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RBG

Für Hagiografie statt Analyse plädiert ein Porträtfilm über die amerikanische ­Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg. Das ist verständlich, aber auch schade ­angesichts einer faszinierenden Biografie.

Text: Stefanie Diekmann / 25. Mär. 2019

RBG, vor einem Jahr auf dem Sundance Festival präsentiert, ist ein hagiografischer Film, das heißt: nicht dazu gemacht, die Karriere von Ruth Bader Ginsburg zu analysieren, sondern dazu, die Person zu feiern. Ein Film für die Fans, von denen es viele gibt. Auch: ein Film für die Supporter, die Follower, denn RBG, inzwischen sehr berühmt, ist auch eine Medienfigur, ein Phänomen der Blogs, Memes, Hashtags, für das die Verbreitung und Kommentierung von Statements und die Appropriation des offiziellen Bildes eine zentrale Rolle spielen.

Das Kino ist, so betrachtet, ziemlich spät dran. Oder, zynischer formuliert: gerade noch rechtzeitig, denn Bader Ginsburg, die in diesen Tagen ihren 85. Geburtstag feiert, ist eine sehr alte Frau, auch: ein sehr alte Richterin, die eine Reihe schwerer Erkrankungen überlebt hat (die letzte im Dezember 2018). Still standing, und in den Szenen, in denen sie Fragen beantwortet und Auskunft gibt, sehr wach und präzise; jedoch handelt dieser Film auch von den Anstrengungen, die es kostet, präsent zu sein (Personal Training inklusive), von der ungeheueren Selbstdisziplin seiner Protagonistin und von der Frage, ein einziges Mal nur explizit gestellt, wie lange sie ihre Arbeit am Supreme Court der USA noch fortsetzen wird.

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Die große Ungerechtigkeit, die eine filmische Hommage an Ruth Bader Ginsburg zu einer ambivalenten Erfahrung macht, ist der Umstand, dass es diesen Film ohne Donald Trump vermutlich nicht gäbe. Trump hasst Bader Ginsburg, und er formuliert seinen Hass sehr direkt, in Reden oder auf Twitter, wo seine Unterstützer die Invektiven begeistert fortsetzen. Die Polemik, ebenso wie Spekulationen über das Ableben der Richterin, sind ein beliebter Zeitvertreib unter denjenigen, die den 45. Präsidenten der USA für eine gute Idee halten. Bader Ginsburg ist liberal, also eine Hassfigur der Rechten («witch», «zombie»)und entsprechend geeignet, in einer sekundären Reaktionsbildung auch zu einer Symbolfigur für die andere Seite zu werden, die ihr Gesicht auf Buttons, Kaffeebecher, T-Shirts gedruckt hat, die als portable Statements zirkulieren.

Das Alter spielt dabei keine Rolle, genauer: im Fall der Feministin und Medienfigur RBG ist es der Popularität sogar zuträglich, weil es zu den ernüchternden Fakten weiblicher Berufsbiografien gehört, dass die Autorität von Frauen umso kommensurabler erscheint, je älter (und somit: desexualisierbarer) die entsprechenden Figuren werden. Bader Ginsburg, von den Filmemacherinnen Julie Cohen und Betsy West zur Groß- oder Urgroßmutter aller guten Demokraten stilisiert, ist jene vornehme alte Dame, die von der Chefin, der Professorin, der Abteilungsleiterin weit genug entfernt ist, um eine gut vermittelbare Protagonistin zu sein. Die Elemente der Home Story (Lehnstuhl, Schreibtisch, Küche, Familienalbum, Lehnstuhl), auf die der Film ebenso wenig verzichten will wie auf die Szenen aus dem Gym, stehen in der Ökonomie dieses Portäts für die menschliche Seite, die der Autorität nicht fehlen darf, jedenfalls dann nicht, wenn sie geliebt werden soll; und in dem Film RBG ist Bader Ginsburg Everybody’s Darling.

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Man hätte sie Ende der 1970er Jahren porträtieren können, nachdem sie als schlecht bezahlte Professorin der Rutgers University und Leiterin eines «Women’s Rights Project» vor dem Surpreme Court fünf von sechs sehr strategisch ausgewählten Verfahren gegen genderbasierte Diskriminierung gewonnen hatte, deren Implikationen für das US-amerikanische Case Law wahrscheinlich nur ihr selbst ganz klar waren. Oder zehn Jahre später, gegen Ende ihrer Tätigkeit am wichtigsten Appeal Court der USA, für das Jimmy Carter sie 1980 nominiert hatte. 1993 wäre eine andere Option: das lange Jahr, in dem Ginsburg von ihrem Platz als Nr. 22 oder 23 der in Frage kommenden Kandidaten für einen Sitz im Surpreme Court durch einige entscheidende Empfehlungen, die Lobby-Arbeit ihres Ehemannes und ein Gespräch mit Bill Clinton in jene Position rückte, die ihre Ernennung als zweite Frau am obersten Gerichtshof ermöglichte.

Die Aufzeichnungen ihrer Anhörung durch ein Komitee des US-Senats sind ein beeindruckendes Dokument, das ahnen lässt, was für ein Film sich über diese Karriere machen ließe, würde sie nicht als Siegeszug erzählt, sondern als das, was in den Bildern und Statements zu der Ernennung von 1993 aufscheint: ein Zusammenspiel von Strategie und Serendipity, von politischen Allianzen und guten Beziehungen, von Aushandlungen und austarierten Machtverhältnissen, fast so gut wie The West Wing und gewiss interessanter als die personalisierte Erfolgsgeschichte, die zu den Standardnarrativen des dokumentarischen Bio-Pic gehört.

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Indes: RBG optiert für die Hagiografie und damit für die ungebrochene Darstellung sowie einen Stationenweg unter dem Vorzeichen des «immer schon» und «von Anfang an». Kindheit, College, Law School, Appeal Court, Surpreme Court, parallel dazu einige Ausblicke auf eine erstaunlich gleichberechtigte Ehe, und quer durch den Film die Talking Heads, die keine andere Funktion haben als zu bestätigen, dass dieser Karriere nicht anders als mit Beweunderung zu begegnen ist.

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