme wird im Nu zur Obsession. Und damit nicht genug: In der Abendschule gibt sie Jimmys Verse als ihre eigenen aus, erhält zum ersten Mal seit langem Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Lob. Natürlich kann es nicht lange gut gehen.

The Kindergarten Teacher ist ein Remake des gleichnamigen israelischen Films von Nadav Lapid (2014) und lässt von ferne an Rob Reiners Misery von 1990 denken. Auch dort ging es darum, dass ein – diesmal erwachsener – Schriftsteller von einem begeisterten Fan «gerettet» wird, nur um zu entdecken, dass er in die Fänge einer Wahnsinnigen geraten ist. Doch während Reiner einen veritablen Horrortrip bot, wählt Sara Colangelo einen geradezu diskreten Tonfall. Inszenatorisch eher unspektakulär legt sie eine psychologisch umso ausgereiftere Charakterstudie vor und verlässt sich dabei ganz auf Maggie Gyllenhaals darstellerische Tour de Force: Wie Lisa das Kind mit Zuneigung und Aufmerksamkeit überschüttet, ohne jemals auf seine Bedürfnisse einzugehen, ihre flehende Bedürftigkeit und ihr aufdringliches Leiden an der Welt, all das agiert Gyllenhaal bis an die Schmerzgrenze aus. Und so weitet sich die Geschichte der Vorschullehrerin zum plausiblen Psychogramm einer Frau, die überzeugt ist, als Einzige auf der Welt das immense Talent eines Kindes entdeckt zu haben. «Wir haben einen jungen Mozart hier», verkündet sie, und es ist nichts weniger als ihre Mission, dieses Talent der unverständigen Welt zu offenbaren, es aber auch argwöhnisch vor ihr zu schützen. Dass in Wahrheit weder Jimmy noch seine Begabung irgendeiner Rettung bedürfen, kann sie nicht erkennen. Schon gar nicht, dass das Kind einzig vor ihr beschützt werden muss.

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Kameramann Pepe Avila del Pino zeigt die Lehrerin immer wieder im leeren Schulzimmer, wo sie Ordnung schafft, den Abwasch macht, Pflanzen giesst, das Aquarium sauber hält. Das kommt belanglos daher, ist aber dennoch bedeutsam. Denn in diesen Augenblicken scheinen die Proportionen eigentümlich aus den Fugen geraten. Die Stühle, auf die sie sich ab und zu setzt, das Abwaschbecken und die Toiletten, alles ist auf Kindergrösse eingerichtet. Eine Welt en miniature, die Lisa mit Hingabe einrichtet und deren unangefochtenes Zentrum sie selbst ist. Aber auch eine Welt, in der sie sich nie wirklich wohlfühlen kann, weil alles viel zu klein für sie ist – ein stiller, doch nachhaltiger Effekt, den Gyllenhaal mit ihrem hochgewachsenen Körper und ihrer schmächtigen Eleganz noch verstärkt und der zur sinnfälligen Metapher für Lisas Grössenwahn wird. Dazu passt, dass sie in Momenten, die sich fernab der Schule zutragen, nur selten im Zentrum des Bildes platziert ist. Ein gelungener Kunstgriff, denn ausserhalb des von ihr kontrollierten Universums fühlt sie sich an den Rand gedrängt, abgeschnitten von ihrer Umwelt, nicht in der Lage, auf ihr Gegenüber einzugehen. Auch dass der kleine Jimmy im Lauf des Films überraschend wenige Auftritte hat, erweist sich als kluge Entscheidung (die wohl nicht zuletzt mit Rücksicht auf seinen sechsjährigen Darsteller getroffen wurde): Schliesslich geht es am allerwenigsten um ihn, ist er doch lediglich ein Katalysator für Lisas unheilvolle Zuwendung. Ohnehin weiss er kaum, wie ihm geschieht, wenn sie ihn mit ihrer vermeintlichen Fürsorge überrollt. Umso schöner, dass der Film offenlässt, wie er selbst zu seiner – ­tatsächlichen? vermeintlichen? – Begabung steht.

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Wer mit Maggie Gyllenhaal nichts am Hut hat, sollte die Finger von The Kindergarten Teacher lassen, denn kaum eine Szene kommt ohne sie aus. Wer jedoch findet, dass sie mehr Hauptrollen verdient, hat jetzt die Gelegenheit. Ein amerikanischer Kritikerkollege formulierte es so: Gyllenhaal spiele so präzis und intensiv, dass man manchmal am liebsten wegschauen möchte. Wie üblich mache sie einem genau das unmöglich.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2019 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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