La Gomera

Corneliu Porumboiu
Wenn Häftlinge singen, verraten sie meist ihre Mittäter. In diesem Referenzreigen des Kinos pfeifen die Verbrecher aus mondäneren Gründen.
Eigentlich hätte das einen wunderbaren Plot für eine Gaunerkomödie abgeben können: Um ihren Komplizen aus dem Gefängnis zu befreien, verständigt sich eine Gruppe rumänischer Mafiosi und Gelegenheitsgangster in der traditionellen Pfeifsprache El Silbo. Der korrupte Polizist Cristi muss El Silbo im Vorfeld des Coups erst noch erlernen und reist dafür eigens auf die kanarische Insel La Gomera. Dort wird die von der Unesco als immaterielles Kulturerbe eingestufte Sprache bis heute praktiziert. Mit heiligem Ernst sitzt Cristi vor der Tafel, auf der seine Lehrerin die beiden Vokale und die vier Konsonanten notiert, die durch unterschiedliche Lautstärken, Tonhöhen und Rhythmen als Pfiffe wiedergegeben werden können. Ein herrlich groteskes Szenario. Eigentlich.
Offensichtlich jedoch dachte sich auch der rumänische Autorenregisseur Corneliu Porumboiu (Comoara) genau das und gab sich damit zufrieden. El Silbo nämlich fungiert in La Gomera lediglich als vordergründiges dramaturgisches Vehikel. Wirklich zu interessieren scheint es den Filmemacher nicht. Dass die Protagonisten mit ihren Pfiffen über aberwitzig weite Distanzen kommunizieren, verleiht dieser Methode die Glaubwürdigkeit eines Comic-Gadgets. Auch wie schnell und völlig problemlos sie die Pfeifsignale in Wörter übersetzen, trivialisiert das Ganze unnötig. Dabei bergen die möglichen Missverständnisse, die sich aus der Schwierigkeit ergeben, dass jeder einzelne Pfiff immer für unterschiedliche Vokale oder Konsonanten stehen kann, doch ein enormes komödiantisches Potenzial. Eigentlich.

La Gomera vertut diese Chance, und das ist durchaus bezeichnend für die halbherzige, oberflächliche Art und Weise, in der das gesamte Drehbuch als Collage aus Versatzstücken unterschiedlicher Genres zusammengepappt wurde. Cristi gibt den desillusionierten Neo-Noir-Cop, der von seinen Kollegen und der knallharten Chefin heimlich überwacht und abgehört wird. Die sonnendurchflutete Ferieninsel La Gomera erscheint ihm im Vergleich zum tristgrauen Bukarest wie ein Paradies. Cristi soll der rumänischen Drogenmafia helfen, den Matratzenhändler Zsolt aus dem Knast zu holen. Zsolt nämlich, dessen Betrieb vor allem dazu dient, Drogengelder reinzuwaschen, weiss als Einziger, wo die dreissig Millionen Euro versteckt sind, die den Mafiosi seit seiner Verhaftung fehlen.
Um Cristi für den Coup zu gewinnen, setzen die Gangster Zsolts Freundin Gilda auf ihn an. Eine klassische Femme fatale: zwielichtig, taff und unwahrscheinlich schön. Weil Cristi ihr beim ersten konspirativen Treffen verrät, dass seine Wohnung heimlich überwacht wird, schlüpft sie kurzerhand in die Rolle einer Edelprostituierten und verführt ihn vor laufenden Kameras. Das ist sehr sinnlich, sehr sexy und sehr konstruiert. Handlungslogisch manövriert sich das Skript damit vorübergehend in die Nähe eines Erotikthrillers. Aber dagegen, dass einem das alles irgendwie bekannt vorkommt – die kokette Pose, mit der sich Gilda nackt und rauchend in eben jenem Spiegel betrachtet, hinter dem sich, wie sie weiss, eine der Kameras verbirgt, die kühle Nonchalance, mit der sie ihre Vamp-Erotik ausspielt, die voyeuristische Perspektive, die sie letztlich auf ein Sexobjekt reduziert, wenn auch ein verflucht gefährliches – gegen all das sichert sich Porumboiu ab, indem er seine Klischees als Zitate verkauft.
Der Film ist pickepackevoll mit Anspielungen und Referenzen ans Kino: die Duschszene aus Hitchcocks Psycho, Ausschnitte aus John Fords The Searchers, eine augenzwinkernde Hommage an Reservoir Dogs, Anleihen an die Ocean’s Eleven-Reihe und etliches mehr. Mitten im Film taucht urplötzlich ein Regisseur auf, der dann ebenso unvermittelt wieder entsorgt wird. Zum grossen, blutigen Showdown kommt es in einem verlassenen Filmstudio. Unverhüllter könnte sich die Metaebene kaum präsentieren. Ein Spiel mit Filmgattungen soll das wohl sein, mit Konventionen und Erwartungen, die gezielt gebrochen werden, etwa wenn der Mann mit dem Messer im Motel den Duschvorhang zurückzieht oder wenn Gilda zuerst in die Kamera im Film und dann in die Filmkamera schaut. Nur spielerisch wirkt daran nichts.
Die Sexszene in Bukarest entpuppt sich bald als nur eine von mehreren Rückblenden. Der gesamte Film ist achronologisch im Tarantino-Stil strukturiert und wird von neonbunten Schrifttafeln in einzelne Kapitel unterteilt. Am Ende aber bleibt von Tarantino kaum mehr übrig als der Style, die Pose und eben nicht der Spirit. Es gibt eine Szene in La Gomera, in der Cristi das Pfeifen übt und ihm sein Lehrer, ein humorloser Kerl mit Schlägervisage, haarklein erklärt, wie er seinen Finger krümmen und die Lippen wölben muss, um den richtigen Ton zu treffen. Auch solche skurrilen Szenen kennt man von Tarantino. Aber anders als beim Original zünden die Gags bei Porumboiu nicht, weil das Drehbuch, für das sie entwickelt wurden, stets durchschimmert.

Um nicht missverstanden zu werden: Der von Maren Ade (Toni Erdmann) koproduzierte La Gomera ist kein schlechter Film. Die Darsteller_innen spielen durchweg exzellent. Tudor Mircea (Comoara) packt das Geschehen in grandiose Bilder und kreiert einen faszinierenden Kontrast zwischen der asphaltfarbenen Hinterhofoptik Bukarests und den leuchtenden Westernpanoramen auf La Gomera. Auch dramaturgisch funktioniert der Film bei allen Schwächen doch so reibungslos, dass kaum einmal Langeweile aufkommt. Der mitreissende, zwischen Iggy Pop und Carl Orff changierende Soundtrack tut das Seine. Trotzdem geht das Gehörte und Gezeigte nie richtig unter die Haut. Es mäandriert eitelschön und eitelcool auf seiner Meta-ebene dahin. Autorenkino zweiter Hand. Dabei hätten der Stoff, das Filmteam und das Ensemble durchaus das Zeug zu einem Heist Movie gehabt, das vielleicht ein bisschen schräg, ein wenig makaber daherkommt, vor allem aber richtig komisch ist. Eigentlich.
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