Pretend It's a City

Martin Scorsese
Pretend It’s a City ist zugleich eine Hommage an die New Yorker Autorin Fran Lebowitz und an die Stadt selbst, die keine so gut verkörpert wie sie. Mit der tempogeladenen Netflix-Serie bringt Regisseur Martin Scorsese die New Yorker Ikone einer neuen Generation näher.
Wer sich als Scorsese-Fan bezeichnet, meint damit meist, dass er oder sie den Regisseur für seine Spielfilme wie Taxi Driver oder Goodfellas zu schätzen weiss. Was sich dabei wie ein roter Faden durch Scorseses filmisches Schaffen zieht, ist die Rolle der Stadt New York; ob als Schauplatz oder Hauptthema. So verwundert es kaum, dass Scorsese mit einer New Yorker Ikone, der Schriftstellerin und Kritikerin Fran Lebowitz, nicht nur befreundet ist, sondern ihr nach dem Dokumentarfilm Public Speaking nun mit Pretend It’s a City auch eine Serie widmet.
Es ist nicht das erste Mal, dass Scorsese sich wiederholt einer New Yorker Kultfigur widmet – nachdem 2005 No Direction Home über Bob Dylan erschien, setzte sich der Regisseur 2019 in Rolling Thunder Revue erneut mit dem Musiker auseinander. Mit der Miniserie Pretend It’s a City kehrt Scorsese nun zu Lebowitz zurück. Tatsächlich kommt die Netflix-Serie mehr als Update oder Fortsetzung des 2010 erschienenen Public Speaking und weniger als neue Kreation daher.

Die Struktur bleibt im Grossen und Ganzen erhalten: Die Serie ist wie der Film ein loses Gespräch mit Lebowitz, geführt auf der Bühne vor Publikum sowie im privateren Rahmen des Clubs «The Players». Dazu kommen Archivszenen der Stadt und von Lebowitz sowie Aufnahmen der Schriftstellerin, wie sie durch die Stadt schlendert – selbst ihre Kleidung ist bei diesen Aufnahmen exakt gleich geblieben: Jeans, dunkler Mantel über einem Männersakko und ein beigefarbener Schal zeichnen ihre unverkennbare Uniform aus. Man merkt bald: New York und Lebowitz sind eng miteinander verbunden, ohne die Eine würde es die Andere nicht so geben, wie es sie gibt.
Dabei ist der Formatwechsel von Film zu Serie nicht nur ein Gewinn. Zwar ist es begrüssenswert, dass Lebowitz durch die sieben rund halbstündigen Episoden mehr Screentime erhält – denn sie ist nicht nur extrem lustig, sondern weiss auch gekonnt Anekdoten über das New York vergangener Zeiten zum Besten zu geben und sich über ihre Mitmenschen aufzuregen – «Why is it so horrible on the plane? It’s the other passengers.»
Auch die Unterteilung der Episoden nach Themengebieten wie Kunst oder Geld funktioniert ganz gut. Leider bleibt Pretend It’s a City aber etwas oberflächlich und hat wenig politisches und kritisches Material zu liefern. Dabei sind die Szenen, in denen Lebowitz erklärt, wieso sie sich weigerte, eine Dinnerparty für Leni Riefenstahl zu besuchen, oder was sie von Feminismus hält – «Being a woman was the same from Eve until, like, eight months ago» – die spannendsten und mitunter auch diejenigen, die am meisten über Lebowitz verraten.

Denn obwohl sich die Serie um Lebowitz und ihre Ansichten über Gott und die Welt dreht, entsteht der Eindruck, dass man Zeug*in einer einstudierten Performance wird. Somit festigt Pretend It’s a City Lebowitz’ Status als Ikone – berühmt und doch nie ganz nahbar. Dass die Kritikerin die Serie gemeinsam mit Scorsese produzierte, unterstreicht das Bild einer öffentlichen Figur, die zugleich Kontrolle über ihre Darstellung hat. Das schadet der Authentizität der Serie aber mitnichten.
Aufnahmen von Lebowitz und Scorsese, wie sie gemeinsam die Public Library in New York durchstöbern oder das Panorama der Stadt in Queens erkunden, gewähren einen einmalig intimen Einblick in eine offensichtlich lange Freundschaft. Der Wechsel zu Netflix ermöglicht es zudem, Lebowitz einer jungen Generation vorzustellen, die das Eine oder Andere von ihr lernen könnte – zum Beispiel eben, wie man sich in einer Grossstadt zu verhalten hat: «Pretend it’s a city, where there are other people.»
START 08.01.2021 REGIE Martin Scorsese KAMERA Stephen Consentino, Charles Libin SCHNITT David Tedeschi, Damian Rodriguez
MIT Fran Lebowitz, Martin Scorsese, Alec Baldwin, Spike Lee, Olivia Wilde PRODUKTION Netflix, USA 2020 STREAMING Netflix
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