Master Cheng

Mika Kaurismäki
Ein Chinese fördert mit seinen Gerichten in Lappland die Völkerverständigung. In dieser Komödie werden neben ausserordentlichen Zutaten auch jegliche Konflikte weichgekocht – nicht unbedingt zum Vorteil des Films.
«Heute Wursttag», steht auf der Tafel am Eingang einer entlegenen Kneipe mit Mittagstisch irgendwo im Lapp-
land. Die Wurst ist in Scheiben zerschnippelt und schwimmt in einer undefinierten braunen Sosse. In der Buffetwanne daneben undefiniertes Gemüse und nochmals daneben Kartoffelpampe, die man sich dazu auf den Teller klatschen kann.

Sirkka (Anna-Maija Tuokko), eine hübsche blonde Frau um die dreissig, hat dem Lokal ihren Namen gegeben. Ihre Gäste sind hauptsächlich Männer. Wortkarg sitzen sie in ungeselliger Distanz an den Tischen, starren konzentriert ins sich leerende Bierglas oder lösen Kreuzworträtsel. Dass wohl jeder Tag hier Wursttag ist, nehmen sie so gelassen hin wie jede andere Routine in ihrem Leben.
Bei so viel beschaulicher finnischer Introvertiertheit könnte man sich in einem Aki-Kaurismäki-Film wähnen und läge damit sogar fast richtig, denn Regie führt der ältere, international etwas weniger bekannte Bruder Mika. Wie es sich für ein klassisches Drehbuch gehört, muss nun ein Aussenstehender kommen, um die Situation aufzumischen. Und so ist es auch: Cheng (Pak Hon Chu) stolpert sogar aus dem fernen China in das Lokal, hat seinen jungen Sohn dabei und ist nur nach Pohjanjoki – so heisst das lappländische Irgendwo – gelangt, um nach einem Freund zu suchen, von dem aber weder Sirkka noch ihre Stammgäste je etwas gehört haben. Da die Frau mit dem höflichen Chinesen, der bis zum Abend resigniert im Lokal sitzen bleibt, zunehmend Mitleid hat, bietet sie ihnen Wurst, undefiniertes Gemüse und Kartoffelpampe, später sogar ein Zimmer zur Übernachtung an.

Die nächste Drehbuchwendung ist indes ebenso überraschend wie unwahrscheinlich, doch Komödien verzeiht man so etwas: Zufällig taucht am Tag darauf ein Reisebus voller Chines_innen auf, die alle verköstigt werden wollen, das bewährte Wurstmenu jedoch verschmähen. Cheng zeigt nun sein wahres Gesicht: das eines Meisterkochs. Um der verzweifelten Sirkka aus der Patsche zu helfen, öffnet er in der Küche sein mitgeführtes, mit Geheimzutaten befülltes Holzkistchen und zaubert für die Touristenmeute ein wahrlich schmackhaftes chinesisches Menu auf den Tisch.
Einerseits reiht sich der Film perfekt in die niedertourig laufende, mit lakonischem Humor gespickte Erzählfertigkeit der Kaurismäki-Brüder ein, die ein ödes und doch wunderliches (finnisches) Gesellschaftsbild entwirft. Andererseits leistet er einen weiteren Beitrag zu diesem kulinarischen Genre, wo jemand mit Kochkünsten Herzen erobert und somit gesellschaftliche Änderungen herbeiführt – Babettes Fest (G. Axel), Como agua para chocolate (A. Arau), Chocolat (L. Hallström), um nur einige Vertreterinnen zu nennen. Tatsächlich lassen sich nicht nur Sirkka, sondern auch die anderen skeptischen Finn_innen von der asiatischen Esskultur nach und nach begeistern. Zumal Chengs Gerichte nicht nur köstlich sind, sondern bei den Verzehrer_innen auch unverhoffte gesundheitliche Verbesserrungen herbeiführen: von der Flatulenz über Bluthochdruck bis zu Monatsbeschwerden und sogar Krebsleiden. Master Cheng wird vom Fremdling zum Heilsbringer.

Im Vergleich zu anderen Filmen aus dem Magengenre schlägt Mika Kaurismäkis Bilderwelt vielleicht weniger geschickt aus farbenfrohen Zutaten und raffinierten kulinarischen Arrangements Profit. Ein noch grösseres und auf die Dauer ermüdendes Problem sind allerdings die prononcierten Appelle zu Toleranz und Völkerverständigung und das offenkundige Bemühen um ein echtes Feel-good-Movie, das jede Thematik so weichkocht, dass ihm am Ende der Biss fehlt.
Sicherlich muss eine Komödie weder seelische Tiefen noch soziale Spannungen realitätsnah und in letzter Konsequenz ausloten. Wenn alle Konflikte allerdings nach zwei Sekunden schon wieder ausgebügelt und bereinigt sind, dann wird bald auch mal die erzählerische Spannung planiert. Und wenn man in der heutigen Zeit, in der unterschiedliche Kulturen nolens volens aneinandergeraten, nur zu faden Klischees greift – Cheng ist fleissig, aber bescheiden, praktiziert Qi gong und strotzt vor weltanschaulicher Weisheit; die Finn_innen sind etwas schroff, aber gutherzig, kommen nur in der Sauna wirklich ins Schwitzen, trinken Wodka und stimmen dann in larmoyante finnische Tangolieder ein –, dann tut man eben diesen Kulturen auch keinen besonderen Gefallen.
Regie: Mika Kaurismäki; Buch: Hannu Oravisto; Kamera: Jari Mutikainen; Schnitt: Tuuli Kuittinen; Darsteller_in (Rolle): Anna-Maija Tuokko (Sirkka), Pak Hon Chu (Cheng), Kari Väänänen (Romppainen), Lucas Hsuan (Nunjo); Produktion: Iain Brown, Mika Kaurismäki, Chun-Yi Yueh, By Media, Han Ruanyan He, Marianna Films; Finnland 2020. 114 Min. Verleih CH: Frenetic Films.
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