To the Ends of the Earth

Kiyoshi Kurosawa
Eine japanische Fernsehreporterin verliert sich in der fremden Welt Usbekistans. Regisseur Kurosawa schleift seine Protagonistin entlang der Schnittstellen zwischen den Kulturen.
Kiyoshi Kurosawa, der um die Jahrtausendwende mit Cure und Pulse ins Bewusstsein des westlichen Publikums gedrungen war, hat sich früh einen Namen als Regisseur von eleganten Horrormovies gemacht. In Kaïro aktualisierte und bereicherte er das Genre mit Abstechern ins Fantastische; auf intimere Spannungen baute er später in Tokyo Sonata, der die leiseImplosion einer Familie des japanischen Mittelstandsnachzeichnet.
Als Auftrags lm (die Produktion ist anlässlich des 25-jährigen Bestehens der diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und Usbekistan entstanden) hatte To the Ends of the Earth wohl vorgegebenen Regeln zu gehorchen. Interessant ist, wie dies dennoch ein tief persönliches Projekt ermöglichte, das durch seine souveräne Erzähllinie und eine schwerelose Inszenierung besticht.

Yoko, die Reporterin eines populären und offenbar eher seichten TV-Programms, soll ihr Publikum in die Mysterien der usbekischen Kultur einweihen, wobei sie (aber auch ihr zwischen Arroganz und kühler Indifferenz oszillierender Regisseur) sich in erster Linie für die lokale Folklore interessieren: Die Dreharbeiten führen sie hüfttief in einen See, in dessen Gewässers ein sagenhafter Fisch leben soll, später macht sie Abstecher in die usbekische Kulinarik und verschlingt vor der Kamera einen Teller halbgekochten Reis. Widrig sind die Umstände auch auf dem provinziellen Lunapark, wo ihr die wiederholten Takes auf der Schaukel Brechreiz verursachen.
In den freien Stunden verlässt sie immer wieder den Komfort des Hotels, um das fremde Land mit eigenen Augen wahrzunehmen. Hier stösst sie ebenfalls rasch auf Schranken – das Überqueren einer Schnellstrasse wird zum suizidären Unterfangen, im Bus muss sie auf diegestikulierten Erklärungen der Mitreisenden zählen, um zum Zielort zu gelangen. Wiederholt sehen wir sie Unterführungen und Marktstände durchqueren, obschon sie die (männliche wie weibliche) Bevölkerung eher als diffuse Bedrohung erlebt. Wunderbar – in ihrer stummen Absurdität – ist die Szene mit einer Ziege, die sie von ihrer städtischen Besitzerin freikauft, um sie aus dem Gehege zu befreien und auf einem spärlich begrasten Hügel unter einer Hochspannungsleitung auszusetzen.
Gegen Filmmitte weicht die Regie jedoch unvermittelt von der illustrativen Bildsprache ab, um ins Onirische abzugleiten. Einer leisen Frauenstimme folgend, tritt Yoko während eines ihrer Rundgänge durch Taschkent in ein neoklassizistisches Theater; wie in Trance sehen wir sie die Gänge, Foyers und Konzertsäle durchqueren, bis sie in einem leeren Zuschauerraum in einer Stanley-Donen-artigen Szene von einer eigenen Gesangsperformance auf der Bühne zu träumen beginnt.

Vielschichtig sind die historischen beziehungsweise selbstreferenziellen Verweise ohnehin. Gespielt ist Yoko von Atsuko Moeda, einer J-Pop-Sängerin, die mit ihrer Gruppe AKB48 Ende der Nullerjahre zum nationalen Idol der Teenager avancierte. Wenn sie sich auf die Hotelterrasse begibt, spielen die grossen Lettern des Hotels diskret auf den Hollywoodschriftzug an. Eine attraktive Resonanz eröffnet sich auch, als der usbekische Interpret der Crew vorschlägt, eine Sequenz in dem von Yoko besuchten Theater zu drehen: Das Gebäude sei von japanischen Kriegsgefangenen in den Nachkriegsjahren gebaut worden und zeuge in seiner Ästhetik von der «tiefen Bindung der Gefangenen an ihr Heimatland». Behält man die Filmgeschichte im Auge, so kann man in dieser Anspielung auf diese (wahre) Begebenheit das Negativ von Josef von Sternbergs letztem Spielfilm Anatahan erkennen, in dem eine Gruppevon japanischen Soldaten des Zweiten Weltkriegs nach einem Schiffbruch jahrelang isoliert auf einer pazifischen Insel lebte, ohne je vom Waffenstillstand erfahren zu haben. Was Kurosawa hier mit Anatahan verbindet, ist (jenseits der ematisierung der nationalen Wunden) die Diskrepanz zwischen Film gur und Kontur, die Beziehung von Wahrnehmung und Wirklichkeit.

Wie von Sternbergs Studioproduktion, der insbesondere in Japan das realitätsferne Dekor und ein kolonialistischer «Blick von aussen» vorgeworfen wurde, baut auch To the Ends of the Earth auf die Spannungen zwischen Vorder- und Hintergrund: Gleich in der Eröffungssequenz muss sich Yoko umplatzieren, um dem Kameramann einen fotogenen Bildausschnitt zu ermöglichen. Die Gespräche mit den Usbeken verlaufen holprig, der Übersetzer erscheint lange als (unscharfe) Randfigur, und wenn sich die Reporterin in den Bus zurückzieht, um sich für die geplanten Aufnahmen umzuziehen, scheint sie nicht zu realisieren, dass die umstehende Bevölkerung jede ihrer Gesten jeweils sorgsam verfolgt.
Die Kluft zwischen Subjekt und Umgebung bie-tet Kurosawa seine zentrale Thematik, doch die Inszenierung wird To the Ends of the Earth schliesslich zu einer Synthese verhelfen. Nachdem Yoko verbotener-weise eine Militärinstallation fotografiert hat und nach einer längeren Verfolgung von der Polizei gestellt worden ist, löst sich die Spannung unvermittelt auf. «Was wissen Sie von uns?», fragt sie ein Sicherheitsbeamter am Ende des Verhörs, nicht ohne Yokos Problem auf unerwartet souveräne Weise auf den Punkt zu bringen:«Wir können uns nicht kennenlernen, wenn wir nicht miteinander sprechen.»

Mit diesen versöhnlichen Worten wird nicht nur ihre Freilassung eingeleitet, der Satz ermöglicht es der jungen Frau auch, sich der fremden Umgebung gegenüber erstmals o en zu zeigen. Als sie in der letzten Sequenz einen usbekischen Berghang erklimmt, weitet sich der Horizont unversehens, die Bildsprache wird freier und die Farben leuchtender: Suche und Selbst-suche fallen zusammen. Getragen von einer Regieführung, die erneut auf Stilbruch und Leichtigkeit setzt, erschliesst Kurosawa seiner Heroine einen Raum, in dem die Aussen- und die Innenwelt plötzlich zu einer Balance finden.
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