Seberg

Benedict Andrews
Ein Thriller über das Leben einer Schauspielerin. Während Kristen Stewart in der Rolle der Jean Seberg aufgeht, verpasst Regisseur Andrews ein paar Abzweigungen, die dieses Biopic der Person Seberg hätten gerecht werden lassen.
Der vielleicht schönste Film mit Jean Seberg (1938–1979) ist Bonjour tristesse, den Otto Preminger 1958 drehte. Wie sie da als lebhafter, verwöhnter Teenager die Heirat ihres über alles geliebten Vaters vereitelt und die Geliebte sogar in den Selbstmord treibt, ist wunderbar gespielt. Die kurzen Haare verleihen Seberg etwas Burschikoses und Selbstbewusstes, verschleiern aber auch gleichzeitig ihre wahre Schönheit. Man schaue sich nur einmal so einen Unsinn wie Joshua Logans Paint Your Wagon von 1969 an: Seberg blüht hier gerade zu auf mit den langen, blonden Haaren, auch wenn sie häufig zum Dutt oder Zopf gebändigt sind. Preminger ist der Entdecker Sebergs, nach einer intensiven Suche hat er sie für die Titelrolle in Saint Joan (1957) ausgewählt. Auch in der abwehrenden Rüstung der Jeanne d’Arc sieht sie immer noch anziehend und bezaubernd aus, überzeugend bringt sie die Spiritualität ihrer Figur auf die Leinwand.

Mit Saint Joan beginnt auch diese Filmbiografie von Benedict Andrews – mit Kristen Stewart in der Titelrolle. Stewart wurde als Bella Swan in den Verfilmungen der Twilight-Romane zum Popstar und bewies zuletzt durch Rollen in Independentproduktionen wie Personal Shopper oder Clouds of Sils Maria ihre schauspielerische Wandlungsfähigkeit. Bei der Scheiterhaufenszene wird Seberg von den Flammen schwer verbrannt, schreiend flieht sie vom Drehort. Ein gebranntes Kind, eine Märtyrerin von Beginn an, das will uns diese Szene sagen. Da ist aber noch mehr: Ein Filmstar spielt einen Filmstar, der eine Nationalheldin spielt – da öffnen sich gleich mehrere Bedeutungsebenen, über die Kunst des Schauspiels, über die Fähigkeit, in Rollen zu schlüpfen, über die Bereitschaft, mit diesen Rollen auch auf sich selbst zu blicken. Doch Andrews verfolgt diesen spannenden Ansatz nicht konsequent genug. Er konzentriert sich auf die Ereignisse in Sebergs Leben während der Jahre 1969 und 1970, die man in dieser Ausführlichkeit zwar noch nicht kannte. Der interessante Teil ihrer Filmkarriere, vor allem in Frankreich mit Jean-Luc Godards À bout de souffle (1959), aber auch in Amerika mit Robert Rossens Lilith (1965), war da aber schon vorbei.

Die Handlung beginnt in Frankreich. Jean Seberg trennt sich von ihrem Mann, dem französischen Schriftsteller Romain Gary (Yvan Attal) und ihrem gemeinsamen Sohn, um wieder in Hollywood einen Film zu drehen. Im Flugzeug lernt sie Hakim Jamal (Anthony Mackie) kennen, den Führer der Black Panther. Nicht nur, dass sie eine Affäre mit ihm beginnt – sie unterstützt auch die Black Panther demonstrativ. Die Macht ihrer Berühmtheit ist als Propagandainstrument nicht hoch genug einzuschätzen. Das wiederum ruft J. Edgar Hoover auf den Plan. Er hält Seberg für eine Gefahr für die Vereinigten Staaten und will gezielt ihren Ruf ruinieren. Fortan stellt das FBI die Schauspielerin unter Beobachtung, verbreitet Gerüchte und hintertreibt ihre Karriere.

Parallel dazu erzählt der Film die Geschichte des Überwachungsspezialisten Jack Solomon (Jack O’Connell). Jack ist, im Gegensatz zu seinem karriereorientierten Partner Carl Kowalski (Vince Vaughn), ein Mann mit Skrupeln, fast so, als solle mit dieser Figur das erschreckende Vorgehen des FBI verharmlost werden. Immer unwohler fühlt er sich mit der Verfolgung Sebergs, ohne dass das Publikum die Gründe für seine Wandlung erführe. Etwas Verzwicktes hat es mit diesem Handlungsnebenstrang auf sich: Zum einen führt er viel zu weit weg von der Titelfigur; gleichzeitig widmet Andrews dem Agenten zu wenig Zeit, um seine Motivation zu verdeutlichen. Der Film ist mit seinem Augenmerk auf die FBI-Schikanen zum Thriller mutiert. Die Zuschauer_innen lernen Jean Seberg nicht als Schauspielerin oder als Frau kennen, sondern als Opfer. Viel zu wenig ist von Dreharbeiten zu sehen, auch die Fallstricke des Starsystems, das Scheitern des Traums vom grossen Hollywoodstar, spart der Regisseur aus. Die Schuld von Kristen Stewart ist das sicher nicht. Sie geht förmlich in der Rolle auf, ohne Jean Seberg nachzuahmen. Sie deutet sie eher an, in ihrer Schönheit, Natürlichkeit und Schauspielkunst, aber auch in ihrer Verlorenheit und Verletzlichkeit. Wer dieses Mädchen aus einem Provinzkaff in Iowa wirklich war, warum es sich als erwachsene Frau das Leben nahm, erfahren wir nicht
Regie: Benedict Andrews; Buch: Joe Sharpnel, Anna Waterhouse; Musik: Jed Kurzel; Kamera: Rachel Morrison; Schnitt: Pamela Martin; Darsteller_in (Rolle): Kristen Stewart (Jean Seberg), Jack O’Connell (Jack Solomon), Anthony Mackie (Hakim Jamal), Vince Vaughn
(Carl Kowalski); Produktion: Phreaker Films, Bradley Pilz Productions, Automatik Entertainment, Nelly Films; GB, USA 2019. 102 Min.
Verleih CH: Frenetic.
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