Hope Gap

William Nicholson
Ein Kammerspiel um das Ende einer Ehe, darin ein erwachsenes Kind als scheiternder Vermittler. Die Veranlagung von Hope Gap ist nichts Neues, aber sorgfältig durchkomponiert.
Szenen einer Ehe. Oder genauer: Szenen vom Ende einer Ehe. Grace (Annette Bening) und Edward (Bill Nighy) leben in einem malerischen Küstenort im Süden Englands, in der Nähe der Klippen namens «Hope Gap». Sie: eine leidenschaftliche Herausgeberin von Gedichten. Er: ein unterkühlter Geschichtslehrer an einer Highschool. Seit 29 Jahren sind sie verheiratet, eine verdammt lange Zeit, doch jetzt knirscht es im Gebälk. Grace und Edward passen schon äusserlich nicht zusammen, das sieht man gleich: Sie trägt kunterbunte weite Kleider, er gefällt sich in dunklen Sweatern und spiessigen Button-down-Hemden. Sein Schreibtisch ist aufgeräumt, ihrer ein Schlachtfeld. Sie vermeiden Aussprachen und Wahrheiten. Besonders Edward fühlt sich ständig unwohl, weil er glauben muss, Grace’ Ansprüchen nicht zu genügen, ihren Erwartungen nicht zu entsprechen, überhaupt: nicht der Richtige für sie zu sein. Auf die Vorwürfe seiner Frau reagiert er zumeist mit passivem Schweigen – was die Sache nur noch schlimmer macht.

Als Beweis dafür dient gleich zu Beginn ein Streit, den Grace in ihrem Entrüstungsbedürfnis vom Zaun bricht. Es geht eigentlich um nichts. Doch schon sieht sich Edward in die Enge getrieben. Ihre einzige Gemeinsamkeit ist ihr erwachsener Sohn Jamie (Josh O’Connor), der aber nur noch selten zu Besuch ist. Jetzt aber wurde er vom Vater eingeladen. Der Grund: Er braucht ihn als Beistand und Puffer. Denn Edward hat sich in eine andere verliebt. Er will Grace verlassen, die Koffer sind schon gepackt.

William Nicholson hat, beruhend auf seinem Theaterstück «Retreat from Moscow», ein kraftvolles Drama inszeniert, das sich ganz auf seine drei Hauptfiguren konzentriert. Dabei steht Grace als extrovertierte, energische Exzentrikerin, die sich so schnell nicht unterkriegen lässt, im Mittelpunkt. Nicht, dass man als Zuschauer_in mit ihr sympathisieren würde. Dafür ist sie zu streitsüchtig und selbstbezogen, zu stolz und fordernd, zu zynisch vor allem. Mit dem Pathos, das ihr Annette Bening verleiht, wird aber auch deutlich: Grace hat Angst vor der Einsamkeit, vor einem Leben ohne Liebe.
Darum reagiert sie oftmals unvernünftig (mitunter aber auch sehr komisch, etwa, wenn sie ihren neuen Hund Edward tauft) und treibt ihr Scheitern selbst voran. Bill Nighy hingegen verkörpert verschlossen den sprachlosen Mann, der seine Gefühle unterdrückt. Den Vorwürfen seiner Frau kann er sich nur durch Rückzug erwehren. Doch da ist noch etwas anderes: Seine neue Lebensgefährtin akzeptiert ihn so, wie er ist, mit allen Macken und Fehlern. Zwischen den Stühlen sitzt Jamie, der als unfreiwilliger Zeuge des Dramas für keine Seite Partei ergreifen darf, obwohl er sich von seiner überfürsorglichen Mutter deutlich entfremdet hat. Manche Ideen führen dabei zu weit weg. So bereitet Grace einen Gedichtband vor, darum sind des Öfteren Keats und andere Dichter zu hören, ohne dass die Worte sinnvoll die Handlung spiegeln. Edward denkt als Geschichtslehrer über den verlustreichen Rückzug Napoleons aus Russland nach – eine etwas zu aufgesetzte Metapher für die Flucht vor seiner Frau

Nicholson betritt mit seinem Film kein neues Terrain. Existenzielle Angst, der Verlust von Liebe, die Einsamkeit des Alters – all das haben Regisseur_innen wie Ingmar Bergman oder Michelangelo Antonioni mit ihren Filmen bereits in den Fünfzigern und Sechzigern perfekt aufbereitet, vor kurzem waren aber auch Charlotte Rampling und Tom Courtenay in 45 Years sowie Stanley Tucci und Emma Thompson in The Children Act zu sehen. Hope Gap reiht sich hier nahtlos ein, er ist sehr authentisch, unsentimental und lebensklug geraten. Höhepunkt des Films ist dabei die immer beklemmender werdende Unterhaltung zwischen den Eheleuten – bis Edward in der Küche bei Tee und Toast die Katze aus dem Sack lässt. Erst Grace’ Unglauben, dann ihre Verleugnung der Tatsachen, schliesslich ihre Hoffnung, dass sich alles wieder einrenken wird – all das führt zu einem sprachlich durchkomponierten Klingenkreuzen, das ohne die Theatervorlage nicht denkbar wäre. Mit Jamies Vermittlungsversuchen verlagert sich die Handlung nach draussen, an die See. Doch die raue, zerklüftete Landschaft vermittelt weder Ruhe noch Frieden. Stattdessen knallt die Sonne unerbittlich auf die Charaktere hinunter. Die Kluft, die der Filmtitel auch meint, lässt sich nicht überbrücken.
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