Freud

Marvin Kren
Freud ist Krimi-Unterhaltung mit aberwitzigem Hypnosezauber. Das ist kein Fall für die Couch, sondern einer für die Ghostbusters.
Sigmund Freud war ein Aufklärer. Er hat gezeigt, dass das vermeintlich willkürliche Unbewusste einer Logik folgt, die wir durch beharrliche Deutung zutage fördern können, und er hat gegen das alles verschlingende Irrationale die leise Stimme der Vernunft hochzuhalten versucht. Was ORF und Netflix jetzt mit seinem Namen veranstalten, hat er nicht verdient. Aber wie hätte es auch anders sein können? Eine Netflix-Serie über Aufklärung? Gähn. Ein Mystery-Thriller über vernunftbasierte Abstinenz? Unmöglich. Freud hat sich das ja selber eingebrockt, zwang ihn doch sein Gegenstand, das Unbewusste, sich mit obskuren Dingen wie Hypnose, Trieben und Träumen zu befassen, die sich da schon viel besser eignen, um die Streamer_innen in der öden Quarantäne schön gruselig zu unterhalten. Und so muss der Wiener Nervenarzt jetzt als Werbeträger für diesen Fin-de-Siècle-Krimithriller herhalten. Wenn man denn auch früh genug die Hoffnung aufgibt, dass Marvin Krens Serie Freud irgend etwas mit der Psychoanalyse zu tun haben könnte, kann man dann nicht doch einige Freude daran haben?

Eher als der koksende Ehrgeizling Freud (Robert Finster) vermag uns Inspektor Alfred Kiss, wunderbar düster gespielt von Georg Friedrich, als Sympathieträger durch die acht Folgen zu tragen. Den Inspektor sehen wir zwar weitaus öfter seinerseits morden denn als Freund und Helfer agieren, doch ist er im Zusammenspiel mit seinem obelixähnlichen Partner Poschacher (Christoph F. Krutzler) die weitaus vielschichtigste Figur. Kiss hat aus dem Okkupationsfeldzug in Bosnien ein schweres Trauma davongetragen. Um seinen Sohn vor der Erschiessung wegen Fahnenflucht zu retten, exekutierte er auf Geheiss des Offiziers Georg von Lichtenberg (Lukas Miko) hilflose Gefangene, letztlich aber richtete der Sohn die Pistole gegen sich selbst. Denselben von Lichtenberg kann er nun als Täter eines grauenhaften Mordes an einer mutmasslichen Prostituierten ausfindig machen. Erkennt hier Kiss eine tiefenpsychologische Dimension der grausamen Tat, wenn er von Lichtenberg vor versammeltem Weinkeller-Publikum in Erinnerung ruft, wie dieser dem Opfer in die Scham stach: «Messer, Scheide, Messer, Scheide»?

Jedenfalls wissen wir dank Kamera-Einblick in von Lichtenbergs Kasernenzimmer, dass der Offizier eine homosexuelle Beziehung mit einem Armee-kameraden führt. Musste die Prostituierte sterben, weil der Feldmarschallssohn von Lichtenberg an seinem «falschen» Begehren verzweifelte, welches ein Hauptgrund sein mag, weshalb sein erzautoritärer Vater abgrundtief von ihm enttäuscht ist? Und war so auch der sadistische Befehl im Krieg in Maglaj motiviert: Ein Vater sollte Greueltaten verüben, um die Liebe zu seinem Sohn zu beweisen?

Aber für dieses unser Interesse auf sich ziehende Verbrechen wie für alle weiteren wird letztlich ein ganz anderer Grund aufgetischt werden, der kein Fall für die Psychoanalyse ist, sondern eher einer für die Ghostbusters. Hier kommen nun ein Medium namens Fleur Salomé (eindringlich gespielt von Ella Rumpf), ein böses ungarisches Grafenpaar mit antikaiserlichen Terrorabsichten, eine Menge Hypnose und Suggestion und eine unheimliche Figur aus der ungarischen Mythologie namens Táltos ins Spiel. (Die Anspielung auf Lou Salomé übrigens erschöpft sich im Spiel mit dem Namen und kommt der Beleidigung einer zweiten historischen Persönlichkeit gleich.)

Von Táltos kennen wir nur ein Symbol und eine Melodie und wir werden Zeugen, wie dieses unfassbare Böse mittels Fleur Salomé (eine überraschend neuartige Interpretation des Begriffs «Medium») halb Wien verhext oder genauer: das animalische, böse Innerste der Menschen zum Vorschein bringt. Was nicht ans Tageslicht gelangt, ist ein Plot, der mehr wäre als ein dürres Skelett, das ungarische schwarze Magie nach Österreich trägt. Da hilft auch die Krimistruktur nicht weiter, denn das Ermittler-Trio Freud-Kiss-Salomé deckt nur auf, dass alles irgendwie zusammenhängt und verwunschen ist. Leider bleibt auch Hoffnungsträger Kiss vom Abrakadabra nicht verschont. Auf Freuds dringliche Aufforderung, seine Therapie fortzusetzen, sagt er «Nein danke, brauch’ i net» und verschwindet in der letzten Folge, verwandelt in sein dunkles Alter Ego, wie Orson Welles a.k.a. Harry Lime 1949 in The Third Man im Wienkanal.
Die 1. Staffel ist seit März auf Netflix und beim ORF verfügbar.
Regie: Marvin Kren; Drehbuch: Stefan Brunner, Benjamin Hessler, Marvin Kren; Musik: Stefan Will, Marco Dreckkötter; Kamera:
Markus Nestroy; Darsteller_in (Rolle): Robert Finster (Sigmund Freud), Ella Rumpf (Fleur Salomé), Georg Friedrich (Alfred Kiss), Christoph F. Krutzler (Franz Poschacher), Brigitte Kren (Lenore); Streaming CH/D: Netflix.
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