Beyto

Gitta Gsell
Eine Liebe zwischen Bern-Bümpliz und der Türkei, die zur unglücklichen Dreiecksgeschichte wird. Beyto liefert wohl eine erzählenswerte Geschichte, aber auch einen etwas faden Appell an die Toleranz.
Beyto (Burak Ates) wohnt in Bern-Bümpliz, trainiert im lokalen Schwimmklub, hilft in der elterlichen Kebab-
bude aus. Und: Beyto ist schwul. Er hat sich in Mike (Dimitri Stapfer), seinen Schwimmtrainer, verliebt. Was folgt, ist aber nicht die klassische Coming-Out-Geschichte in einem sportlich-konservativen Umfeld, wie zuletzt etwa im Fussballfilm Mario von Marcel Gisler.
Denn in Gita Gsells Film Beyto, der am diesjährigen Zürich Film Festival Premiere feierte, liegt der Fokus auf einem anderen Spannungsfeld: dem zwischen Beytos sexueller Orientierung und seiner traditionellen türkischen Familie, für die Schwulsein ein «ekliges» Tabuthema ist. Erst hält Beyto seine Liebe zu Mike geheim. Doch als seine Tanten ihn per Zufall an der Gay Pride tanzen und Mike küssen sehen, ist es mit der Ruhe vorbei. Beytos Eltern wollen ihn in der Türkei mit einer Kindheitsfreundin verheiraten – das würde ihm gut tun und die Ehre der Familie wahren. Im Dorf der Eltern angekommen, sieht sich Beyto bald in einem weiteren Konflikt: Bläst er die Hochzeit ab, ist auch die Ehre seiner Anvertrauten Seher (Ecem Aydin) in Gefahr.
Somit ist der Film, der auf Yusuf Yeşilöz’ Buch «Hochzeitsflug» basiert, durchaus vielschichtig. Die Geschichte von Beytos erkorener Braut stellt dabei eine eigene Tragödie dar. Als Frau eines Mannes, der in einen anderen Mann verliebt ist, zieht sie in die Schweiz, besitzt weder grosse Deutschkenntnisse noch eine Ausbildung und soll bei der Schwiegerfamilie wohnen.

Hier liegt denn auch die Schwachstelle des Films: So differenziert Beyto auch sein will, die 98 Minuten wollen nicht ausreichen, um genug Einblick in die einzelnen Charaktere und Handlungsstränge zu erhalten. Die Liebesgeschichte zwischen Beyto und Mike kommt beispielsweise etwas gar unvermittelt, um glaubhaft zu wirken. In einer Szene fragt Beyto Mike abschätzig «Bisch du schwul, oder was?», bald darauf knutschen die beiden rum. Auch Sehers Entwicklungsbogen hätte mehr Aufmerksamkeit verdient; doch meist bleibt sie stumm und hat sich den Plänen Anderer zu fügen. Wenn sie dann mal ihre Stimme erhebt oder selbst Entscheidungen trifft, bleiben ihre Beweggründe im Verborgenen – wollte sie überhaupt weg aus der Türkei? Den Kontakt zu ihrer Familie abbrechen? Auf diese Fragen gibt Beyto keine Antworten.
Das Spannendste an Beyto sind nicht die Unterschiede der beiden Länder, sondern ihre Gemeinsamkeiten. Vor allem, was ihre Haltung zu Homosexualität anbelangt. Zwar stellt die Zwangsverheiratung Beytos einen krass homophoben Akt dar. Doch auch Mike hat den Kontakt zu seinen Eltern abgebrochen. Auf Beytos Frage nach dem Grund antwortet er nur: «Kennsch d’Freichile? Die hends nöd so mit de Schwule.» Mit dem Freikirchen-Twist umgeht Gsell die Falle, die Schweiz und die Türkei als Gegensätze zu zeichnen; das eine Land als fortschrittlich und offen und das andere als konservativ, verschlossen.

Auch in kulturellen Vorurteilen stehen sich die beiden Länder in nichts nach. Während Mike von Beytos türkischstämmigen Kumpels als «Röstifresser» bezeichnet wird, meint dieser zu Beytos mangelnder Kondition: «Das chunnt vom jede Tag Kebab frässe, chline Türk.» Seher darf in der verfahrenen Konstellation dann die Stimme der Vernunft spielen und ausnahmsweise was sagen. «Scheiss Vorurteile», ruft sie aus, als Mike Beyto vor ihren Augen stürmisch küsst, um sie zu provozieren, weil er denkt, sie halte den Anblick schwuler Liebe nicht aus. Sie habe viel über die Schweiz gelesen, entgegnet sie abgebrüht, Mike könne ruhig auch was über die Türkei lernen.
Was als eine «zerreissende Dreiecksbeziehung» beworben wird, mutet eher wie ein etwas fader Appell an die Toleranz an. Aus ihrer geteilten Zuneigung für Beyto lernen Mike und Seher etwa, sich zu verstehen, und selbst Beytos Eltern müssen sich eingestehen, dass sie sowohl ihren Sohn als auch Seher durch die Heirat unglücklich gemacht haben. Die einzig denkbare Zukunft der drei scheint dabei zum Schluss weder in der Türkei noch in der Schweiz zu liegen. Leider schaffen es selbst die soliden, wenn auch teilweise etwas verhaltenen Leistungen der Darsteller_innen nicht, der durchaus erzählenswerten Geschichte Leben einzuhauchen.
Ab dem 29. Oktober in Deutschschweizer Kinos.
Regie, Buch: Gita Gsell; Vorlage: Yusuf Yeşilöz; Kamera: Peter Guyer; Schnitt: Bernhard Lehner; Darsteller_in (Rolle): Burak Ates (Beyto), Dimitri Stapfer (Mike), Ecem Aydin (Seher), Beren Tuna (Narin), Serkan Tastemur (Seyit); Produktion: Magdalena Welter, Louis Mataré, David Fonjallaz, Lomotion und Sulaco Film; Schweiz 2020. 98 Min. Verleih CH: Frenetic.
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