About Endlessness

Roy Andersson
Mit absurder Komik und einem Hang zum Grotesken schliesst der schwedische Kultregisseur Roy Andersson in About Endlessness thematisch an sein bisheriges Werk an.
«Ich sah einen Mann, der seinen Glauben verloren hatte.» – «Ich sah eine Frau, die dachte, dass niemand auf sie wartet.» – «Ich sah Eltern, die ihren Sohn verloren hatten – in einem Krieg.»
Gemälden gleich – bis ins Kleinste durchkomponiert, in vorwiegend pastellfarbenen Beige-Hellblau-Tönen – präsentieren sich die durch Schwarzblende getrennten Szenen und Szenerien, oft in Totalen, mit hoher Auflösung, in der das Auge bis an den fernen Horizont Details im Bild zu erspähen vermag.
Eine weibliche Erzählstimme aus dem Off spricht – Scheherazade ähnlich – Sätze wie die eingangs zitierten, die das jeweils neue Setting einführen, manchmal ergänzt, manchmal ersetzt durch wortkarge Dialoge der Akteure. So fügt sich Bild an Bild. Sequenz an Sequenz. Geschichte an Geschichte.
Roy Andersson macht existenzielles Kino, einmal mehr in About Endlessness. Gott, Liebe, Tod, Zerstörung, Lebenssinn, Alter und Jugend sind die grossen Themen, die er darin verhandelt. Bedeutungsvolles – der Pfarrer, der seinen Glauben verlor, Hitlers letzte Momente in einem Bunker, ein Mann, der exekutiert werden soll und um sein Leben fleht – reiht sich an Alltägliches: eine Oma, die ihren Enkel fotografiert, ein Vater, der seiner kleinen Tochter im Regen den Schuh bindet, eine Frau, der in der Bahnhofshalle der Absatz abbricht …
Die teils grotesken Begebenheiten, historisch und gegenwärtig, bleiben meistens «lose» – nur wenige der Vignetten bilden ein fortlaufendes Narrativ. Trotz ihrer Fragmenthaftigkeit schlagen uns die kleinen Handlungseinheiten in ihren Bann – nicht zuletzt wegen der immer wieder überraschenden Settings, der ausgefeilten Bilder und der verblüffenden Wendungen. Sie erzeugen eine Art Zeitlosigkeit, die nachhallt.
Als Hauptthema des Films bezeichnet Andersson «die Verletzlichkeit des Menschen» – dass er «die Schönheit des Lebens betonen» und genau darum «grausame und traurige Szenen des Lebens» zeigen wolle. Er sagt auch: «Das Leben ist eine Tragödie.»

Inspiration für den Hintergrund seiner filmischen Genrebilder sei der schwedische Funktionalismus der Fünfzigerjahre, sagt Andersson: eine kalte, gesichtslose, pompöse Architektur, in der die Menschen verloren wirken und wie vor Theaterkulissen agieren. Andersson liess sich auch von der Malerei inspirieren, etwa der Neuen Sachlichkeit und Otto Dix, auch von Edward Hopper oder gar Marc Chagall – so für die suggestive Eingangssequenz mit dem über Kriegsruinen schwebenden Liebespaar.

About Endlessness ist der sechste Film des 76-jährigen Filmemachers, dessen Werk mittlerweile zum Kult avancierte. 1970, kurz nach der Filmschule, erzielte er mit seinem ersten Werk, Eine schwedische Liebesgeschichte, einen grossen Erfolg, während sein Zweitling floppte und er sich in Folge rund ein Vierteljahrhundert vom Kino zurückzog, wobei er mit über 300 Werbespots zwischenzeitlich zum begehrten Werbefilmer wurde.
Mit seiner «Trilogie über das menschliche Wesen» kehrte er im Jahr 2000 zur grossen Leinwand zurück, um mit seinen von absurder Komik und einem Hang zum Grotesken geprägten Spielfilmen neue Erfolge zu feiern. So entstanden Songs from the Second Floor (2000), You, the Living (2007) und A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence (2014). Die dort begonnene Reflexion von Wesen und Sein in atomisierten Szenen findet nun eine grossartige Fortführung in About Endlessness, in dem sich erneut Kameramann Gergely Pálos für das hyperrealistische, faszinierende Visuelle verantwortlich zeichnet.
Der Film wirkt wie ein Reigen von Bildern und teils verstörenden Geschichten, die innehalten lassen, um die Dinge mit Distanz zu betrachten und die uns mitunter mit wesentlichen Fragen der Existenz zu konfrontieren. Bis About Endlessness uns dann eher unvermittelt – nach kurzen 76 Minuten – wieder in die Realität entlässt. Nicht ohne ein Schmunzeln, etwas perplex und geläutert zugleich.
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