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Kurz belichtet

Bücher, Blu-rays, Channels et al.
KB Suzanne Pathé

Im Dschungel des frühen Kinos

Buch

«Von ihren Eltern erbten alle Pathé-Brüder eine unglaubliche Arbeitsfähigkeit», schreibt Suzanne Pathé (1890–1982) über ihren Vater und dessen drei Brüder – was aber offenbar auch für sie selber gilt, wenn sie kurz zuvor berichtet, wie sie als Achtjährige im Restaurant ihrer Eltern allabendlich beim Verkauf mithalf. Wie ihre Mutter wurde auch sie frühzeitig eingebunden in die familiären Geschäfte.

Neun Jahre, nachdem ihr Onkel Charles auf einem Jahrmarkt einen Phonographen entdeckt und damit den Grundstein für das Interesse an den neuen Medien gelegt hatte, wird ihr Vater 1903 mit der Vertretung der Firma Pathé in Berlin beauftragt. Noch muss er auf Werbetour über die Jahrmärkte ziehen, um den Kinematographen attraktiv zu machen; bald kann der Nachschub an Projektoren aus Frankreich den rasant wachsenden Bedarf nicht mehr decken.

Als ihre Mutter zur Unterstützung des Vaters nach Paris zurückkehrt, übernimmt Suzanne, noch nicht einmal 15 Jahre alt, die Dependance in Berlin – und muss mit entsprechend skeptischen Kunden verhandeln, in einer Branche, in der mit harten Bandagen gekämpft wird. «Hier galten die Gesetze des Dschungels. Sie schlossen die Sabotage von Maschinen und Kopien, Plagiate und Industriespionage und das Abwerben von Industriepersonal ein», resümiert die Autorin. Selbst die Gebrüder Pathé arbeiteten oft gegen- statt miteinander und trafen sich später vor Gericht wieder.

Der aufschlussreiche Text, der Familien- und Firmengeschichte verknüpft, bricht leider im Jahr 1906 ab. Über Suzanne Pathés Ehe mit dem Politiker Arthur Grünspan, die Flucht vor den Nazis – zuerst aus Deutschland, dann aus dem besetzten Frankreich – oder ihr Leben in den USA erfährt man nur in den Texten, Fussnoten und Chronologien, mit denen die Herausgebenden Pathés Erinnerungen einordnen und ergänzen. Mögen weitere Forschungen mehr Licht ins Dunkel bringen, auf dass die (Film-)Geschichte nicht mehr nur von denen geschrieben wird, die sich am besten zu verkaufen wissen. (fa)

Titel

Suzanne Pathé. Erinnerungen einer Filmpionierin. Eine Jugend in Paris und Berlin um 1900.

Herausgeber:innen

Frank Kessler und Sabine Lenk

Erschienen bei

Schüren Verlag, 504 Seiten

Preis

CHF 43 / EUR 38

KB Aus der ersten Person Esther Buss

Ich-Filme

Buch

Wie filmt man sich selbst? Diese Frage, dieses Rätsel, diese Aufgabe treibt die Filmemacher:innen im neuen Buch der Filmkritikerin Esther Buss an – und auch die Autorin, die in grosser Genauigkeit und Findigkeit Antworten und ganze Poetologien des Filmens aus der ersten Person zusammengetragen und destilliert hat, aus dokumentarischen, essayistischen, semifiktionalen und experimentellen Filmen der vergangenen 60 Jahre.

Es sind Textminiaturen, was auch der Herkunft aus einem Blog geschuldet, oder eher zu verdanken, ist. Denn die Miniaturen – dichte, aber immer elegante Beschreibungen von einzelnen Selbstfilmen oder auch ganzen Filmkonstellationen – addieren sich zu einem Buch, das weder lose noch enzyklopädisch daherkommt. Vielmehr liest es sich wie der Bericht einer Mitreisenden, die Blicke, Situationen, Räume mit- und nachvollzieht, ihnen nachgeht, um sie vorsichtig zu sortieren, mögliche Klassifikationen, Unter-Genres vorzuschlagen: Fensterfilme, Tagebuchfilme, Zimmerreisen, Mütterbilder, Krankheits- und Reiseprotokolle, filmische Liebesdienste, all ihre Mischformen.

Und Buss lässt die Filme und ihre Macher:innen aufeinander reagieren. Der Bericht wird so auch zu einem Gespräch, in das Positionen und Perspektiven treten, die mitunter solipsistisch, vereinzelt sogar vereinsamt sind. «Aus der ersten Person» baut so beinahe eine Gemeinschaft der singulären Weltzugänge, «allein und mit allen».

Unter der Zwischenüberschrift «Nah am Text» finden sich im letzten Drittel des Buchs dann endlich einmal einigermassen hochwertig reproduzierte Filmstandbilder. Auch deren Anordnung ist eine Passage: vom Schreibtisch mit Ausblick durch die Fenster auf die Strassen und zurück. Als eine Art Centerfold ein Still aus Oskar Alegrias Zumiriki (2019): ein Kindheitsfoto, passgenau in die Landschaft der Gegenwart gehalten. So, wie Filme Lebensausschnitte schichten, verdichtet dieses Projekt sich in diesem Bild. Wenn ein:e Regisseur:in und die Autorin am Ende «Cut» rufen und schreiben, dann würde man gerne erwidern können: «Einfach weiterlaufen lassen.» Leben, das sind die Outtakes. Aber wie Filme dem Leben Form geben, wie Filmemacher:innen versuchen, ihren Leben mit Filmen eine Form zu geben, dafür hat Esther Buss selbst eine schöne Form gefunden. (de)

Titel

Aus der ersten Person. Filmische Autobiografien/Autofiktion

Autorin

Esther Buss

Erschienen bei

Archive Books, 232 Seiten

Preis

CHF 6 / EUR 12

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Der Geschmack des Wilden Westens

Kulinarik

Es gibt Hollywood-Western, es gibt Spaghettiwestern, und dann gibt es noch die italienischen Westernkomödien mit Bud Spencer und Terence Hill. Als ich ein Kind war, haben mein Vater und ich Filme wie Vier Fäuste für ein Halleluja (1971) oder Die rechte und die linke Hand des Teufels (1970) geliebt: Cowboys, Schiess- und Schlägereien, lustige Sprüche.

Besonders faszinierten mich (und meinen Vater) die kulinarischen Ausflüge der Protagonisten. Genauer gesagt, die leckeren Bohnenspeisen. Legendär ist die Szene, in welcher der «müde Joe» (Terence Hill) in einer Taverne mit der kleinen Portion unzufrieden ist und den Wirt mit dem Satz «Lass die Pfanne da!» abserviert. Genüsslich isst er danach direkt aus der Pfanne und stopft sich die Bohnen zusammen mit knusprigem Weissbrot in den Mund. Oder wie
er mit Bud Spencer in Die Troublemaker (1994) Bohnen um die Wette (fr)isst. Mir lief dabei immer das Wasser im Mund zusammen, dabei mochte ich Bohnen im Grunde gar nicht.

Offenbar war nicht nur ich davon fasziniert. Im Internet sind unzählige mehr oder minder aufwendige Bohnengerichte «à la Bud Spencer» zu finden. Und für Kochfaule gibt es auch eine einfachere Lösung, um die Westernstimmung aufkommen zu lassen: Der Enkel von Schauspieler Bud Spencer (bürgerlich: Carlo Pedersoli) hat unter der Marke «Bud Power» Büchsengerichte auf den Markt gebracht, die den Geist des legendären Pfannengerichts seines Grossvaters einfangen sollen – mit Speck und auch in einer scharfen Tex-Mex-Variante.

Die Idee von Enkel Carlo – für Kontinuität ist auch namentlich gesorgt – ist, einen gesunden, leckeren Snack anzubieten, der Energie spendet, Umwelt und Tiere schont und dabei ein leistungsfähiges und zufriedenes Leben unterstützt. Auf der Büchse ist eine Servierempfehlung angebracht: Die Bohnen sollen direkt aus der Pfanne mit der Holzkelle und knusprigem Weissbrot verspeist werden. Und schmecken sie auch? Für ein Essen am Lagerfeuer ganz okay. Ausgehungerten Gringos würden sie allemal schmecken. (gp)

Produkt

Fagioli alla Bud Spencer

Hersteller

Bud Power, bud-power.com

Erhältlich bei

div. Online-Supermärkte

Preis

400g-Dose à CHF 4

Warfare

Vom Kino verschmäht, fürs Heimkino erhältlich

Blu-ray

Es ist ein Fakt des Lebens als cinephile Person: Weil der Platz in den Kinos begrenzt und der lokale Publikumsgeschmack nicht immer der eigene ist, entgehen einem – wenn man nicht gerade in New York oder Los Angeles lebt – immer wieder vielversprechende, manchmal sogar kritisch gefeierte Filme.

Gut, gibt es DVDs und Blu-rays, mit denen sich diese Lücken schliessen lassen. So stellt etwa Ascot Elite Home Entertainment neu den hochgelobten, in der Schweiz nicht gestarteten Kriegsfilm Warfare von Ex-Navy-SEAL Ray Mendoza und Annihilation- und Civil War-Regisseur Alex Garland fürs Heimkino zur Verfügung. Basierend auf Mendozas Erlebnissen bei der Schlacht von Ramadi während des Irakkriegs, zeigt der mit Joseph Quinn (Stranger Things), Charles Melton (May December), Will Poulter (On Swift Horses) und Cosmo Jarvis (Shōgun) hochkarätig besetzte Film auf visuell beein-druckende Weise ein Scharmützel in Echtzeit.

Splendid F wiederum ermöglicht es dem hiesigen Publikum, Joel Souzas Rust zu sehen – den Western, dessen Dreh 2021 für tragische Schlagzeilen sorgte, als Hauptdarsteller, Produzent und Co-Autor Alec Baldwin unwissentlich eine geladene Pistole abfeuerte und damit Kamerafrau Halyna Hutchins tödlich verletzte.

Auch Sci-Fi-Freund:innen kommen diesen Sommer in Sachen Blu-rays auf ihre Rechnung. Unter dem Motto «Besser spät als nie» bringt Plaion Pictures Shinji Higuchis Shin Ultraman aus dem Jahr 2022 heraus. Nach Shin Godzilla (2016) geht es im zweiten Teil des Quasi-Franchise Shin – einer Reihe von Reboots populärer «Tokusatu»-Effektkino-Stoffe – um den ausserirdischen Superhelden Ultraman, eine Schlüsselfigur der japanischen Popkultur. Unter anderem mit dabei: Drive My Car-Hauptdarsteller Hidetoshi Nishijima.

Und wer lieber Horror hat, darf sich – ebenfalls dank Plaion – auf den südkoreanischen Exorzismus-Thriller Dark Nuns von Kwon Hyeok-jae freuen: Zwei Nonnen, ein dämonisch besessenes Kind und unbequeme Fragen über Gott und Glauben – alles, was das Herz von Immaculate- und The Pope’s Exorcist-Fans begehrt. (akm)

Titel

Warfare
Rust
Shin Ultraman
Dark Nuns

Ausgabe

Alex Garland und Ray Mendoza, GB/USA 2025, 95 Min.
Joel Souza, USA 2024, 140 Min.
Shinji Higuchi, JP 2022, 112 Min.
Kwon Hyeok-jae, KR 2025, 114 Min.

Erschienen bei

Ascot Elite Home Entertainment
Splendid F
Plaion Pictures

Preis

CHF 22 / EUR 18
CHF 24 / EUR 16
CHF 22 / EUR 17
CHF 22 / EUR 17

Saturday Night

In einem Shot durch die Nacht

Blu-ray

Bei uns hat die TV-Sendung nie grosse Wellen geschlagen – wahrscheinlich, weil sie uramerikanisch erscheint: Saturday Night Live ist im US-Fernsehen, im Gegensatz zu hier, seit den Siebzigerjahren eine Institution wöchentlicher Unterhaltung.

Ein hübsches Comedy-Drama von Jason Reitman (Thank You for Smoking, Juno, Up in the Air) widmet sich der Legende hinter der Live-Sendung, in einer fiktionalisierten Nacherzählung der ersten Aufnahmenacht im Oktober 1975, als zum allerersten Mal «Live from New York, it’s Saturday Night» in die Kamera gesagt wurde – jener Schlüsselsatz, mit dem auch noch 50
Jahre später jede Ausgabe von Saturday Night Live eröffnet wird.

Gerade weil SNL zum Meilenstein der amerikanischen Fernsehkultur geworden ist, hat eine Verfilmung einiges zu leisten. Zum einen ein gelungenes – und wenn schon nicht haargenaues, dann wenigstens emotional akkurates – Casting, das Comedians, die man so gut aus Film und TV kennt, zu fühlbarem Leben erweckt. Zum anderen gilt es, so amerikanischen Ikonen wie Dan Aykroyd, Gilda Radner, John Belushi, Billy Crystal, Andy Kaufman und Jim Henson Leben einzuhauchen. Das gelingt dem jungen Cast durchwegs, besonders aber Cory Michael Smith (May December), der Chevy Chase, diesen (so erzählt man sich) durchwegs charmanten, aber selbstsüchtigen Mann, hier faszinierend glaubwürdig verkörpert. Es hilft die wunderbare Ausstattung, die zusammen mit der Inszenierung die Siebziger weckt, aber nicht zum Retro-Karneval werden lässt.

Weiter versteht es der Film, sich geschickt zwischen Legende und Wahrheit hindurchzuschlängeln, sodass eine spannende Geschichte erzählt wird, in der alle Anekdoten und Versionen, die seit 50 Jahren kursieren, aufgenommen sind, ohne dabei in eine unmoderne Überhöhung oder allzu offensichtliche Nostalgie zu verfallen. Das gelingt auch dank des gerade so populären Kunstgriffs der Plansequenzen, von denen sich eine dreieinhalbminütige gleich zu Beginn des Films vollzieht und die den Abend zu einem ununterbrochenen Sog verdichten. Die schwungvolle Bildinszenierung, bei der sich die Kamera von einem Szenario zum nächsten
durch die Gänge des hektischen Fernsehstudios bewegt, wird zum perfekten Format, um die unübersichtlichen und improvisierten ersten Stunden eines damals noch revolutionären Fernsehkonzepts wieder erlebbar zu machen.

Unterhaltsame Leichtigkeit gewinnt der Film durch zahlreiche nette kleine Einfälle. Zum Beispiel spielt sich die Geschichte in Echtzeit vor dem eigentlichen Start der Serie ab – sodass der Satz «Live from New York…» hier für einmal nicht den Anfang, sondern das Ende markiert. Bekannte Sketches der ersten SNL-Staffel werden als Proben gezeigt, bei denen das Team in letzter Minute noch am Ton und Stil der ganzen Sendung kollaborativ tüftelt.

Weil bei uns SNL, die Sendung hinter dem Film, eben nie zur Institution wurde, erscheint Saturday Night direkt auf Blu-ray – wobei Plaion Pictures dem Film immerhin einen schönen Rahmen bietet, mit Making-of, Audiokommentar und kleinen Charakterporträts. (sh)

Titel

Saturday Night

Ausgabe

Jason Reitman, USA 2024, 109 Min.

Erschienen bei

Plaion Pictures

Preis

CHF 20 / EUR 14

ANS 9783551803382 2 D

Zurück in die Zukunft

Comic

Remakes und Reboots passieren nicht nur im Kino, sondern auch in Comics. Kinder der Achtziger mögen sich erinnern, wie zum Disco-Funk von Christian Bruhn das Raumschiff «Comet» über die Mattscheibe in die unendlichen Weiten des Weltraums flog und Captain Future von einem Abenteuer ins nächste brachte. Stilgebend für die Figur war die Trickfilmserie der japanischen Tōei Studios.

Die Ursprünge von Captain Future reichen jedoch zurück in die Vierzigerjahre, als Autor Edmond Hamilton seine Pulp-Geschichten schrieb. Damals verkörperte Curtis Newton (Captain Future) das Ideal des heroischen Wissenschaftlers. In den Siebzigern erlebte die Figur durch die Zeichentrickserie eine Renaissance. Danach gab es wiederholte Versuche, die Figur neu zu lancieren. Unter anderem kursiert seit Jahren die Idee für ein Filmprojekt.

Der neue Comic soll mehr als nur ein nostalgischer Rückblick sein. «Captain Future: Der ewige Herrscher» von Autor Sylvain Runberg und Illustrator Alexis Tallone ist der Versuch, die Figur für das 21. Jahrhundert neu zu definieren. Ihre Interpretation behält die Kernelemente bei: Der Zeichenstil und die Farben sind eine Hommage an die Ästhetik der Anime-Serie. Mit dabei sind der Roboter Grag, der Android Otto und das fliegende Gehirn von Professor Wright.

Ist es nun ein Remake oder ein Reboot? Kann ein Held aus der Ära des ungebrochenen Fortschrittsglaubens der Vierziger- und Siebzigerjahre in einer Zeit der Technologie-Skepsis bestehen? Der Comic versucht, diese Balance zu finden, indem er die optimistische Grundhaltung beibehält, aber auch die Schattenseiten des wissenschaftlichen Fortschritts thematisiert. So ist die Lektüre sowohl etwas für nostalgische Fans als auch für Leser:innen, die mit dem heldenhaften Wissenschafter noch nicht vertraut sind. (gp)

Titel

Captain Future. Der ewige Herrscher.

Autoren

Sylvain Runberg und Alexis Tallone (aus dem Französischen von Marcel Le Comte)

Erschienen bei

Carlsen, 168 Seiten

Preis

CHF 40 / EUR 27

418 KB Patrick Willems Night of the Coconut

Ansteckender Film-Poptimismus

Videoessays

Die alternative Streaming-Plattform Nebula, bekannt für die Spielshow Jet Lag: The Game (seit 2022), schickt sich an, in die Fussstapfen von MUBI zu treten und selber im Filmproduktions-Business mitzumischen. Im vergangenen September feierte der Kurzfilm Dracula’s Ex-Girlfriend der House of the Dragon-Darstellerin Abigail Thorn auf Nebula Premiere; und noch in diesem Jahr soll mit dem Komödien-Short The Dinner Plan – mit bekannten Namen wie John Hodgman (The Daily Show), Cindy Cheung (13 Reasons Why) und Zach Cherry (Severance) – nachgedoppelt werden.

Es ist das professionelle Regiedebüt des auf YouTube populär gewordenen Videoessayisten Patrick Willems. Ob The Dinner Plan die lange aufgeschobene Hollywood-Karriere des studierten Filmwissenschaftlers lancieren wird, wird sich zeigen – doch bis es so weit ist, lohnt sich ein Streifzug durch das auf YouTube und Nebula verfügbare Videoarchiv des 38-jährigen New Yorkers.

Mit seinem selbstironischen, eindeutig von den Simpsons beeinflussten Humor, seinen niederschwellig präsentierten Fachkenntnissen, luzid integrierten Sekundärquellen und filmhistorisch durchmischten Themen ist Willems so etwas wie der ansteckend enthusiastische Moderator einer lehrreichen Unterhaltungssendung, die ihrem Publikum die wunderbare Welt des Kinos näherbringt.

Warum ist Speed Racer (2008) der wichtigste Film dieses Jahrhunderts? Warum kostete eine einzige kurze Einstellung in The Bonfire of the Vanities (1990) 80 000 Dollar? Welcher Film ist der achtzigerjahrigste, und welcher andere Film hat das US-Kino der Achtziger zerstört? Wie gut ist Francis Ford Coppolas Wein, und was hat das mit Coppolas Karriere zu tun?

Und wer Videoessays mit ambitionierten Konzepten mag, ist bei Willems ohnehin an der richtigen Adresse – von der waschechten Mordermittlung «Who Is Killing Cinema?» über die in Zügen gedrehte Hommage an «Train Movies» bis hin zum Bollywood-Crashkurs mit integrierter Indienreise (kuratiert von Co-Autor Siddhant Adlakha).

Übrigens: Willems’ Youtube-Kanal enthält auch seine frühen Gehversuche als No-Budget-
Regisseur, und auf Nebula gibt es sein Amateur-Langspielfilmdebüt, die selbstreferenzielle
Farce Night of the Coconut (2022), zu sehen. (akm)

Titel

Patrick (H) Willems

Von und mit

Patrick Willems

Verfügbarkeit

YouTube und Nebula

51g3 O6qflb L

Geteilte Bilder

Buch

Der zweite Bildschirm, der second screen, ist heute eine Alltagstechnik der konzentrierten Abschweifung. Und Zoom-Calls ordnen die einzelnen Einblicke ins Halbprivate als Kacheln, die einander oft wenig zu sagen haben. In Gegenwartsfilmen und -serien begegnet der Splitscreen uns derweil oft nur noch im Genrerahmen. Etwa dem seiner Retroästhetik, die eine vergangene Ära des Kinos heraufbeschwören soll: Sechziger- oder Siebzigerjahre, andere Medienlandschaft, andere Regeln der Bezugnahme von Bildern und Körpern.

Aber Splitscreens im Film und jenseits – geteilte Bilder, Bildschirme und Leinwände – sind nicht nur ästhetische Markierungen oder Spielereien. Sie sind, wie der Filmwissenschaftler Malte Hagener in seinem angemessen grosszügig bebilderten Buch zur Geschichte und Theorie des Splitscreens zeigt, Formen der medialen Selbstbeobachtung, der Streuung, Konzentration, aber auch Reflexion der Wahrnehmung, des Grafisch-Werdens des Filmbildes.

Hagener fächert Formen und Funktionen geteilter Bilder über die Kinogeschichte auf: von frühen Überschussexperimenten im Stummfilm und dem, was er als «Modernisierungsallegorien» im klassischen amerikanischen Kino beschreibt, über Style- und Komplexitätsentfesselungen in den Sechziger- und Siebzigerjahren und die Medienschauordnungen im expanded cinema bis hin zum «Splitscreen-Auteur» Brian De Palma, bei dem das geteilte Bild nicht nur eine Signatur, sondern eine eigene Genreformel und Denkform ist.

De Palma ist der nicht ganz heimliche Anker und alternative Arrangeur des Buchs. In seinem Kino kommt zusammen, was Hagener sonst (mitunter etwas zu) sauber auseinanderhält: Hier wird das Bild wirklich zum Schauplatz multipler Risse oder splits, von Persönlichkeiten, Psychen, Körpern, Medien. (de)

Titel

Splitscreen. Das geteilte Bild als symbolische Form in Film und anderen Medien.

Autor

Malte Hagener

Erschienen bei

Bertz + Fischer, 240 Seiten

Preis

CHF 45 / EUR 34

Eternauta

Symbol des Widerstands

Comic

«Eternauta» erschien erstmals von 1957 bis 1959 als Serie in einem argentinischen Comicmagazin. Die Geschichte, angesiedelt im Buenos Aires von 1963, schildert eine ausserirdische Invasion, die mit tödlichem Schneefall beginnt. Überlebende leisten mit improvisierten Schutzanzügen und Tauchermaske Widerstand gegen die unsichtbaren Invasoren, wobei sich eine vielschichtige Erzählung über Macht und menschlichen Überlebenswillen entfaltet.

Der Comic ist in der argentinischen Kultur verwurzelt. Er ist wegen seiner visionären Darstellung der bevorstehenden Diktatur zu einem Symbol des Widerstands und der Hoffnung geworden. «Eternauta» wird als Allegorie von politischen Ereignissen wie dem Militärputsch von 1955 und der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 interpretiert, verstärkt durch das tragische Schicksal des Autors Héctor G. Oesterheld während dieser Zeit. Er spart in seinem Comic nicht mit impliziten Kommentaren zur politischen Lage in Argentinien und kritisiert über die Science-Fiction-Handlung soziale Ungleichheiten und die Herrschaft der Militärjunta. Oesterheld und seine Töchter gehen in den Siebzigern selbst in den Untergrund und fallen schliesslich – wie
30 000 weitere Desaparecidos – der Junta zum Opfer. Lange Zeit war der visionäre Comic ausserhalb der Landesgrenzen wenig bekannt, erst 2016 erschien eine erste Veröffentlichung auf Deutsch. Aus Anlass der bevorstehenden Netflix-Serie lohnt sich eine erneute Lektüre des Kult-Comics unbedingt. (gp)

Titel

Eternauta

Autor:innen

Héctor G. Oesterheld und Francisco Solano López (aus dem argentinischen Spanisch von Claudia Wente)

Erschienen bei

avant-verlag, 392 Seiten

Preis

CHF 52 / EUR 40

Michel Piccoli

Wie ein ewiges Kind

Buch

«Es ist die Zeit gekommen, in der die Erinnerungen den Ton angeben…», schreibt der hochbetagte französische Schauspieler Michel Piccoli (1925–2020) gegen Ende seiner brieflich verfassten Memoiren «Ich habe in meinen Träumen gelebt». Ausgetauscht hat er seine Erinnerungen an ein vielseitiges Schauspielerleben mit seinem langjährigen Freund Gilles Jacob, dem Filmkritiker und früheren künstlerischen Leiter der Filmfestspiele von Cannes. Nach langjähriger Korrespondenz schlägt der 1930 geborene Jacob vor, «den Lebensfaden anhand eines Briefwechsels noch einmal zu spinnen». Während er selbst für dieses Projekt als Fragesteller fungiert, antwortet Piccoli in einem einfachen, flüssigen Erzählstil. Nacheinander gibt er Auskunft über seine Kindheit, seine Lehrjahre am Theater, die Arbeit beim Film sowie über seine Ansichten zum Beruf des Schauspielers.

Als «Stellvertreter» für einen zuvor verstorbenen älteren Bruder in einer Musikerfamilie italienischer Abstammung geboren, wächst das Einzelkind mit dem beklemmenden «Gefühl auf, kein eigenes Leben zu haben». Auch wenn Michel seine Kindheit als einsam und langweilig empfindet, bezeichnet er sie trotzdem als glücklich. Die Leidenschaft für das Leben und sein späteres Metier erbt er allerdings nicht von seinen leidenschaftslosen Eltern, sondern von ebenfalls künstlerisch tätigen Verwandten: «Sie schenkten mir Lebenszeit und besondere Momente. Um sie herum war Fröhlichkeit und Fantasie.»

Obsessiv und voller Begeisterung flüchtet sich der junge Michel Piccoli in die Theaterarbeit, die zu seinem eigentlichen Leben wird. Dabei sind ihm theatralische Gesten suspekt. Die Sorge, prätentiös zu wirken, zieht sich durch sein künstlerisches Leben und charakterisiert ihn als einen Menschen, der immer wieder das Ideal der Bescheidenheit den Gefahren der Selbstgefälligkeit entgegensetzt. Mit seinem Spiel will er überraschen und verblüffen. Jenseits eingefahrener Routinen möchte Piccoli «wie ein ewiges Kind» neugierig bleiben.

Diese Beweglichkeit führt ihn schliesslich zum Film und zur Zusammenarbeit mit Meisterregisseuren wie Luis Buñuel, Jean-Luc Godard, Marco Ferreri und Claude Sautet. Zeitlebens sieht er sich mit seiner Lust am Abgründigen und seinem distanzierten Schauspiel als Werkzeug der Autor:innen und Filmemacher:innen. (nie)

Titel

Ich habe in meinen Träumen
gelebt. Erinnerungen.

Autoren

Michel Piccoli mit Gilles Jacob (aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Ralph Eue)

Erschienen bei

Alexander Verlag, 192 Seiten, 14 Abbildungen

Preis

CHF 38 / EUR 24

Sleazoids

Zwischen Art- und Grindhouse

Podcast

Podcasts, in denen Leute stundenlang angeregt über Filme diskutieren, gibt es viele. Doch der vielleicht beste und gründlichste von allen heisst «Sleazoids». In diesem unabhängigen Passionsprojekt machen es sich die beiden Hosts, Kritiker und Kurator Josh Lewis und Musiker und Nicolas-Cage-Superfan Jamie Miller, zur Aufgabe, einen «canon of sleaze», also ein Pantheon der Verkommenheit, zu erstellen.

Konkret bedeutet das, dass sich die Kanadier Woche für Woche ein mehr oder weniger thematisch umrissenes Doppelprogramm zu Gemüte führen – vorzugsweise auserlesen aus der bodenlosen Genrekino-Grabbelkiste des letzten Jahrhunderts – und die ausgewählten Filme ausgiebig auseinandernehmen, miteinander vergleichen und in einen grösseren kulturellen Kontext stellen.

Das geschieht zwar oft im Zweiergespann, doch neben ihrer Bereitschaft, schamlos in die Tiefe zu gehen, glänzen Lewis und Miller nicht zuletzt durch ihre eklektische Gästeauswahl. Ob sie nun mit der Kritikerin Jourdain Searles den feministischen Subtext der B-Slasher The Slumber Party Massacre (1982) und Slumber Party Massacre II (1987) ergründen, mit Cartoonist Branson Reese über die teils animierten, teils realen Welten von Who Framed Roger Rabbit (1988) und Cool World (1992) philosophieren oder mit Politkommentator Will Menaker das facettenreiche Werk von Oklahoma!- und The Day of the Jackal-Regisseur Fred Zinnemann kennenlernen: Mit «Sleazoids» lernt man, Filme neu zu sehen. (akm)

Titel

Sleazoids

Von und mit

Josh Lewis und Jamie Miller

Verfügbarkeit

über zahlreiche Podcast-Anbieter

Zappa

Zappa, der Filmavantgardist

Blu-ray

Zombies wurden im Kino erst mit zwei Filmen von George A. Romero, 1968 und 1978, populär. Frank Zappa allerdings bannte sie, mit seinen Geschwistern und seiner Mutter als Darsteller:innen, bereits 1956, als damals 16-Jähriger, in einem 8mm-Kurzfilm auf Zelluloid – ein früher Avantgardist.

Das gilt auch für seine spätere Karriere als Musiker, angestossen durch die Begegnung mit dem Werk des Neutöners Edgard Varèse. Vom Schallplattendebüt seiner Band The Mothers of Invention und dem Album «Freak Out!» 1966 bis zu seiner grossen Orchesterkomposition «The Yellow Shark», die 1992 unter seiner Leitung vom Ensemble Modern in der Frankfurter Oper zur Erstaufführung gebracht wurde, 15 Monate vor seinem Krebstod.

In Zappa, so betont Regisseur Alex Winter im Audiokommentar, geht es in erster Linie um den Menschen Frank Zappa, einen Workaholic und Perfektionisten, lebenslang experimentierend und Provokationen des Publikums nicht abgeneigt (das Poster, das ihn nackt auf dem Klo sitzend zeigt, erfreute sich in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren entsprechender Popularität).

Weitgehend chronologisch erzählend, zusammenfügend aus Aussagen von 15 Gesprächspartner:innen – überwiegend ehemaligen Band- sowie Familienmitgliedern –, alten Home Movies, Konzertauftritten und -proben, gelingt Winter (bekannt geworden 1989 als verpeilter Kumpel von Keanu Reeves in Bill & Ted’s Excellent Adventure, aber schon seit 1985 für Musikvideos und Fernsehserien hinter der Kamera tätig) nicht zuletzt durch den Zugang zum persönlichen Archiv Zappas das eindringliche Porträt eines grossen Künstlers. (fa)

Titel

Zappa

Ausgabe

Alex Winter, USA 2020, 127 Min.

Erschienen bei

Plaion als Special Edition mit Blu-ray, DVD und mit Soundtrack auf CD

Preis

CHF 42 / EUR 35

Dario Argento Panik

Panik

Blu-ray

Um Panik geht es in diesem Porträt des italienischen Regisseurs, bekannt vor allem für stilbewusste Horrorfilme wie Suspiria und Inferno, und seine Beiträge zum Giallo, wie L’uccello dalle piume di cristallo (The Bird with the Crystal Plumage, 1969) und Profondo Rosso (Deep Red, 1975) gleich in zweifacher Hinsicht. Denn zum einen betont Argento, er wolle bei seinem Publikum nicht nur Schrecken, sondern – als dessen gesteigerte Form – Panik erzeugen, was voraussetzt, dass es dem Filmemacher gelingt, «viel stärker in die Menschen einzudringen». Zum anderen spricht er aber auch von der eigenen Panik, die ihn immer wieder vor Drehbeginn befällt.

Lange Zeit war Argentos Name eher aficionados des Genrefilms bekannt, mittlerweile haben ihm auch grössere Festivals Retrospektiven gewidmet, selbst in deutscher Sprache liegen mehrere Monografien über ihn vor, sein bislang letzter Film, Occhiali neri (Dark Glasses), feierte vor drei Jahren seine Weltpremiere auf der Berlinale.

Die Zahl der Gesprächspartner:innen, die Simone Scafaldi hier vor seiner Kamera versammelt hat, ist glücklicherweise überschaubar, zum einen Familienmitglieder, zum anderen Mitarbeiter vor und hinter der Kamera, schliesslich drei Regisseure, die Argento besonders schätzen, Guillermo del Toro, Nicolas Winding Refn und Gaspar Noé (in dessen Film Vortex er 2021 eine bemerkenswerte Leistung als Darsteller zeigte). Refn, der sich wiederholt für die Restaurierung und Wiederentdeckung verfemter Filme eingesetzt hat, gibt hier allerdings eher vage Sätze zum Besten, während die von Noé oft kritisch sind. Dafür äussert sich Argentos Tochter Asia, Hauptdarstellerin in mehreren seiner Filme und selber Filmemacherin, höchst ambivalent über ihre Beziehung – dass er gerade seinen jungen Darstellerinnen einiges abverlangte, bestätigt auch Christina Marsillach (alle, die Opera gesehen hat, werden die Szene nicht vergessen, in der Nadeln unter ihren Augen angebracht sind, damit sie die angesichts der davor stattfindenden Grausamkeiten nicht schliessen kann). Auch über Argentos Eltern und deren künstlerische Tätigkeiten erfährt man Detaillierteres, Argento selbst betont am Ende, dass er seine verborgenen Seiten weiter ausleuchten würde. Das freut die Kinogänger:innen.

Titel

Dario Argento Panico

Ausgabe

Simone Scafaldi, I 2023, 97 Min., mit Interviews mit Dario Argento (32 Min.) und Scafaldi (15 Min.) als Bonus

Erschienen bei

Plaion als DVD und resp. Blu-ray und CD.

Preis

CHF 33 / EUR 20

Familie mit Düsenantrieb 2

Abgedreht

Blu-ray

Der Traum vom Eigenheim: der Umzug aus der Enge einer Mietwohnung in Tokio in das zweistöckige Vorort-Haus ist für Familienvater Kobayashi ein Neuanfang, von dem er sich zugleich die Rettung seiner Familie erhofft. Denn beunruhigende Tendenzen hat er sowohl bei seiner Ehefrau, seinem Sohn als auch bei seiner Tochter festgestellt – alle scheinen in ihrer jeweils eigenen Welt zu leben und kreisen nur um sich selbst. Als dann auch noch sein arbeitslos gewordener Vater bei ihnen einzieht, der sich als höchst autoritär und militaristisch erweist, ist das Chaos vorprogrammiert. Bleibt die Frage, wer ist der Verrückteste von allen? Vielleicht sogar das Familienoberhaupt selbst? Nach der Entdeckung von Termiten im Keller greift der Vater jedenfalls zum Drillbohrer und beginnt seinen Vernichtungsfeldzug.

Sogo Ishii, der zuvor experimentelle Super-8-Filme gedreht hatte, die stark der Punkbewegung verpflichtet waren, legte mit Gyakufunsha kazoku (Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb/The Crazy Family) eine böse Satire vor, die ihn, dank internationaler Premiere bei der Berlinale 1985, auch ausserhalb Japans bekannt machte. Gut ausgestattet mit einem faktenreichen Audiokommentar von Tom Mes, einem visuellen Essay von James Balmont, der auch Clips aus Ishiis Punk-Filmen enthält (19 Min.), sowie einem neuen Interview mit Ishii selber (28 Min.), liegt der Film jetzt in restaurierter Fassung vor, mit wahlweise deutschen oder englischen Untertiteln.

Titel

Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb (Gyakufunsha kazoku/The Crazy Family)

Ausgabe

Sogo Ishii, JP 1984, 107 Min.

Erschienen bei

Rapid Eye Movies

Preis

CHF 26 / EUR 17

Cine passion taschenbuch

Die Kunst der Abstraktion

Ein Buch über Filmplakate

Ein gutes Filmplakat, das merkten Gestalter:innen früh, bildet nicht einfach den Film ab. Ebenfalls früh waren es die Kinos und Verleiher selbst, die mit Plakaten zu Filmen den Look und das angesprochene Publikum steuern wollten – passend zur Architektur des Filmpalasts. So geschehen beim Phoebus Palast in Nürnberg. Das avantgardistische Lichtspielhaus im Bauhaus-Stil engagierte Jan Tschichold, um seine konstruktivistischen Plakate zu gestalten. Seine reduzierten Entwürfe inspirieren Grafiker:innen bis heute.

Dies und Weiteres lernt man im neusten Band zur Plakatsammlung des Zürcher Museums für Gestaltung. Etwa, dass das künstlerisch wertvolle Filmplakat vor allem im kommunistischen Polen und Kuba, fernab des kommerziellen Drucks, ab den Sechzigerjahren florierte. 150 Abbildungen verdeutlichen die Vielfalt im künstlerischen Plakatdruck für den Film. In einem begleitenden Aufsatz zu ausgewählten Werken von den Anfängen des Kinos bis zur Gegenwart vertieft Christina Thomson, Leiterin der Sammlung Grafikdesign in der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin, das Thema. Im Band verteilt kommen zudem Gestalter:innen in kurzen Texten selbst zu Wort. (mik)

Museum für Gestaltung Zürich / Bettina Richter: Ciné-Passion
Poster Collection Nr. 36 mit 90 Seiten,
Lars Müller Publishers. CHF / EUR 25

Das Geheimnis der jungen Witwe

Kontrolle aus der Zelle

Blu-ray

«Dieser Film hat internationale Grösse, internationale Stars und eine internationale Geschichte», wirbt der deutsche Trailer. Den altgedienten britischen Schauspieler John Mills als Hamburger Drogenfahnder (samt Dienst-Mercedes mit Berliner Kennzeichen) zu sehen, ist schon ein wenig irritierend. Aber das passt zur seinerzeit weit verbreiteten Gattung europäischer Koproduktionen und auch zur Geschichte, die Elemente von Giallo und Polizeifilm mischt.
Es sind weniger das aufblitzende Messer und die schwarzen Handschuhe des Killers (der zum Auftakt einen dritten Mann ermordet, der gegen ein mächtiges Drogensyndikat aussagen wollte), die auf den Giallo verweisen, als die Obsession des Polizisten, der fortwährend, sei es aus seinem Büro oder während eines Einsatzes aus einer Telefonzelle, seine – wesentlich jüngere – Frau anruft, um sie zu kontrollieren. Lisa hatte früher mit dem Drogensyndikat zu tun, wurde aber freigesprochen. Verdächtigt ihr Mann sie zu Unrecht der Untreue?

Der Film funktioniert als Charakterstudie, der im Verlauf der Handlung einige Twists hinzugefügt werden, die ein neues Licht auf die zentralen Figuren werfen. Neben den Eheleuten auch auf jenen Profikiller, der die aussagewilligen Klein-kriminellen zum Schweigen bringt und an den hier ein etwas befremdliches Anliegen herangetragen wird.

Höchst erfreulich, dass der Anbieter Explosive Media, sonst nicht für reichhaltiges Bonusmaterial bekannt, auch eine zweite Version mit aufgenommen hat, die kurz vor Schluss einen nicht unwesentlichen Unterschied macht. Frank Arnold

Titel

Das Geheimnis der jungen Witwe/
La morte non ha sesso

Ausgabe

Massimo Dallamo, IT/DE 1968, 88 Min.

Erschienen bei

Explosive Media

Preis

CHF 20 / EUR 13

How Did This Get Made New Logo

Sowas gibt’s?

Podcast

Ein Teenager-Junge, dessen Hirn in ein Dinosaurier-Roboter eingesetzt wird, und ausgerechnet so das Herz Denise Richards’ zurückgewinnt? Oder eine brandheisse Pamela Anderson, die Söldnerin in einem amerikanischen Bürgerkrieg ist?

Wir leben zum Glück in einer Welt, in der solche Ideen das Licht des Lebens als Spielfilme erblicken dürfen. In Tammy and the T-Rex (Stewart Raffill, USA 1994) und Barb Wire (David Hogan, USA 1996), zum Beispiel, zwei von mittlerweile über 360 Titel, die im Podcast «How Did this Get Made?» unter dem Motto «Celebrating Bad Movies» seit Dezember 2010 eifrig diskutiert werden. Dabei halten die Hosts und Comedien:nes – alle drei selbst bekannt aus Comedy-Serien, Paul Scheer (The League), June Diane Raphael (Grace and Frankie) und Jason Mantzoukas (Big Mouth, Brooklyn 99) – nicht zurück, wenn es um die Frage geht, wer zur Hölle den Elevator-Pitches dieser Filme je hat grünes Licht geben können.

Gelegentlich auch gemeinsam mit Podcast-Gästen (darunter waren schon Seth Rogen, Conan O’Brien, Nick Kroll oder Charlize Theron) nehmen sie die fragwürdigsten Produktionen so Takt für Takt äusserst unterhaltsam auseinander, wobei vom alten Achtziger-Kitschfilm bis hin zum brandneuen M.-Night-Shyamalan-Streifen Trap (2024) nichts an Absurdem ausgelassen wird. Herzerwärmend daran ist, dass selten zynisch abgeurteilt wird, sondern mit viel Wissen um die Tücken dieser Industrie und genauso viel Respekt für künstlerischen Übermut auf die Filme geblickt wird. Das trennt diesen Podcast von anderen unzähligen Kommentar-Produktionen, die weniger grosszügig mit den charmanten Fehlschlägen der Filmbranche umgehen. Selina Hangartner

Titel

How Did this Get Made?

Von und Mit

von Earwulf, mit Paul Scheer, June Diane Rafael, Jason Mantzoukas und zahlreichen Gaststars

Verfügbarkeit

über zahlreiche Podcast-Anbieter

Pale Flower 003 bearbeitet

Zwei Mal Masahiro Shinoda

Blu-ray

Tradition und Moderne: Nach drei Jahren kommt Muraki aus dem Gefängnis, laviert zwischen Aufträgen für seinen alten Yakuza-Clan und seiner zunehmenden Obsession für eine junge Frau, die in Spieler:innenrunden absahnt. Saeko geht es nicht ums Gewinnen, sie ist auf der Suche nach nächtlichen thrills, die sie von ihrem öden Alltag ablenken. Eine klassische Femme fatale? Nein, dafür ist in den Schwarzweiss-Cinemascope-Bildern von Pale Flower zu viel Melancholie enthalten. Die kontrollierte Gelassenheit der Inszenierung Masahiro Shinodas wirkt geradezu klassisch, verglichen mit dem Feuerwerk,
dass Seijun Suzuki zwei Jahre später in seinem knallbunten Tokyo Drifter abbrannte.

Der zweite Film im restaurierten Duo: Demon Pond. Im dörflichen Japan des Jahres 1913 dominiert der Aberglaube, da wollen die Dorfbewohner:innen der Herrscherin des titelgebenden Drachenteiches eine Aussenseiterin opfern, ignorierend, dass diese seit Jahren jeden Tag dreimal eine Glocke läutet, um eine Überschwemmung zu verhindern. Der Film ist eine Geschichte um Legenden, um die Welt der Menschen auf der Erde und unterirdische Welten mit ihren Göttern, zwischen Realismus (wenn die Flut am Ende tatsächlich kommt) und Stilisierung (der Wald als Studiokulisse, die Anleihen beim Kabuki-Theater). Demon Pond wirkt heute viel altmodischer als der 15 Jahre zuvor entstandene Pale Flower. Schöne Ausgrabungen sind die restaurierten Filme allemal. Frank Arnold

Titel und Angaben

Pale Flower (Masahiro Shinoda, JP 1964), 96 Min. / Demon Pond (Mashahiro Shinoda, JP 1979), 129 Min., Doppel-Blu-ray

Erschienen bei

Rapid Eye Movies

Preis

CHF 37 / EUR 25

9783039422234 Zuerikinobuch 150dpi pshaop

Lexikon der Zürcher Kinos

Buch

Gewisse Schinken kauft man vielleicht, um Freunde bei einem Abendessen mit seinem Wissen zu beeindrucken. Wenn die Bücher einen dicken Rücken haben, wird man umso mehr darauf angesprochen und hat eine Steilvorlage, um unnützes Wissen in die Welt zu tragen. Für diese Absicht ist dieses Buch perfekt.

Tina Schmid beleuchtet in ihrem «Zürikinobuch» geschlossene und lebendige Kinos der Stadt gleichermassen, wobei nach über 100 Jahren Kinogeschichte naturgemäss mehr geschlossene darunter sind. Das heisst gleichzeitig, es gibt vieles zu entdecken, was man wohl kaum wusste. Die Autorin hat die «Trivia» zu den Orten, wo Filme eine Heimat hatten und noch immer haben, gerade so zusammengetragen, dass es nie langweilig wird. Jahreszahlen, in denen in der jeweiligen Kinogeschichte Wesentliches passiert ist, strukturieren die Informationen zu den Sälen.

So erfährt man etwa, dass 1923 im Kino Roland ein Knabe «in leichtsinniger Weise auf dem Estrich einen Film angezündet» habe. Zum Glück konnte der Brand gelöscht werden und das Kino oder Menschen nahmen keinen weiteren Schaden. Der Fixpunkt im ehemaligen Arbeiterquartier hatte – wie das ganze Quartier – schon immer einen schlechten Ruf, vor allem, nachdem es ab 1978 Pornofilme zeigte. 2021 wurde es nach 108 Jahren geschlossen. Und schon ist man mittendrin im Besserwissen.

Für die vielen Bildseiten im Band muss man gute Nerven haben. Schliesslich zeigen sie die grosszügige Schönheit der Foyers und Säle längst abgerissener Stätten wie dem Apollo, Scala oder Forum. Kleine, feine Porträts der Menschen, die in diversen Kinos gearbeitet haben, runden das Buch ab. Sie lenken aber kaum davon ab, dass es in diesem Buch vor allem um die Orte und weniger um die Menschen darin geht. Michael Kuratli

Titel

Zürikinobuch

Autor

Tina Schmid

Verlag

Scheidegger & Spiess, 232 Seiten

Preis

CHF/EUR 49

Xenia Banner Mary

Kino nur für Frauen

Buch

Ein Ort des feministischen Kollektivs, des geteilten Interesses und der Freude am Filmvon Frauen, ein Raum offen für Diskussion, Austausch und Gemeinsamkeit – all das und viel mehr war das Frauenkino Xenia. 15 Jahre lang – von 1988 bis 2003 – bestand jeden Donnerstag auf dem Zürcher Kanzleiareal das «Kino von Frauen für Frauen».

Doris Senn zollt in ihrem Buch diesem wichtigen Stück feministischer Schweizer Geschichte Tribut und schreibt damit «eine HERstory im besten Sinne des Wortes». Den Kern bilden sechs Gruppengespräche ehemaliger «Xenias», die sich an der Geschichte entlanghangeln und von der turbulenten Gründung über ihre Motivation, auf diese Weise zu einer links-feministisch-lesbischen Subkultur beizutragen, und Höhepunkte in der Programmation wie die Reihe «Echte Kerle» bis hin zu Anfeindungen und der Kündigung durch das Bruderkino Xenix erzählen. Eingebettet werden diese kollektiven Erinnerungen in den historischen Kontext der Frauen- und Jugendbewegung der Achtziger- und Neunzigerjahre in Zürich, wobei andere wichtige Projekte wie die «Frauenétage» oder die berühmten «Tanzleila»-Partys nicht unerwähnt bleiben. Mit vielen Fotografien und den weit über Zürich hinaus bekannten Plakaten der Xenia-Reihen versehen, lässt es sich wunderbar in diese prägende Zeit aktivistischer Frauengeschichte eintauchen und wird ihr Vergessen unmöglich. Rahel Jung

Titel

Frauenkino Xenia – Zürich

Autorin

Doris Senn

Verlag

Schüren Verlag

Preis

CHF 39 / EUR 34

Totale Filmmagazin 1

Frech im Hochglanz

Hält man es einmal in den Händen, fragt man sich, warum es erst jetzt existiert. Das Filmmagazin «Totale» ist im April mit seiner ersten Ausgabe angetreten, im deutschsprachigen Raum eine Lücke zu füllen. Die Redaktion hat sich nämlich ganz der feministischen Perspektive auf Film verschrieben. Feminismus, gut, aber was heisst denn das genau? Wie bei der titelgebenden Einstellungsgrösse kommt es also auf den Inhalt an. Ihrem establishing shot, der Nummer Eins, haben die beiden Gründerinnen und Herausgeberinnen Friederike Dietrich und Rahel Jung absichtlich kein Thema übergestülpt, wie sie im Editorial schreiben.

Kurze und lange Formate greifen allerlei Themen ab, die den Schreibenden unter den Nägeln brannten. Greta Gerwigs Barbie wird auf seine Tauglichkeit für feministische Anliegen abgeklopft, Sophie Mühe führt ein Gespräch mit ihrer Schwester und Schauspielerin Anna Maria über das Frausein vor der Kamera, hie und da liest man eine Kritik eines aus feministischen Gesichtspunkten sehenswerten Films. Akademisch angehauchte Essays wechseln sich mit kurzen Service-Texten ab, etwa dazu, was der Bechdel-Test ist. Das ist inhaltlich etwas wild und kommt manchmal auch bezüglich des Layouts so daher. Aber die drei Grafikerinnen Anna Renger, Antonia Steitz und Marina Engelhart haben die Herausforderung gemeistert und dieses Magazin verdammt gut gestaltet.

Die erste «Totale» ist breit, laut und voller Potential, eine gewichtige Stimme in der allzu dürren deutschsprachigen Filmpublikationslandschaft zu werden. Richtig spannend wird es, wenn es den Herausgeberinnen gelingt, die unbändige Energie ihrer Autor:innen für brennende Themen zu bündeln. Das soll in Zukunft zwei Mal im Jahr geschehen. Diesen Herbst also erwartet uns bereits die Nummer Zwei. Gut so, denn die erste ist bereits ausverkauft. Michael Kuratli

Launch-Event Totale Nr. 2

28.11.2024
Zentrale
Greifswalder Str. 169,
10409 Berlin

KB 6 24 Die Strasse

Postapocalypse Now

Comic

In «Die Strasse» erzählt der US-amerikanische Autor Cormac McCarthy die Geschichte eines Vaters und seines Sohnes, die nach einer nicht näher bezeichneten Katastrophe durch ein postapokalyptisches Amerika in Richtung Küste ziehen. Dort hoffen sie, auf weitere Überlebende zu stossen. Die Reise dorthin führt durch Ruinen, tote Umwelt und wird durch knappe Nahrungsmittel, Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt, einen durch Asche verdunkelten Himmel und sich rivalisierende und zum Teil kannibalistische Gruppen erschwert. McCarthy zeichnet eine düstere Welt, in der die Hoffnung höchstens angedeutet wird. Der Roman wurde 2009 von John Hillcoat mit Viggo Mortensen in der Hauptrolle verfilmt. Der Film wurde für seine treue Adaption des Romans geschätzt, obwohl laut Kritiker:innen nicht alle Möglichkeiten des Mediums ausgenutzt wurden. Umso erfreulicher, dass die Comic-Adaption des Franzosen Manu Larcenet mehr ist als nur eine grafische Umsetzung des literarischen Werkes. Larcenets harte, schwarzweisse Tuschzeichnungen fangen sowohl die Trümmerlandschaft als auch die von Leid, Hunger und Schmerz gekennzeichneten Gesichter der Protagonist:innen eindrücklich ein. Die ausdruckstarken Bilder kommen mit wenig Text aus; Leser:innen können lange auf den imponierenden Szenerien verweilen und sich in die Stimmung einfühlen, ein grosser Vorteil dieses Mediums gegenüber dem Roman und dem Film. Die Schwierigkeit aller Adaptionen ist, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Zentrales Element des Romans ist die Beziehung zwischen Vater und Sohn. Der Vater versucht mit allen Mitteln, seinen Sohn zu schützen, ihm aber auch moralische Werte zu vermitteln. Der Sohn wiederum stellt das Gewissen und die moralische Stimme der Geschichte dar und zeigt dem Vater, dass auch in einer der schlimmstmöglichen Dystopien Nächstenliebe zählt. Wie in der Szene, in der die beiden einem alten Mann begegnen und trotz der eigenen Notlage Mitgefühl und Hilfsbereitschaft zeigen. Diese Begegnung symbolisiert – wie der ganze Roman – das Dilemma zwischen Überleben und Menschlichkeit. Giovanni Peduto

Titel

Die Strasse. Nach einem Roman von Cormac McCarthy

Autor

Manu Larcenet

aus dem Französischen von Maria Berthold und Heike Drescher

Verlag

Reprodukt, 160 Seiten

Preis

CHF 33 / EUR 25

Alma Alfred Hitchcock

Hinter jedem erfolgreichen Mann ...

Buch

Am 14. August wäre sie 125 Jahre alt geworden: Alma Reville. Kein bekannter Name? Seit Ende 1923 hiess sie Alma Hitchcock, war bis zum Tod des ikonischen Regisseurs nicht nur die Frau an seiner Seite, sondern auch seine kreative Partnerin, als solche in den Credits seiner Filme genannt, zuerst als Cutterin, später als Co-Autorin. Noch zu seinem letzten, wegen Krankheit nicht mehr zustande gekommenen, Filmprojekt The Short Night verfasste sie Anmerkungen zum Drehbuch.

Als der (gleichaltrige) Hitchcock sich 1920 auf eine Stelle als Zwischentitelzeichner bei einem Londoner Filmstudio bewarb, war sie dort innerhalb von fünf Jahren bereits vom tea girl zum continuity girl, schliesslich zur Editorin aufgestiegen.

Zeit seines Lebens blieb sie seine engste Mitarbeiterin, auch wenn sie 1950 entschied, dass ihr Name fortan in den Credits nicht mehr auftauchen sollte. Anders als ihr Mann, der ab 1955 durch die Präsentation seiner wöchentlichen Fernsehserien ein bekanntes Gesicht in amerikanischen Haushalten wurde, blieb sie lieber im Hintergrund, so wurde ihr Anteil an seiner Arbeit eher sporadisch und spät gewürdigt.

Das Buch von Thilo Wydra ist als Doppelbiografie angelegt, auch mit Hitchcock Vertraute erfahren viel über die Hitchcocks zuhause (etwa über ihre Essgewohnheiten und ihren begehbaren Kühlschrank) und können im Bildteil viele unbekannte Privataufnahmen entdecken. Einige interessante Details hat der Autor im Archiv der amerikanischen Film Academy aufgespürt, wo der Nachlass Hitchcocks liegt. Er zeigt etwa Faksimiles von ihren Notizen. Die Beschäftigung mit Almas Arbeit hätte aber mehr ins Detail gehen können, gerade bei den Drehbüchern, die sie bis 1945 auch für andere Regisseur:innen schrieb und die hier in der Filmografie gar nicht auftauchen.

Am Ende gewinnt man den Eindruck, dass ihre besondere Qualität vor allem in einem genauen Blick für dramaturgische Schwächen lag. Eher problematisch wird der Text, wenn er Tippi Hedrens Vorwürfe der Übergriffigkeit seitens Hitchcocks vehement als unglaubwürdig abtut, mit dem Verweis, sie sei die Einzige, die sich ambivalent über ihn geäussert habe, während andere Schauspielerinnen lebenslange Freundschaften mit ihm pflegten. Frank Arnold

Titel

Alma & Alfred Hitchcock.
Eine Liebe fürs Leben.

Autor

Thilo Wydra

Verlag

Heyne Verlag, 494 Seiten

Preis

CHF 34 / EUR 24

Robin Hood

Held im Regiestuhl

BLU-RAY

Man kennt den in Budapest als Mihály Kertész geborenen Regisseur Michael Curtiz vor allem für einen Film: Casablanca, für den er 1943 auch den Oscar gewann. Aber Curtiz gehört in die Riege der unterschätzten Filmemacher. Wie versiert und virtuos Michael Curtiz inszenierte, kann man vor allem an The Adventures of Robin Hood sehen. Der Abenteuerfilm mit Errol Flynn und Olivia de Havailland wurde 1937 über sechs Monate lang mit grossem Aufwand gedreht, kostete damals zwei Millionen Dollar und spielte vier ein, als eine Eintrittskarte noch 50 Cent kostete.

Errol Flynn spielt Robin Hood als fecht- und wortgewandten Abenteurer, der sich gegen die Tyrannei des Königsbruders Prinz John auflehnt und sich den von Basil Rathbone schön schurkisch verkörperten Adligen Sir Guy von Gisbourne zum Todfeind macht. Das legendäre, rasante Fechtduell der beiden drehte Michael Curtiz (der zur Hälfte der Dreharbeiten den ursprünglich engagierten Regisseur William Keighley ersetzte) allein sechs Tage lang.

Nun liegt der Klassiker auf einer Doppel-Blu-ray mit zahllosen Extras wie einem Making-of und entfernten Szenen vor. Besonders aufwändig und informativ geriet das 180-seitige Booklet, das u.a. mit vielen Originalfotos und Beiträgen an die deutsche Uraufführung des Films vor über 20’000 Zuschauer:innen in der Berliner Waldbühne 1950 erinnert. Der Film selbst liegt sogar in zwei Fassungen vor: der rekonstruierten, deutschen Fassung und der Originalfassung. Jörg Taszman

Titel

The Adventures of Robin Hood

Abgaben

Michael Curtiz, William Keighley, USA 1938, 102 Min. Blu-ray + Spezial-Disc, 180-seitiges Booklet

Erschienen bei

Plaidon Pictures

Preis

CHF 42 / EUR 32

Filmo20247 Stills 4 K RUJ 02

Alte Liebe in neuem Glanz

Das poetisch-realistische Meisterwerk Romeo und Julia auf dem Dorfe war seit seiner Entstehung mehrmals neu geschnitten und gekürzt worden, die Originalnegative sind gänzlich verschollen. In einem jahrelangen Prozess nun restauriert und digitalisiert, erstrahlt der Film von 1941 in einem nie dagewesenen Glanz und lässt die herzzerreissende, durch die Feindschaft der Väter unmögliche Liebesgeschichte der Bauernkinder Vreneli und Sali neu aufleben.

Während der nationale Sinn nach strikter Geistiger Landesverteidigung stand, nahm sich der wagemutige Hans Trommer mit dem weitaus erfahreneren Regisseur Valérien Schmidley Gottfried Kellers Version von Shakespears Liebestragödie vor. Und schuf in einem hürdenreichen Drehprozess eine filmische Adaption, die auch dank der ausgezeichneten Hauptdarsteller:innen Margrit Winter und Erwin Kohlund zu einem der wichtigsten Werke der Schweizer Filmgeschichte geworden ist.

Doch seit seiner Premiere war der Film nicht mehr so zu sehen, wir ursprünglich angedacht. In jahrelanger detektivischer Arbeit hat die Restauratorin Maral Mohsenin die in der Cinémathèque Suisse erhaltenen Filmrollen Bild um Bild verglichen, um – ganz im Sinne des restaurationsethischen Grundsatzes der FIAF (Fédération Internationale des Archives du Film) – möglichst nah an die ursprüngliche Version heranzukommen. Die finale Fassung ist eine Mischung der verschiedenen noch erhaltenen Kopien und damit so nah am Original wie seit 80 Jahren nicht mehr.

Nun feiert die restaurierte Fassung von Romeo und Julia auf dem Dorfe seine grosse Rückkehr und ist dank filmo auf zahlreichen Streamingplattformen verfügbar. Rahel Jung

Titel

Romeo und Julia auf dem Dorfe

Regie

Hans Trommer, Valérien Schmidley

George Lucas lp Seite 05

Eine archetypische Heldenreise

Comic

Mitten in den Dreharbeiten zu Star Wars erleidet George Lucas im August 1976 einen Schwächeanfall und muss ins Krankenhaus. Seit drei Jahren arbeitet er zusammen mit seinem Team am aufwändigen Fantasy-Spektakel.

Doch ein Produktionsdesaster jagt das andere. Das Motiv der archetypischen Heldenreise, die dem späteren Erfolgsfilm zugrundeliegt, lässt sich also auch auf die ersten Karriereschritte des Filmregisseurs übertragen. Entsprechend lautet der deutsche Titel des biografischen Comics, den der französische Zeichner Renaud Roche und sein Szenarist Laurent Hopman mit ausgesprochen filmischen Mitteln gestaltet haben, «George Lucas – Der lange Weg zu Star Wars».

Der referentielle Originaltitel «Les guerres de Lucas» klingt noch kämpferischer und verweist auf die rebellische Jugend des verträumten jungen Mannes, der nach einem schweren Autounfall ein Filmstudium beginnt. Ende der Sechziger reüssiert Lucas mit einem experimentellen Sci-Fi-Kurzfilm und feiert mit American Graffiti einen ersten grossen Erfolg. Trotzdem bleiben die Studios in Bezug auf sein Star Wars-Projekt skeptisch und halten den aufstrebenden Regisseur vertraglich im Ungewissen. Sein Weg ist auch ein Kampf gegen die Macht des Geldes.

Inspiriert von den Comic-Helden seiner Jugend, soll Star Wars ein Film mit universeller Bedeutung werden. Auf einen langwierigen Castingprozess folgen chaotische Dreharbeiten in Tunesien, die von finanziellen Risiken begleitet werden. Entsprechend zeigt das Titelbild der Graphic Novel den ambitionierten Regisseur in der Einöde der tunesischen Wüste vor einer glutrot untergehenden Sonne: abgewandt, nachdenklich und allein.

Mit einer einfachen, klaren Schwarzweisszeichnung und wenigen erzählerischen Erläuterungen schildern die beiden französischen Comic-Künstler eine schier unglaubliche Erfolgsgeschichte, die zugleich eine abenteuerliche Initiation ins Filmgeschäft ist. Witzige Dialoge federn dabei die Schwere des Themas ab, während ein reduzierter, sehr sparsamer Einsatz von Farbe an ausgesuchten Stellen sehr wirkungsvoll dramatische Akzente setzt und Stimmungen hervorhebt. Wolfgang Nierlin

Titel

George Lucas – Der lange Weg zu Star Wars

Autoren

Renaud Roche und Laurent Hopman

Aus dem Französischen von Christoph Haas.

Verlag

Splitter Verlag, 208 Seiten

Preis

CHF 44 / EUR 30

Big Guy and Rusty the Robot Boy

Godzillas Erben

Comic

In einem japanischen Labor steht die Menschheit vor einem Durchbruch: Die Abiogenese, jene Ursuppe, aus der vor Milliarden Jahren die ersten Lebewesen entstanden sind, wurde erfolgreich reproduziert. Doch das Experiment gerät ausser Kontrolle. Ein vierarmiges, reptilienartiges Monster, wolkenkratzerhoch, entsteigt dem Labor. Tokio versinkt im Chaos. Hochhäuser zerbröseln, Menschen werden zerquetscht, Militärwaffen versagen. Japans letzte Hoffnung: Rusty, ein kleiner, rothaariger Roboterjunge. Als auch der scheitert, wird mit Hilfe der Weltmacht USA der Verteidigungsroboter Big Guy, eine Mischung aus Cadillac und Atombombe, auf den Plan gerufen.

Die Autoren dieser actiongeladenen, über 100-seitigen Geschichte sind die US-Künstler Geof Darrow und Frank Miller. Darrows Illustrationen geben die Zerstörung durch das Monster in grossem Detail wieder. Miller – bekannt für seine Neuinterpretation von Batman und seine Sin-City-Serie – verbildlicht mit der Figur des Big Guy eine überrissene Parodie des US-amerikanischen Über-Patriotismus, der Kriegsmacht, des Kalten Krieges, der Muskelprotze des Achtzigerjahre-Action-Kinos.

«The Big Guy and Rusty the Boy Robot» erschien in den USA bereits 1995 und ist eine Hommage an die Monsterfilme wie The Beast from 20000 Fathoms (1953) oder Godzilla und die Astro Boy-
Trickfilme. Godzilla entstand als Sinnbild der atomaren Zerstörung in Japan durch die Amerikaner und der zahlreichen Atomtests der USA im Pazifik während des Kalten Krieges. Nicht zufällig erinnern die Namen der beiden Protagonisten an die beiden auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben, Fat Man und Little Boy. Es entbehrt nicht der Ironie, wenn zuletzt der amerikanische Superheld den kleinen Roboterjungen und sein Land rettet. Giovanni Peduto

Titel

The Big Guy und Rusty the Boy Robot

Autoren

Frank Miller, Geof Darrow

Verlag

Cross Cult 2024, 112 Seiten

Preis

CHF 40 / EUR 30

The conversation 60b6a4a8

Der mit der Wanze

BLU-RAY

Am Ende sitzt der Abhörspezialist Harry Caul in seiner Wohnung, die er gerade eigenhändig auseinandergenommen hat, auf der Suche nach der Wanze, mit der man ihn ausgetrickst hat – ein beredter Kontrast zur Eröffnungsszene, in der er sein professionelles Talent demonstriert, beim Abhören eines Gesprächs zweier Menschen, die sich auf einem belebten Platz bewegen. Diese beiden Momente sind 50 Jahre nach der Entstehung des Films noch so präsent wie damals, vollkommen vergessen hatte ich dagegen die Szene mit seiner Freundin, der er eine kleine Wohnung bezahlt, damit sie dort auf ihn wartet. Als sie bei seinem Besuch etwas über ihn wissen will, unterbricht er das Liebesspiel und geht. Caul (der seinen Regenmantel kaum einmal ablegt) ist ein zurückgezogen lebender Einzelgänger, verschlossen auch gegenüber seinen Mitarbeitern und zunehmend paranoid. Als er den Eindruck gewinnt, bei seiner letzten Abhöraktion Zeuge eines Mordkomplotts geworden zu sein, beginnt er auf eigene Faust zu recherchieren.

Wenn im Herbst Megalopolis in die Kinos kommt, wird Francis Ford Coppola (vielleicht als der Cecil B. De Mille der Gegenwart) als Spezialist für grossbudgetiertes episches Kino, das aber auch eine gewisse Leere hinterlässt, in die Filmgeschichte eingehen. Ein Schatten von Meisterwerken wie The Godfather (Teil 1 und 2) und Apocalypse Now. Dass Coppola auch einmal an «kleinen» Geschichten Interesse hatte, kann man dabei leicht vergessen. The Conversation wirkt heute aktueller denn je, wo wir fortwährend unsere Daten preisgeben und dabei vergessen, dass daraus auch mehr als massgeschneiderte Werbung werden kann.

In 4K restauriert, ist The Conversation jetzt noch mehr ein Film über das Hören (wie Antonionis Blow Up einer über das Sehen war). Neben den alten Audiokommentaren (deutsch untertitelt) von Coppola und Walter Murch (Bild- und Tonschnitt), die eine Fülle von Informationen enthalten, und Screentests von Cindy WIlliams und Harrison Ford (für andere Rollen als die, die sie schliesslich verkörperten) gibt es auch ein Gespräch mit Murch (2017), in dem dieser eine Vermutung bestätigt, wo die Wanze in Harrys Wohnung versteckt war. Frank Arnold

Titel

The Conversation

Angaben

Francis Ford Coppola,
USA 1974, 114 Min., 4K Ultra-HD,

Erschienen bei

Arthaus

Preis

CHF 36 / EUR 26

Unmittelbar brutal

BLU-RAY

1968 – eine Jahreszahl als Symbol des Aufbruchs. Aber auch das Jahr des Massakers von My Lai (Vietnam), der Ermordung von Martin Luther King und Robert Kennedy, der Okkupation der ČSSR – Gewalt von Menschen gegen Menschen, manchmal staatlich sanktioniert. Das machte Witchfinder General damals gegenwärtig, auch wenn er im England des Jahres 1645 angesiedelt ist. Ein Angriff auf das Publikum ist er auch heute noch: in der Direktheit seiner Darstellung, in der Verknüpfung von unterdrückter Sexualität und Lust an der Folter, in der Denunziation des Nachbarn: Gewalt als ansteckende Krankheit.

Regisseur Michael Reeves war ein Filmverrückter. Leider blieb diese dritte Regiearbeit seine letzte. Er starb, erst 25-jährig, ein Jahr nach Erscheinen von Witchfinder General. Allein wie er hier Vincent Price seine liebgewonnenen Manierismen austreibt (und ihn damit erst zu einer wahrlich dämonischen Figur macht), zeigt, dass er sein Handwerk beherrschte.

Jetzt liegt der Film in einer mustergültigen Edition vor, mit vielen Extras, darunter mehrere Dokumentationen (zus. 123 Min.) und vier Audiokommentare (die beiden englischen deutsch untertitelt), die aus verschiedenen Perspektiven Licht auf dieses düstere Meisterwerk werfen. Frank Arnold

Titel

Der Hexenjäger (Witchfinder General)

Angaben

Michael Reeves, GB/USA 1968

Erschienen bei

Wicked Vision

Preis

CHF 29 / EUR 27

The deep house S3 K6 XE

French- Extremity-Horror aus der Tiefe

BLU-RAY

Verfallene Häuser haben für dieses junge, abenteuerlustige Youtuber-Paar einen unheimlichen Charme. Für ihren Channel besuchen die beiden solche vergessenen Orte, als wäre es eine Mutprobe. Immerhin könnte es dort spuken. Die beiden französischen Regisseure Alexandre Bustillo und Julien Maury wurden vor fast 20 Jahren mit ihrem grenzüberschreitenden Horrorfilm À l’intérieur (Inside, 2007) als Vertreter

der New French Extremity bekannt. Seitdem sind sie dem Genre treu geblieben und haben mit Leatherface unter anderem auch ein Prequel zur Texas Chainsaw Massacre-Reihe beigesteuert. The Deep House ist nun ihre zweite auf Englisch gedrehte Regiearbeit und bringt ihre Held:innen genretypisch an einen ungewöhnlichen Schauplatz, der weitaus schauderhafter ist, als es sich die beiden erträumt haben.

In einem einst gefluteten Waldgebiet in Südfrankreich befindet sich ein abgelegener See, auf dessen Grund ein perfekt erhaltenes Haus steht. Auf den ersten Blick ist der Film eine Variation des klassischen Haunted-House-Horror, bei dem das Paar zwischen altmodischer Blümchentapete und finster dreinschauenden Puppen auf eine düstere Vorgeschichte rund um Kindermorde und Satanismus stösst. Dass die Handlung überwiegend unter Wasser spielt, weiss The Deep House jedoch so originell wie effektiv zu nutzen.

Zum einen etabliert das Regie-Duo durch die türkisschimmernde Dunkelheit, den schwindenden Sauerstoff und die eingeschränkte Bewegungsfreiheit eine ungemein beklemmende Atmosphäre. Zum anderen schafft Kameramann Jacques Ballard dazu impressionistisch albtraumhafte Bilder, die ein perfides Spiel mit unserer Orientierung treiben.

Ein fieser, klaustrophobischer und nihilistischer Gruselfilm, der mit über zweijähriger Verspätung nun exklusiv auf DVD und Blu-ray erscheint. Michael Kienzl

Titel

The Deep House

Angaben

Alexandre Bustillo, Julien Maury, FR, BE 2021

Erschienen bei

Turbine Medien

Preis

CHF 35 / EUR 30

George lucas der lange weg zu star wars gebundene ausgabe laurent hopman

Eine archetypische Heldenreise

Comic

Mitten in den Dreharbeiten zu Star Wars erleidet George Lucas im August 1976 einen Schwächeanfall und muss ins Krankenhaus. Seit drei Jahren arbeitet er zusammen mit seinem Team am aufwändigen Fantasy-Spektakel.

Doch ein Produktionsdesaster jagt das andere. Das Motiv der archetypischen Heldenreise, die dem späteren Erfolgsfilm zugrundeliegt, lässt sich also auch auf die ersten Karriereschritte des Filmregisseurs übertragen. Entsprechend lautet der deutsche Titel des biografischen Comics, den der französische Zeichner Renaud Roche und sein Szenarist Laurent Hopman mit ausgesprochen filmischen Mitteln gestaltet haben, «George Lucas – Der lange Weg zu Star Wars».

Der referentielle Originaltitel «Les guerres de Lucas» klingt noch kämpferischer und verweist auf die rebellische Jugend des verträumten jungen Mannes, der nach einem schweren Autounfall ein Filmstudium beginnt. Ende der Sechziger reüssiert Lucas mit einem experimentellen Sci-Fi-Kurzfilm und feiert mit American Graffiti einen ersten grossen Erfolg. Trotzdem bleiben die Studios in Bezug auf sein Star Wars-Projekt skeptisch und halten den aufstrebenden Regisseur vertraglich im Ungewissen. Sein Weg ist auch ein Kampf gegen die Macht des Geldes.

Inspiriert von den Comic-Helden seiner Jugend, soll Star Wars ein Film mit universeller Bedeutung werden. Auf einen langwierigen Castingprozess folgen chaotische Dreharbeiten in Tunesien, die von finanziellen Risiken begleitet werden. Entsprechend zeigt das Titelbild der Graphic Novel den ambitionierten Regisseur in der Einöde der tunesischen Wüste vor einer glutrot untergehenden Sonne: abgewandt, nachdenklich und allein.

Mit einer einfachen, klaren Schwarzweisszeichnung und wenigen erzählerischen Erläuterungen schildern die beiden französischen Comic-Künstler eine schier unglaubliche Erfolgsgeschichte, die zugleich eine abenteuerliche Initiation ins Filmgeschäft ist. Witzige Dialoge federn dabei die Schwere des Themas ab, während ein reduzierter, sehr sparsamer Einsatz von Farbe an ausgesuchten Stellen sehr wirkungsvoll dramatische Akzente setzt und Stimmungen hervorhebt. Wolfgang Nierlin

Titel

George Lucas – Der lange Weg zu Star Wars.

Autor:in

Renaud Roche und Laurent Hopman

Verlag

Splitter Verlag, 208 Seiten

Preis

CHF 44 / EUR 30

KB Peeping Tom Cover

Der Voyeur in uns

Blu-ray

«Selbst wenn man diesen Film in der Kanalisation wegspülen würde: Ein Gestank würde doch bleiben», so lautete nur eines der Urteile der britischen Filmkritik, als Peeping Tom 1960 in die Kinos kam. Die heftige Ablehnung dürfte mit der Verstörung zusammenhängen, die der Film auch heute noch auslöst. Schliesslich ist sein Protagonist ein schüchterner junger Mann, mit dem der Zuschauer unweigerlich Mitgefühl hat, auch wenn er weiss, dass dieser Mark Lewis ein Frauenmörder ist. Die Identifikation mit ihm wird noch verstärkt durch seine berufliche Tätigkeit: Tagsüber Kamera-Assistent bei einer kommerziellen Filmproduktion, wird er nachts zum total filmmaker, der mit einer 16mm-Kamera seine Opfer im Moment ihres Todes filmt, das Stativ der Kamera als Mordwerkzeug benutzend. Filmen als Obsession, das hat das Werk für die Hollywood Brats in den Siebzigerjahren so attraktiv gemacht

und zu seiner Wiederentdeckung und Rehabilitierung geführt. Nicht nur professionelle Filmemacher:innen, auch das Publikum wird hier mit dem eigenen Voyeurismus konfrontiert. Das verleiht dem Film im Zeitalter medialer Überpräsenz eine neue Aktualität.

Jetzt digital in 4K restauriert, bietet die Neuausgabe einige Extras von früheren Editionen, so einen Audiokommentar des Powell-Experten Ian Christie, ein Intro von Martin Scorsese und eine kenntnisreiche Doku von 2005, sowie Neuproduziertes, darunter Beiträge von Christopher Frayling und Thelma Schoonmaker. Alles zusammen knapp zwei Stunden lang, dazu ein 32-seitiges Booklet, das weitere Zusammenhänge erschliesst. Grosse Empfehlung. Frank Arnold

Titel

Peeping Tom

Angaben

Michael Powell, UK 1960

Erschienen bei

Studiocanal

Preis

CHF 36 / EUR 26

Jane campion und ihre filme kunststoff einband marisa buovolo

Campion von nah

Buch

Die Zeitschrift «du» hat ihr schon 1996 ein Heft gewidmet, aber ansonsten blieb die Beschäftigung mit den Filmen von Jane Campion im deutschsprachigen Raum auf einige wenige akademische Arbeiten beschränkt. Ganz anders im englischsprachigen, wo es zwei Interviewbände, mehrere Monografien und vor allem zahlreiche wissenschaftliche Sammelbände gibt.

Zum 70. Geburtstag der neuseeländischen Regisseurin, die vor allem mit The Piano (Goldene Palme in Cannes 1993, drei Oscars 1994) weltweit bekannt wurde, liegt jetzt eine Monografie vor, verfasst von einer Autorin, die sich an Campions Werken im Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Analyse und persönlichem Berührtsein als Zuschauerin abarbeitet.

Dabei geht es auch um die Schnittstellen. Marisa Buovolo zitiert Akademikerinnen, die sich ebenfalls von den Filmen Campions auf eine Weise berührt sahen, die in ihre wissenschaftliche Argumentation einfloss. Was auch die Frage nach der Distanz zum Forschungsobjekt aufwirft. Im Zentrum steht dabei The Piano, der seinerzeit eine «extreme Begeisterung für Campions bahnbrechende Darstellung des weiblichen Begehrens» hervorrief, während unsere Gegenwart mit (post-)kolonialem Diskurs verlange, sich mit ihrer Darstellung der Maori-Kultur auseinanderzusetzen.

Eigene Akzente setzt Buovolo im Hinblick auf Körperbilder und die ambivalenten Signale, die bestimmte Kostüme und Dresscodes senden. 70 Screenshots liefern eindrucksvolle visuelle Belege für ihre Ausführungen. Frank Arnold

Titel

Jane Campion & ihre Filme

Autor:in

Marisa Buovolo

Verlag

Schüren Verlag, 206 Seiten.

Preis

CHF 40 / EUR 28

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Monsieur Hulot und sein langer Schatten

Buch

Man könnte sagen, die Geschichte sei ein alter Hut. Jacques Tati und seine ikonische Figur, Monsieur Hulot, sind doch Kult und hinreichend beleuchtet. Das mag stimmen für den englischen und den französischen Sprachraum, ja gar für Italien. Doch um David Bellos’ umfassende und kritische Biografie auf Deutsch zu übersetzen, hat es unverständlicherweise ganze 25 Jahre gebraucht.

Vielleicht liegt es daran, dass der französische Humor in Deutschland mit wenigen Ausnahmen nie wirklich verstanden wurde. Umso bemerkenswerter ist deshalb das Erscheinen dieses Bandes. Kein Geburtstag und kein anderes Jubiläum gäben dazu Anlass, ausser der Lücke, die in der deutschsprachigen Forschung ohne dieses Buch klafft. Ohne Zweifel ist Bellos’ Biografie ein unverzichtbares Referenzwerk, will man den französischen Komiker verstehen. Darüber hinaus weiss der Brite packend zu schreiben. Und Angelika Arends Übersetzung versteht es, die angelsächsische Erzählkunst ohne Abstriche zu vermitteln.

Einen nicht unerheblichen Gewinn gegenüber der originalen Publikation bietet diese Übersetzung dennoch: In einem zweiten Nachwortgeht Bellos vertieft auf Helga Schiel ein, Tatis uneheliche Tochter, und räumt ihr den Platz ein, den sie sich gegen Ende ihres Lebens gewünscht hat. «1959 wurde Mon Oncle in jedem Kino gezeigt, und diese bewegende, komisch-lustige Geschichte der Annäherung eines Vaters an sein Kind berührte jedes Herz. Nur eines nicht.» Wenn Bellos hier zum Melodrama greift, ist das der tragisch-bewegten Kindheit und Jugend Helga Schiels zwischen Pflegefamilien und Internat geschuldet. Tati hat sich ein Leben lang geweigert, seine Tochter anzuerkennen, und Kontaktaufnahmen komplett ignoriert. Ungeschminkt geht der Autor in seinem Buch mit Tatis schmählichem Verhalten –
und dem Schweigen seiner Zeitgenossen – ins Gericht.

Bellos bringt auch jenseits davon die Diskrepanz zwischen dem Werk und dem Mann auf den Punkt, wenn er von dessen unzeremonieller Beerdigung spricht: «Tati war immer sehr stolz auf sein Werk gewesen – und das zu Recht. Aber von sich selbst hatte er nie sehr viel gehalten.» Zur selben Einsicht muss man nach der Lektüre über Tati kommen. Es ist die vielleicht vernünftigste Sicht auf einen der grössten Komiker Frankreichs und einen Mann, der ohne seine Kunst nicht der Rede wert wäre. Michael Kuratli

Titel

Jacques Tati. Sein Leben und seine Kunst

Autor

David Bellos

Verlag

Mitteldeutscher Verlag, 544 Seiten.

Preis

CHF 37 / EUR 32

Dr no 11 Bwlo

Bond, von Anfang an

Buch

Während die Welt auf ein neues Bond-Abenteuer wartet, sind selbst keine Nachrichten Nachrichten. Spekulationen um mögliche neue Darsteller(:innen?), deren Nationalität oder Hautfarbe werden in regelmässigen Abständen in die Weltpresse geworfen. All das entlockt dem Produzent:innenduo Barbara Broccoli und Michael G. Wilson freilich keinen Kommentar über ihre Pläne. Wann dürfen wir mit einem neuen Film rechnen? Wer wird die Hauptrolle spielen? Wird Bond als Frau wiedergeboren?

Nachdem Daniel Craig am Ende von No Time to Die dann doch das Zeitliche gesegnet hat, drängt sich die Frage nach einem Neustart der Filmreihe umso mehr auf. Und in Zeiten des Umbruchs erinnert man sich gern an die eigenen Anfänge. Auch das eine gute Überbrückung bis zur nächsten Iteration. So passt Paul Duncans neues Buch zum ersten Filmabenteuer des britischen Agenten bestens in die Wartezeit.

Mit einem Detailgrad, wie ihn nur absolute Nerds aufbringen, zeichnet der Autor mit dem simplen, ja absolut anmutenden Titel «James Bond Dr. No» die verschiedenen Fäden der Genese des Leinwandhelden nach. Sieben Kapitel führen vom Autor Ian Fleming über die Produzenten Albert «Cubby» Broccoli und Harry Saltzman zum Dreh in Jamaika und den Pinewood Studios. Auf dem Weg wird klar, dass der britische Agent nicht ohne Weiteres aus den Büchern auf die Leinwand gesprungen ist. Bereits die Vorgeschichte zu
Dr. No ist ein Krimi mit Deadlines, glücklichen Fügungen und einem nervenaufreibenden Pokerspiel auf Erfolg. Danach galt es, aus der Romanfigur eine Filmfigur zu schaffen, die die Balance zwischen Sex-Appeal, Brutalität, Charme und Dekadenz in wenigen Szenen etabliert.

Garniert mit hunderten Bildern, Briefen, Setlisten und Skriptseiten, erzählt Paul Duncan eine Erfolgsgeschichte nach. Das knapp 500 Seiten umfassende Werk könnte zum Nachschlagewerk für angehende Produzent:innen avancieren, die sich die Frage stellen, wie man eine Ikone erschafft. Für alle Anderen verkürzt es vielleicht etwas die Zeit bis zum nächsten Bond, auch wenn der exorbitante Preis die Freude wohl erheblich trüben wird. Michael Kuratli

Titel

James Bond Dr. No.

Autor

Paul Duncan

Verlag

Taschen Verlag, 492 Seiten.

Preis

CHF / EUR 750

9783446279438

Wahrheit auf dem Platz

Buch

Zur Wahrheit unterhält Werner Herzog bekanntlich ein zugleich ent- und angespanntes Verhältnis. Das ist Gegenstand unzähliger Anekdoten, Aufsätze, Erregungen seiner Kritiker:innen. Seinen Ansatz der Faktenfiktionen, ja sein Kunstverständnis, hat er lange schon als «ekstatische Wahrheit» ausgeflaggt, als Wahrheit, die sich, wie im Altgriechischen, entbergen soll; nicht in Faktentreue und Inszenierungsabwesenheit aufgehe. Sie ist für den Flunkerer und Fabulierer Werner Herzog also zentral, die Frage: Wie hältst du’s mit der Wahrheit? Jetzt hat er der Autobiografie ein dünnes Buch zum Komplex nachgeschoben, das mit einem Traktatstitel daherkommt, aber doch eigentlich eher den Charakter von übrig gebliebenen Notaten und Diktaten hat. So stehen da Herzog-Dogmatismen (wie seine Psychologieaversion) neben Opernparaphrasen, Historie und Legende neben oft erzählten autobiographischen Schnipseln, Filmerinnerungen neben doch eher mässig originellen oder informierten Zeitgeistbeobachtungen, alles ungeordnet, unbehauen fast. Zum Fake-News-Leitartikelkomplex, zu KI oder Post-Truth hat Herzog nicht nur nichts Neues, sondern eigentlich gar nichts beizutragen (macht er trotzdem). Aber dafür nehmen wir ihn ja auch nicht in die Hand oder gänzlich ernst. Mit seinen Arbeiten verhält es sich ohnehin wie mit dem berühmten Pinguin aus Encounters at the End of the World, der nun das Cover des Buches ziert: Sie gehen stur ihren Weg in die Weite. «But why?» Auf dem Platz, also in der Bewegung, liegt die Wahrheit. Daniel Eschkötter

Titel

Die Zukunft der Wahrheit.

Autor

Werner Herzog

Verlag

Carl Hanser, 112 Seiten.

Preis

CHF / EUR 22

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Orale Kulturgeschichte

Stand-Up

Keine Umwege, keine Umschweife, direkt zur Sache: Denn der Weg von der Hinterbühne vor das Publikum, der erinnere sie immer an jenen vom Kopf und von den Lippen über den Oberkörper nach unten, in den Schritt, zum Penis, wenn sie, wenn jemand einen Blowjob machen will – so eröffnet Jacqueline Novak ihr 90-minütiges Special, das mit Stand-up nicht falsch, aber auch nicht hinreichend bezeichnet und gewürdigt wäre, weil es doch eher eine monothematische Anstrengung sondergleichen ist, das Resultat einer jahrelangen Formung, Off-Broadway-Bühnenarbeit, disziplinierten Obsession und eine Sex- und Körper-Kulturgeschichte und Jugendautobiografie im Medium oder Genre des Stand-up über- und vermittelt durch einen einzigen Gegenstand und seine, nun ja, Umgebungen, eben die Fellatio, durch die Novak von da an rast- und atemlos, enthusiastisch, immer in Bewegung, in blauen Jeans und grauem T-Shirt, mit Pferdeschwanz und pragmatischen Sneakers durchrast, «a grey blur», in der Rolle einer noch jungen Frau, die sich ans Teenagerinsein und ihre sexuelle Initiation erinnert, fast zu virtuos, zu perfekt, zu komplex, zu eloquent, zu poetry-slammig, um das so schnell zu fassen, was da abläuft ohne Punkt und Komma als Autofiktion erotischer Edukation und Praktiken, als existenzielle Unterleibsphilosophie, die nicht einmal besonders dirty daherkommt, obwohl kein Detail ausgelassen, keine Falte und Furche unexploriert, keine Bezeichnung für das, kein Buchstabe, keine semantische Schicht, keine Regung von dem, worum sich alles dreht und doch zuviel Aufhebens gemacht wird, die delikate Dramaqueen Penis also, unumgedreht, keine Metapher unausgereizt bleibt für Akt und Organ und die Mythen, Geschichten, Ängste, die um sie kreisen, wie die von der enormen Empfindlichkeit und Verletzlichkeit des männlichen Geschlechts, die Sorge, versehentlich zuzubeissen, aber auch einfach die Unausweichlichkeit des Todes; kurz: zum Niederknien eben. Daniel Eschkötter

Titel

Get on Your Knees (GB/USA 1968)

Comedy-Special. Streaming bei Netflix

Autorin / Regie

Jacqueline Novak

Produktion

Animal Pictures


Fassbinder

Ausgebeutete Gefühle

Buch

Am Anfang von Ian Penmans Buch «Fassbinder. Tausende von Spiegeln» steht ein Zitat des Schriftstellers Vladimir Nabokov: «Denn es gibt mich nicht: Es gibt nur die Tausende von Spiegeln, die mich reflektieren.» Damit weist der englische Kulturjournalist nicht nur auf die Schwierigkeit hin, die schillernde Identität eines zu untersuchenden Künstlersubjekts zu erfassen, sondern er gibt zugleich seine bewusst unscharfe Forschungsmethode vor. Um das zersplitterte Leben des bedeutenden deutschen Filmregisseurs anschaulich zu machen, schreibt Penman einen Text, der sich in ein «Vorspiel», 450 durchnummerierte Fragmente sowie zwei dokumentarische Anhänge gliedert. Weil sich das Ganze von Fassbinders höchst widersprüchlicher Biografie nicht auf einen Begriff bringen lasse, strebt der Autor in poststrukturalistischer Manier keine lineare oder gar auf Vollständigkeit abzielende Darstellung an. Seine enorm informierte Studie ist vielmehr mäandernd, rhizomatisch verschlungen, radikal unausgewogen, «antidialektisch» und subjektiv.

Dieser mehr literarische Ansatz führt dazu, dass in Penmans vielfältigem Assoziationsraum nicht nur der Portraitierte, sondern auch die Erlebnisse und Kunsterfahrungen des Biographen eine gewichtige Rolle spielen. So wechselt der Interpret permanent zwischen Fassbinders wüstem Leben und seinem ausufernden Werk und eigener, kunstaffiner Sozialisation. Rainer Werner Fassbinders radikale Selbstentäusserung
macht ihn zu einem masslosen Künstler, der sein eigenes Zerrbild bestätigt und damit zum Mythos seiner selbst wird.

«Der RWF-Mythos hat alles!», schreibt Ian Penman zu Beginn seiner originellen Spurensuche. Fassbinder vereine in sich Homosexualität und Künstlertum, Drogensucht und Revolte, ein vorbildliches, durch ein Höchstmass an Disziplin geschaffenes Werk und ein unordentliches, verschwenderisches Leben im Schnittpunkt von linker Politik, Filmbesessenheit und Radikaltheater. Das Kino als Zufluchtsort wird für ihn schliesslich zum Spiegel der Selbsterkenntnis und die «Ausbeutbarkeit von Gefühlen» zu seinem Lebensthema. Wolfgang Nierlin

Titel

Ian Penman: Fassbinder. Tausende von Spiegeln

Autor

Aus dem Englischen von Robin Detje.

Verlag

Suhrkamp Verlag, 244 Seiten.

Preis

CHF 27 / EUR 20

Tarantino

Das Blut in den Adern Amerikas

Comic

Schon das bunte Album-Cover dieser schlicht «Quentin Tarantino» betitelten Graphic Novel des französischen Comic-Zeichners Amazing Ameziane stimmt angemessen beziehungsreich auf die folgende biografische Bildererzählung ein. Hier sind verspielt und detailreich jene Elemente versammelt, die sich als Referenzen und Einflüsse durch das Leben und Werk des amerikanischen Filmregisseurs ziehen. Dieser vergleicht seine Arbeit als Filmemacher mit dem Mixen eines Drinks. Nach seinen eigenen, imaginären Regeln erzeuge er eine Angstlust, der sich die Zuschauenden im Vertrauen auf den Regisseur hingeben müssen.

Der zu Beginn der Siebzigerjahre als Améziane Hammouche geborene Comic-Künstler integriert in seiner fantasievoll und abwechslungsreich gezeichneten Comic-Biografie Tarantinos postmoderne Stilvielfalt, indem er dem Buch nacheinander den Look einer VHS-Videokassette, einer Comic-Serie, vor allem aber eines dokumentarischen Interviews gibt, in dem sich der Portraitierte mit sich selbst unterhält. Die Zeichnung wechselt dabei von kleinteiligen Panels über markante Talking Heads bis hin zu Portraits in Plakatgrösse. Sprunghafte Schnitte und Szenenwechsel erinnern an Filmtechniken und machen die packende Erzählung immer wieder überraschend. Neben Infos über Weggefährt:innen und Statements von Kolleg:innen erzählt Tarantino selbst, indem er mit vielen Anekdoten, Insider-Wissen, aber auch mit gesellschaftspolitischen Streiflichtern mehr oder weniger chronologisch durch sein Werk führt.

Dieses zu kennen, ist zwar nicht zwingend, scheint aber Voraussetzung zu sein. Zumindest Amazing Ameziane erweist sich als exzellenter Kenner des tarantinoesken Universums. So werden popkulturelle Einflüsse, autobiographische Bezüge und ein ausuferndes Filmwissen
am künstlerischen Werdegang des 1963 geborenen, im Kino sozialisierten Regisseurs gespiegelt, der mit seinen Filmen «aus populärer Kunst anspruchsvolle Kunst schaffen» will. Wolfgang Nierlin

Titel

Amazing Ameziane: Quentin Tarantino.

Autor

Aus dem Französischen von
Christoph Haas.

Verlag

Splitter Verlag, 2040 Seiten.

Preis

CHF 50 / EUR 35

Witchfinder general german blu ray movie cover

Unmittelbar brutal

Blu-ray

1968 – eine Jahreszahl als Symbol des Aufbruchs. Aber auch das Jahr des Massakers von My Lai (Vietnam), der Ermordung von Martin Luther King und Robert Kennedy, der Okkupation der ČSSR – Gewalt von Menschen gegen Menschen, manchmal staatlich sanktioniert. Das machte Witchfinder General damals gegenwärtig, auch wenn er im England des Jahres 1645 angesiedelt ist. Ein Angriff auf das Publikum ist er auch heute noch: in der Direktheit seiner Darstellung, in der Verknüpfung von unterdrückter Sexualität und Lust an der Folter, in der Denunziation des Nachbarn: Gewalt als ansteckende Krankheit.

Regisseur Michael Reeves war ein Filmverrückter. Leider blieb diese dritte Regiearbeit seine letzte. Er starb, erst 25-jährig, ein Jahr nach Erscheinen von Witchfinder General. Allein wie er hier Vincent Price seine liebgewonnenen Manierismen austreibt (und ihn damit erst zu einer wahrlich dämonischen Figur macht), zeigt, dass er sein Handwerk beherrschte.

Jetzt liegt der Film in einer mustergültigen Edition vor, mit vielen Extras, darunter mehrere Dokumentationen (zus. 123 Min.) und vier Audiokommentare (die beiden englischen deutsch untertitelt), die aus verschiedenen Perspektiven Licht auf dieses düstere Meisterwerk werfen. Frank Arnold

Titel

Witchfinder General (GB/USA 1968)

Regie

Michael Reeves

Verlag

Wicked Vision

Preis

CHF 29 / EUR 27

American graffiti n01 06 xp szn

Coming-of-Age-Slow-Cinema

Blu-ray

Nostalgisch-verklärter geht fast nicht. Zumindest trifft das auf die wunderbaren Bilder zu, die Regisseur George Lucas 1973 für seine langsam erzählte Coming-of-Age-Geschichte fand, und die nun, in 4K-Ultra-HD auf einer neuen Blu-ray von Universal, frischer denn je erstrahlen. Denn hinter diesen nostalgischen Aufnahmen verbirgt sich in American Graffiti auch eine gehörige Portion Schmerz, Verlassenheit, Ahnungslosigkeit – eben alles, was die jungen Wilden antreibt, die hier mit Autos ums Diner kreisen, in der letzten Sommernacht, bevor das Leben ernst wird. Die Geschichte spielt 1962, der Film ist aber eher ein Denkmal, erbaut für die Fünfzigerjahre, bis zum Rand gefüllt mit der Popkultur jener Zeit, die Lucas selbst aus seiner eigenen Jugend im kalifornischen Modesto kennt.

Davon erzählt der Regisseur, im Kommentar, der dieser Blu-ray-Ausgabe als Bonus beigefügt ist. Auch dem Making-of und den originalen Screen-Tests ist zu entnehmen, wie einer der einflussreichsten Teenie-Filme, nun gute 50 Jahre alt, damals entstand. Selina Hangartner

Titel

American Graffiti (USA 1973)

Regie

George Lucas

Verlag

Universal

Preis

CHF 29 / EUR 27

Performance Blu Ray

Tripping mit Mick Jagger

Blu-ray

Ein Film mit Mick Jagger in der Hauptrolle! Den hatten sich die Bosse von Warner Bros. 1968 allerdings anders vorgestellt. Sie waren entsetzt und ordneten eine neue Schnittfassung an. 1970, als man dank Woodstock erkannte, dass sich auch mit Gegenkultur gutes Geld verdienen liess, brachte man das Regiedebüt des Autors Donald Cammell und des Kameramanns Nicolas Roeg doch noch heraus.

Als East-End-Gangster Chas (James Fox) auf der Flucht bei dem gealterten Rockstar Turner (Mick Jagger) untertaucht, der sich mit zwei Frauen in einem Haus von der Welt zurückgezogen hat, beginnt ein Spiel mit Identitäten, das die traditionelle Männlichkeit von Chas zunehmend infragestellt. Irritation, Verstörung, Verwandlung.

Mithilfe von Magic Mushrooms begibt sich Chas auf einen Trip mit ungewöhnlichem Ausgang, während Turner mit «Memo from Turner» zu einer neuen Identität findet – vielleicht nicht das erste Musikvideo aller Zeiten, aber eine grandiose Sequenz. Erweitert haben sich am Ende auch die Sehgewohnheiten der Zuschauer:innen durch die zahlreichen flash forwards und die kunstvolle Montage, Merkmal auch der späteren Filme Nicolas Roegs. Ein Film, der eine Ära auf den Punkt bringt und ihr gleichzeitig meilenweit voraus ist. Auf Deutsch erstmalig auf Blu-ray, ergänzt um eine informative Doku (25 Min.) und den erhellenden Dialog zweier Cineasten (60 Min.), die der Film damals umgehauen hat. Frank Arnold

Titel

Performance (GB, 1970)

Regie

Donald Cammell, Nicolas Roeg

Verlag

Plaion

Preis

CHF 30 / EUR 29

Kiening Die Absoluten Buch KB

Reine Bewegung

Buch

«Die Absoluten», das waren Künstler:innen hauptsächlich in den Zwanzigerjahren, die sich vom zeitgeschichtlichen Ballast mit abstrakter Ästhetik befreien wollten. Der Literaturwissenschaftler Christian Kiening schrieb über sie ein Buch, das sich Schritt für Schritt rückwärts durch die Geschichte tastet, hin zum Ursprungsmoment der Bewegung.

Kiening fasst diese Vergangenheit, der er bereits konventioneller begegnet ist (2012 im Sammelband «Der absolute Film»), passend experimentell als «poetische Geschichte», geleitet durch die Lust an der Sprache und gerahmt von Metareflexionen über die eigene Geschichtsschreibepraxis. Seine Texte machen Geschehenes lebendig und gegenwärtig, im Stil von Notizen fast, einem Stream-of-Consciousness. Das ist unkonventionell, etwas gewöhnungsbedürftig auch, aber zeigt einen kreativen Weg, über dieses schon vielbearbeitete Feld der Kunst-/Filmgeschichte Neues zu erfahren. Selina Hangartner

Titel

Die Absoluten. Auf der Suche nach dem wahren Film

Autor

Christian Kiening

Verlag

Wallstein, 140 Seiten.

Preis

CHF 32 / EUR 20

KB 2 24 Klassiker Filmgeschichte

Reise ins Kinoversum

Comic

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Kinostreifen? Keine leichte Aufgabe. Die Filmexpert:innen Alexis Thébaudeau und Elsa Gambin haben versucht, dieser Herausforderung gerecht zu, und präsentieren mit «Klassiker der Filmgeschichte» eine kurzweilige Reise durch 120 Jahre Filmgeschichte. Zu jedem Film bietet das Buch einen Steckbrief, Hintergrundinformationen, eine Einordnung im historischen Kontext und einen kurzen Comic, der interessante Anekdoten erzählt. Insbesondere für weniger mit dem Kino vertraute Leser:innen liefern die Kapitel fesselnde Informationen.

Die Reise beginnt 1902 mit George Méliès’ Le voyage dans la lune, dem eigentlich ersten Spielfilm der Kinogeschichte. Der Erfinder der Stop-Motion-Technik verdiente nichts daran und verbrannte all seine Filme, um schliesslich seinen Lebensunterhalt mit einem Süsswaren- und Spielzeugstand am Bahnhof Montparnasse zu bestreiten. Die von verschiedenen Comicautor:innen gestalteten Anekdoten sind das eigentliche Highlight des Buches. Hier wird aufgedeckt, wie George Lucas das Geheimnis von Darth Vader bis zum Ende der Dreharbeiten zu Star Wars – The Empire Strikes Back Anfang der Achtziger vor den Darsteller:innen verbergen konnte, dass niemand Marlon Brando als den Paten (für die Godfather-Trilogie) haben wollte, oder wie Sergej Eisenstein die letzte Filmrolle von Panzerkreuzer Potemkin (1925) mit Spucke zusammenklebte, da der Leim ausging – während die Premierenbesucher:innen bereits im Saal warteten, inklusive der zukünftige Diktator Josef Stalin.

«Klassiker der Filmgeschichte» ist ein unterhaltsames und praktisches Kompendium, das man immer wieder zur Hand nehmen und durchblättern kann. Bei jedem Projekt dieser Art wird es jedoch kritische Lücken geben. So vermisst man beispielsweise die Werke von Charles Chaplin, Stanley Kubrick oder John Ford. Die Diversität ist ebenfalls begrenzt: Abgesehen von Akira Kurosawa (Shichinin no samurai/Die Sieben Samurai) und Eisenstein stammen alle Regisseure aus westlichen Ländern. Regisseurinnen sind lediglich mit Kathryn Bigelow und Alice Guy vertreten. Immerhin wird hin und wieder die #MeToo-Debatte um Filmpersönlichkeiten wie Harvey Weinstein und Woody Allen erwähnt. Martin Scorsese, der Kritiker von Superheldenfilmen, wird wenig Freude am Buch haben,
da Marvel-Blockbusters wie Avengers: Endgame es ins Buch geschafft haben. Ironischerweise wurde Scorsese, der Hardcore-Cineast, nicht aufgenommen. Giovanni Peduto

Titel

Klassiker der Filmgeschichte

Autor:innen

Alexis Thébaudeau, Elsa Gambin, u.a.

Verlag

Splitter, 192 Seiten

Preis

CHF 45.50 / EUR 35

The deep house S3 K6 XE

French-Extremity-Horror aus der Tiefe

Blu-ray

Verfallene Häuser haben für dieses junge, abenteuerlustige Youtuber-Paar einen unheimlichen Charme. Für ihren Channel besuchen die beiden solche vergessenen Orte, als wäre es eine Mutprobe. Immerhin könnte es dort spuken. Die beiden französischen Regisseure Alexandre Bustillo und Julien Maury wurden vor fast 20 Jahren mit ihrem grenzüberschreitenden Horrorfilm À l’intérieur (Inside, 2007) als Vertreter der New French Extremity bekannt. Seitdem sind sie dem Genre treu geblieben und haben mit Leatherface unter anderem auch ein Prequel zur Texas Chainsaw Massacre-Reihe beigesteuert. The Deep House ist nun ihre zweite auf Englisch gedrehte Regiearbeit und bringt ihre Held:innen genretypisch an einen ungewöhnlichen Schauplatz, der weitaus schauderhafter ist, als es sich die beiden erträumt haben.

In einem einst gefluteten Waldgebiet in Südfrankreich befindet sich ein abgelegener See, auf dessen Grund ein perfekt erhaltenes Haus steht. Auf den ersten Blick ist der Film eine Variation des klassischen Haunted-House-Horror, bei dem das Paar zwischen altmodischer Blümchentapete und finster dreinschauenden Puppen auf eine düstere Vorgeschichte rund um Kindermorde und Satanismus stösst. Dass die Handlung überwiegend unter Wasser spielt, weiss The Deep
House
jedoch so originell wie effektiv zu nutzen. Zum einen etabliert das Regie-Duo durch die türkis-schimmernde Dunkelheit, den schwindenden Sauerstoff und die eingeschränkte Bewegungsfreiheit eine ungemein beklemmende Atmosphäre. Zum anderen schafft Kameramann Jacques Ballard dazu impressionistisch albtraumhafte Bilder, die ein perfides Spiel mit unserer Orientierung treiben.

Ein fieser, klaustrophobischer und nihilistischer Gruselfilm, der mit über zweijähriger Verspätung nun exklusiv auf DVD und Blu-ray erscheint. Michael Kienzl

Titel

The Deep House (FR, BE 2021)

Regie

Alexandre Bustillo, Julien Maury

Verlag

Turbine Medien

Preis

CHF 35 / EUR 30

Wiseman Buch

Frederik Wiseman – Das Schauspiel der Gesellschaft

Buch

Er gilt als Filmemacher, der sich immer wieder mit dem Funktionieren von Institutionen auseinandergesetzt hat: geduldig die Abläufe beobachtend in einer psychiatrischen Klinik, beim Militär, in einem Kunstmuseum oder in der New Yorker Public Library. 47 Filme, der längste 358 Minuten lang, hat Frederick Wiseman seit 1967 realisiert. Die jüngste Arbeit des mittlerweile 94jährigen amerikanischen Dokumentaristen, Menus Plaisirs, ist am 1. Februar 2024 im Filmpodium Zürich zu sehen. Dessen stellvertretender Leiter Hannes Brühwiler hat jetzt ein Buch über ihn herausgegeben, basierend auf einer Retrospektive, die er 2022 für das Berliner Kino Arsenal zusammenstellte.

Vierzehn Autor:innen sind in dem Band vertreten, darunter auch einige Filmregisseure wie Mischa Hedinger oder Henner Winckler. Von Wiseman selber gibt es zwei ältere Texte, dazu das Publikumsgespräch aus dem Arsenal, in dem er sowohl Auskunft über die Zusammenarbeit mit seinen Kameraleuten als auch generell über seine Arbeitsweise gibt. Während der Herausgeber mit seiner kommentierten Filmografie einen Überblick gibt, richten die Essays den Blick eher auf Details, etwa die Anfänge der Filme, die «Inszenierung der Worte» oder die Funktion von «Brückenbildern» in den Filmen.

Nicht wenige der Texte sind persönlich gehalten und reflektieren das eigene Verhältnis zu den Filmen Wisemans. Gerd Kroske etwa war schockiert von der «Härte und Brutalität», die er beim ersten Sehen von dessen Debütfilm Titicut Follies wahrnahm. Manche Texte widmen sich einzelnen Filmen oder mehreren, die sich zueinander gruppieren lassen (etwa Wisemans «Stadtfilme»). Auch hier liegt das Augenmerk auf Details der Gestaltung, was bei Wiseman vor allem Montage bedeutet. Er selber spricht vom «Material, das keine Form hat ausser der, die ich ihm auferlege» und betont auch, dass der fertige Film «nicht chronologisch aufgebaut (ist). Die Struktur ist völlig fiktiv.» Das zwingt das Publikum, die eigenen Vorstellungen von dem, was einen Dokumentarfilm ausmacht, in Frage zu stellen. Generell ist dies ein Buch, das eher Fragen stellt als Antworten gibt. Was ja nie verkehrt ist. Frank Arnold

Titel

Frederick Wiseman. Das Schauspiel der Gesellschaft.

Herausgeber

Hannes Brühwiler

Verlag

Bertz+Fischer, 185 Seiten.

Preis

CHF 44 / EUR 29

Cinemaluna mehr film 2023 3

Filmisches Vermächtnis

DVD-Box

Die Anfänge des 1949 in Frauenfeld geborenen Filmregisseurs und Fotografen Friedrich Kappeler fielen in die Zeit des «Neuen Schweizer Films», doch im Gegensatz zu zahlreichen Deutschschweizer Filmschaffenden aus der 68er-Generation baute Kappeler nie auf soziologisch untermauerte Gesellschaftskritik. Stets stand in seinen Filmen die persönliche Begegnung im Zentrum. Dabei gerieten zu Beginn seiner Laufbahn, dem Zeitgeist geschuldet, auch mehrmals Aussenseiter ins Bild. Im unvergessenen, nun erstmals offiziell veröffentlichten mittellangen Dokumentarfilm Müde kehrt ein Wanderer zurück (1975) ist es Kappelers langjähriger Nachbar, der nach zahlreichen Schicksalsschlägen in ein Heim in seinem Bürgerort abgeschoben wird, den er kaum kennt. Kappeler begegnet dem alten Mann mit Respekt und Empathie, auch in den zahlreichen späteren Portraitfilmen hat er nie jemanden instrumentalisiert oder blossgestellt.

Ein Merkmal von Kappelers Filmen sind die sorgfältigen Bildkompositionen, «poetische Momente voller Wärme und Witz», wie es im reich illustrierten Booklet der soeben erschienenen DVD-Box heisst. Sodann verdienen es die Schauplätze und Drehorte, speziell erwähnt zu werden: Es gibt im Schweizer Filmschaffen wohl kein anderes Werk, das die Kleinstadt, das Dorf und den Raum dazwischen so liebevoll, und doch fern jeder Heimattümelei, gezeichnet hat.

Die Box umfasst auf sieben DVDs sämtliche zwölf Filme Kappelers von den frühesten Studien, gedreht während der Ausbildung zum Fotografen an der Kunstgewerbeschule Zürich (heute ZHdK), bis zu Gerhard Meier – Das Wolkenschattenboot (2007). Sämtliche Titel wurden neu editiert (und teilweise mit zuschaltbaren Untertiteln versehen), restauriert und in digital in 2K gemastered. Dabei wurde, wann immer möglich, auf Originalnegative zurückgegriffen. Die Edition überzeugt auch durch ihre Aufmachung, die Kartonhüllen zu den einzelnen DVDs bieten informative Klappentexte und warten mit einer Fülle von Standfotos und Aufnahmen vom Dreh auf.

Friedrich Kappeler erlebte die Fertigstellung seiner Werkausgabe nicht mehr, er verstarb im Herbst 2022. Die DVD-Box ist nun zu seinem Vermächtnis geworden, und dank der mustergültigen Restauration leuchten seine Filme nun heller denn je. Felix Aeppli

Titel

Friedrich Kappeler Filme 1972–2007.

Redaktion

Christof Stillhard

Weitere Infos

Erschienen bei Praesens-Film AG Zürich.

Preis

CHF 120

Ode ans italienische Bahnhofskino

Ode ans italienische «Bahnhofskino»

Buch

Zugegeben, der häufig etwas flapsige Stil des Autors ist gewöhnungsbedürftig (führt aber auch immer wieder zu pointierten Charakterisierungen). Mit seinem mittlerweile fünften Hardcoverbuch ist der Berliner Autor Christian Keßler, nach dem vorangegangenen zum Film Noir, zurückgekehrt zum eher verpönten «Bahnhofskino», das er 2011 bereits mit einer Veröffentlichung zum «amerikanischen Hardcorefilm von 1970 bis 1985» gewürdigt hatte, zurückgekehrt auch zu einer langjährigen Vorliebe, entstanden in seinen «frühen Studienjahren».

Wie immer chronologisch angeordnet und exzellent bebildert (fast ausschliesslich mit tollen Plakatmotiven), geht es diesmal um italienische Kriminalfilme. 219 davon werden kenntnisreich (auch im Hinblick auf verschiedene Fassungen) und zugeneigt vorgestellt.

Dabei thematisiert der Autor auch nationale Eigenheiten wie die Rolle der Mafia oder den Einfluss der «bleiernen» Jahre; Filme, die seinerzeit von der Kritik als reaktionär verdammt wurden, vermag er in ihren Ambivalenzen darzustellen. Neben Arbeiten anerkannter Regisseure wie Francesco Rosi und Damiano Damiani erfahren die Leser:innen auch fast alles über Enzo G. Castellari, Umberto Lenzi und Antonio Margheriti, eher bekannt für ihre parallel entstandenen Horrorfilme.

Dass es Sinn macht, Gangsterfilme und «Poliziesco» in einem Band zu behandeln, zeigen die Filme selber, mit Protagonisten, die aus den untersten Schichten des verarmten Südens stammen und eine Aufstiegschance nur als Gangster sehen, oder aber Polizisten, die in puncto Gewaltanwendung so wenig Skrupel haben wie die Gangster, denen sie das Handwerk legen wollen: Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind fliessend, auch ein Darsteller wie Tomas Milian brilliert auf beiden Seiten des Gesetzes. Frank Arnold

Titel

Bleigewitter über Cinecittà. Gangster und Polizisten im italienischen Kino von 1960–1984.

Autor:in

Christian Keßler

Verlag

Verlag Martin Schmitz, 355 Seiten.

Preis

CHF 50 / EUR 36

Ridley Scott: Workaholic, Mogul und Auteur?

Buch

Während sein 17 Monate älterer Landsmann Ken Loach mit seinem jüngsten Film seinen Abschied vom Filmemachen ankündigte, hat Ridley Scott mit 86 Jahren gleich mehrere Filme in Arbeit bzw. Vorbereitung. Neben 30 abendfüllenden Regiearbeiten zeichnet er als Produzent zudem für gut 150 Werke, Filme wie Serien, verantwortlich – ein «Workaholic», ein «Mogul», bekannt für «ausdrucksstarke Visualität» und «Akribie».

Die Kritiken zu seinem jüngsten Epos Napoleon waren geteilt, aber dass er mit Alien und Blade Runner in nur vier Jahren gleich zwei Klassiker des Science-Fiction-Films (mit überragendem Einfluss) geschaffen hat, ist unbestritten. Auch bei Scott wird wieder einmal die Frage aufgeworfen: Auteur oder nicht?

Eine komplexere Antwort gibt dieser Sammelband mit sieben Aufsätzen, die sowohl Übergreifendes («verschleierte Identitäten») als auch Einzelanalysen (zu Thelma & Louise und The Martian) liefern. Besonders aufschlussreich: Georg Seeßlen über Scotts Verhältnis zum Genre-Kino; auch über seine Tätigkeit als Regisseur von Werbespots erfährt man Näheres. Ob sich Scott und Loach 1964/65, als sie beide Episoden der BBC-Polizeiserie Z Cars inszenierten, wohl mal über den Weg gelaufen sind? Frank Arnold

Titel

Ridley Scott (Film-Konzepte 67)

Autor:in

Jörg Helbig

Verlag

edition text+kritik, 111 Seiten.

Preis

CHF 31 / EUR 20

Last Contact

Last Contact

Blu-ray

Ein dystopisches Kammerspiel: 2063 ist die Erde weitgehend überflutet, die zwei verbliebenen Kontinente stehen im kriegerischen Konflikt. Auf einer Beobachtungsplattform am Rand der Welt wartet die Besatzung, drei Männer und eine Frau, nach zwei Jahren auf ihre Ablösung. Doch die ist seit drei Monaten überfällig, die Stimmung gereizt, während endlosem Warten flammen immer wieder Streitigkeiten und Handgreiflichkeiten auf. Man darf sich durchaus an das Warten auf den unsichtbar bleibenden Feind in Dino Buzattis (auch verfilmtem) Roman «Die Tartarenwüste» erinnert fühlen. Als sich an Bord eines ankommenden Schiffs keine lebende Seele findet, liegen die Nerven blank. Der Kommandeur (Thomas Kretschmann) lässt schon mal die Atombombe scharf machen … Ein sehr physischer Film mit eindrucksvollen Scope-Kompositionen und bemerkenswertem Sounddesign. Frank Arnold

Titel

The Last Sentinel (EST/DE/GB 2023)

Regie

Tanel Toom

Weitere Infos

112 Minuten, erschienen bei weltkino (Blu-ray, DVD)

Die Kommentatoren des Post Cinema jpg

Offenes Kino

Buch

Die Sorge, dass der Cinephilie und auch der Kinotheorie mit Digitalisierung und Saalschliessungen ihre Orte und ihr Gegenstand verloren gehen könnten, ist während und nach der Pandemie nicht kleiner geworden. In seinem neuen Buch über zwei «Kommentatoren des Post-Cinema» (teilweise) avant la lettre, Serge Daney und Jean-Luc Godard, begegnet der (auch für dieses Magazin schreibende) Kritiker Philipp Stadelmaier dieser berechtigten Sorge nicht mit Begriffen wie Relokalisierung oder Screen Studies, aber auch nicht mit Indifferenz und schon gar nicht mit einem Abgesang, sondern mit einer empathischen Bewegung zurück nach vorn: Der Kritiker Daney und der Kritiker-Regisseur Godard werden in seinen genauen Lektüren zu Advokaten eines Kinobegriffs, der reflexiver, flexibler oder vielmehr offener ist, als es jede Rede vom Ende impliziert.

Stadelmaiers Buch ist eigentlich der Versuch, einen Satz von Gilles Deleuze konsequent bis zum Ende zu verfolgen und auszulegen: was das heissen könnte, Daneys – und Godards – Kritik als «Wacht über ein Supplément», einen Überschuss, eine Unausdeutbarkeit des Kinos zu begreifen.

Die Theorietraditionen, die Stadelmaier damit aufruft und in die er Godard und Daney letztlich auch stellt, wenn auch im Bewusstsein, dass sie darin nicht aufgehen – vor allem Michel Foucault, Maurice Blanchot, Jacques Derrida und ihre Begriffe –, sind zwar nicht verschüttet, aber auch nicht mehr gerade de rigueur im Film- und Medientheoriediskurs der Gegenwart.

Stadelmaier erweist sich damit nicht zuletzt auch selbst als ein Wächter, der französische Theorielinien im Kinodenken noch einmal verfolgt und dick markiert, als selbst nicht so geheimer Agent einer frühromantisch inspirierten Philologie des Films und einer Apotheose von Kritik, die letztlich eben doch kein Supplement oder gar Appendix des Kinos ist, sondern selbst Teil desselben. Daniel Eschkötter

Titel

Die Kommentatoren des Post-Cinema. Serge Daney, Jean-Luc Godard und die Rephilologisierung des Kinos im digitalen Zeitalter.

Autor:in

Philipp Stadelmaier

Verlag

Bielefeld: transcript Verlag, 288 Seiten.

Preis

CHF 68 / EUR 50. Open access bei transcript-verlag.de

North by Northwest

Filmemacher:innen über Hitchcock

Buch

Beim Untertitel dieses Buches vermutet der oder die mit Hitchcock vertraute Leser:in womöglich eher etwas über die Einflüsse, die Hitchcock aus Deutschland aufgenommen hat (er arbeitete in den Zwanzigerjahren in Münchner Filmateliers). Stattdessen erwarten uns «Gesprächsessays» mit sieben deutschen Filmemacher:innen. Christian Petzold, Dominik Graf, Andreas Kleinert, Rainer Kaufmann, Hermine Huntgeburth, Sophie Linnenbaum und Nana Neul geben Antworten auf die Fragen des Autors – wie Josef Schnelles vorangegangene Bücher über Volker Schlöndorff und Werner Herzog basiert auch dieses auf einer Langen Nacht im Radio.

Ausgangspunkt sind jeweils einzelne, ikonische Szenen, natürlich die Duschszene aus Psycho oder der Flugzeugangriff auf Cary Grant in North by Northwest. Die Szenen werden nicht nur durch Beschreibung, sondern auch durch zahlreiche Screenshots ins Gedächtnis gerufen, mithilfe abgedruckter QR-Codes kann man sie auf mobilen Geräten zudem als Bewegtbilder sehen. Zwischen Erinnerungen an das erste Sehen der Filme und der präzisen analytischen Einordnung (besonders bei Graf und Petzold) liegen die Aussagen. Vor allem geht es darum, wie Hitchcocks Werk die eigene Arbeit beeinflusst hat. In der Vielfalt der Antworten darauf liegt das Anregende dieser Lektüre. Frank Arnold

Titel

Der unsichtbare Dritte. Hitchcock und der deutsche Film.

Autor:in

Josef Schnelle

Verlag

Schüren, 181 Seiten.

Preis

CHF 30 / EUR 22

Zwischen Folk-Spuk und Hai-Superlative

Buch

Sein letzter Film, Meg 2, dürfte in diesem Sommer als kalkulierter Blockbuster viele Fans enttäuscht haben, aber der Brite Ben Wheatley bleibt einer der originellsten derzeitigen Filmemacher:innen mit seinem «steten Spagat zwischen Arthouse-Horror und Mainstream-Kino», wie der Herausgeber Sascha Seiler seine einleitenden Bemerkungen überschreibt.

Acht Autor:innen setzen sich in ihren Texten mit den Filmen des Regisseurs auseinander. Seine Fernseharbeit Happy New Year, Colin Burstead wird zweimal gewürdigt, sein mit minimalem Budget realisierter Debütfilm Down Terrace leider nicht.

Manche seiner Filme hatten ausserhalb Grossbritanniens keinen Kinostart, so auch der 2021 am NIFF in Neuchâtel gezeigte In the Earth, mit dem sich Wheatley erneut dem Genre des Folk-Horrors zuwandte. Der Band ist ein Wegweiser zum Werk des hier noch zu wenig beachteten Regisseurs. Frank Arnold

Titel

Ben Wheatley (Film-Konzepte 69)

Autor:in

Sascha Seiler

Verlag

edition text+kritik, 116 Seiten.

Preis

CHF 42 / EUR 28

Master gardener

Mysteriöse Vergangenheit

Blu-ray

Der Mann ist ein Experte auf seinem Gebiet und er liebt, was er tut, das ist seinen Überlegungen im Off sofort anzumerken. Narvel Roth ist Gärtner, mit seiner kleinen Gruppe von Mitarbeiter:innen pflegt er das grosse Grundstück einer reichen alten Dame, Mrs. Haverhill. Dass Narvels Existenz fragil ist, sieht man in den anfangs kurzen, dann ausführlicher werdenden Rückblenden. Sie zeigen, dass er ein früheres Leben hatte, eines, das zum jetzigen vollkommen konträr ist und um einiges gewaltvoller war. Mehr sei hier nicht verraten, denn der Film hat Zuschauer:innen verdient, die das Mysterium von Neuem entdecken.

Es geht, wie fast immer bei Paul Schrader, um redemption, um Erlösung, um Sühne für die Schuld, die ein Mensch (bei Schrader immer ein Mann) auf sich geladen hat. Muss die immer in einen Akt der Gewalt münden? Filme wie Schraders vorletzter, The Card Counter, oder die von ihm geschriebenen Taxi Driver und Rolling Thunder legen das nahe. Aber es gibt auch immer wieder die Hoffnung auf Erlösung, man denke nur an die aufeinander zugehenden Hände eines Mannes und einer Frau am Ende von American Gigolo, zitiert in The Card Counter, und eine Referenz an Robert Bresson (Schraders grosses Vorbild), dessen L’Argent hier bei einem Kinobesuch Tribut gezollt wird.

Master Gardener lebt vom Kontrast: einerseits die liebevolle Ausführung von Narvels Tätigkeit und die Zuneigung, mit der er sie in seinen Tagebucheintragungen beschreibt, andererseits die Gewalt am Ende des Films. Verknüpft werden sie durch Narvels Gedanken, die Parallelen zwischen dem Umgang mit Pflanzen und jenem mit Menschen ziehen.

Was für den Film einnimmt, ist auch die Komplexität seiner drei Hauptfiguren: Mrs. Haverhill weiss um die Vergangenheit ihres Angestellten, sie nutzt das auch, um eine weitere «Dienstleistung» von ihm einzufordern (die schon in früheren Schrader-Filmen eine zentrale Rolle spielte). Sigourney Weaver verkörpert diese Figur mit Eiseskälte, besonders gegenüber ihrer Grossnichte Maya, die Narvel nach dem Tod von deren Mutter in seine Gartenarbeit einbinden soll. Die negative Einstellung zur Verstorbenen überträgt Mrs. Haverhill auch auf deren Nachfahrin. Und als Maya erfährt, was Narvel früher gemacht hat, ist auch hier das gerade aufgebaute Vertrauen erst einmal zerstört. Wie das wieder hergestellt wird, das gehört zu den eindringlichsten Szenen dieses Films. Frank Arnold

Titel

Master Gardener (USA 2022)

Regie

Paul Schrader

Weitere Infos

111 Min., erschienen bei Leonine.

Preis

CHF 20 / EUR 15

Die Zeitnach Mitternacht

Nach Mitternacht im Grossstadtchaos

Blu-ray

An After Hours (Die Zeit nach Mitternacht) denkt man beim Namen Martin Scorsese wohl zuletzt. Das kann nicht nur daran liegen, dass dieser Film schon fast 40 Jahre alt ist. Schliesslich ist auch der vor 50 Jahren gedrehte Mean Streets heute noch ein Begriff, so wie viele weitere Gangsterfilme dieses Regisseurs – eine surreale, schwarze Grossstadtkomödie dagegen hat er nur ein einziges Mal gedreht (wenn man nicht gerade seinen Beitrag zum Episodenfilm New York Stories dieser Gattung zuschlagen möchte).

Albtraum einer Nacht: Der New Yorker Programmierer Paul Hackett lernt abends in einem Diner eine junge Frau kennen. Später folgt er Marcys Einladung in ihr Apartment im Künstler:innenviertel SoHo und muss feststellen, dass sie keine ganz unkomplizierte Person ist. Dann trifft er auf eine Reihe seltsamer Charaktere und wird schliesslich von einem Mob als vermeintlicher Einbrecher verfolgt. Da er sein Geld verloren hat, sieht er zunehmend die Möglichkeit schwinden, nach Hause zu kommen.

Paul ist fast immer in Bewegung, ebenso die Kamera von Michael Ballhaus, was dem Film eine Atemlosigkeit verleiht. Für Ballhaus war es die erste Zusammenarbeit mit Scorsese, wobei ihm das schnelle Drehen der Fassbinder-Filme im Jahrzehnt davor zugutekam. Im Rückblick wertet er es als Glücksfall, dass der ungleich aufwändigere The Last Temptation of Christ kurz vor Drehbeginn abgesagt wurde. So sieht es auch Scorsese, der sich selbst mit After Hours beweisen konnte, dass er Filme auch relativ schnell drehen kann – 42 Drehtage, gegenüber jeweils 100 bei Raging Bull und King of Comedy zuvor.

Der Audiokommentar, zu dem neben den beiden auch Griffin Dunne (Hauptdarsteller und Produzent), Amy Robinson (Produzentin) und Thelma Schoonmaker (Cutterin) beitragen, ist detailliert und höchst aufschlussreich, was diese aussergewöhnliche Produktion anbelangt. Er entstammt, wie zwei entfallene Szenen und eine kurze Dokumentation (19 Min.), der 2004 erschienenen amerikanischen DVD. Diese erste deutsche Blu- ray-Veröffentlichung präsentiert den Film im Digibook auf Blu-ray und DVD, mit umfangreicher Bildergalerie und Booklet. Eine schöne Ausgrabung in ansprechender Gestaltung. Wobei hinzuzufügen wäre, dass After Hours vor einigen Monaten auch bei Criterion (in den USA und in Grossbritannien) erschienen ist: Diese Ausgabe enthält zusätzlich zwei neue Beiträge (zusammen 38 Min.) und eine 4K-Aufbereitung. Frank Arnold

Titel

After Hours (USA 1985)

Regie

Martin Scorsese

Weitere Infos

97 Min., erschienen bei Plaion Pictures.

Preis

CHF 35 / EUR 30

Crazythunderroad24

Cyberpunk-Western-Tokio

Blu-ray und Vod

Rivalisierende Biker-Gangs versuchen sich an einer Allianz des Friedens. Doch während sich der Anführer nach einem bequemen bürgerlichen Leben sehnt, begreift der aufbrausende Unruhestifter Jin jeden Kompromiss als Niederlage. In seinem pulpig-existenziellen Abschlussfilm aus dem Jahr 1980 widmet sich der japanische Underground-Regisseur Sogo Ishii der brutalen und destruktiven Energie jugendlicher Wut. Von seinen wohlmeinenden Kumpels lässt Jin sich ebenso wenig beruhigen, wie er sich dem Anti-Individualismus einer faschistischen Bewegung beugen will. Crazy Thunder Road erzählt von der Unmöglichkeit einer Zähmung und ist mit seiner Do-it-yourself- Ästhetik, der entfesselten Kamera sowie dem ständig auf der Tonspur hämmernden Punk und Bluesrock selbst Inbegriff einer Rebellion, die keine Gefangenen macht.

Ähnlich eigenwillig wie Ishiis impulsive Inszenierung ist auch das futuristische Cyberpunk-Setting. Zwar tragen die Rocker wie in den Sechzigern Lederjacken, pomadiertes Haar und grosse Sonnenbrillen, aber die zerrütteten Lagerhallen und urbanen Betonwüsten, in denen der Film angesiedelt ist, atmen den Geist einer düsteren Science-Fiction. Im ansonsten menschenleeren Tokio wirken die ständig unter Strom stehenden Biker wie die letzten Überlebenden einer nuklearen Katastrophe. Statt sich jedoch einer Utopie zu verschreiben, zieht Crazy Thunder Road mit einem bleihaltigen Western-Showdown hinein in einen Strudel männlichen Zerstörungsdrangs. Die klassische Geschichte vom unangepassten Jugendlichen wird dabei zur nihilistischen Aussenseiter-Hommage, die in den Qualmwolken eines Vulkans endet. Im deutschsprachigen Raum ist dieser Rohdiamant des unabhängigen japanischen Kinos diesen Frühling zum ersten Mal in restaurierter Fassung auf Blu-ray und als VoD erschienen. Michael Kienzl

Titel

Crazy Thunder Road (1980)

Regie

Sogo Ishii

Weitere Infos

97 Min., erschienen bei Rapid Eye Movies.

Preis

CHF 25 / EUR 20

Unsichtbares und ungesagtes kunststoff einband bernadette kolonko

Feministischer Blick

Buch

Wie können feministische filmische Bilder aussehen? Reicht es auf der Erzählebene, den Held durch eine Heldin zu ersetzen? Während die Antwort auf die zweite Frage ausserhalb Hollywoods wohl ein klares Nein sein dürfte, treibt die erste Frage Filmschaffende immer wieder um. Nicht eine, sondern zehn mögliche Antworten liefert nun das Buch «Unsichtbares und Ungesagtes 10 Female * Feminist * Gazes» von Bernadette Koloko. Koloko, die sowohl Filmemacherin wie Dozentin an der Zürcher Hochschule der Künste ist, hat für ihr Buch nämlich mit zehn verschiedenen Regiepersonen gesprochen – etwa über ihre eigene Praxis oder über Filme, die sie geprägt haben.

Die Form des Buches spiegelt dabei dessen Inhalt auf erfrischende Art und Weise wider. Die geführten Gespräche stellen in ihrer Gesamtheit einen vielfältigen und vielschichtigen Diskurs dar, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Viel mehr kann das Buch als ein Innehalten und eine kurze Bestandesaufnahme von Teilen der zeitgenössischen feministischen Filmpraxis verstanden werden. Zu Wort kommen Filmemacherinnen wie Maryam Touzani, Valérie Massadian oder Kamila Andini, deren unterschiedliche Erfahrungen das Buch zu einer erhellenden Leseerfahrung machen.

Leicht lässt es sich in jedem einzelnen der verschriftlichen Gespräche verlieren. Dankbarerweise umreisst Koloko in ihrer Einleitung die Themen, die immer wieder auftauchen – Blicke, Materialitäten, Körper und Raum, Subjektivierungsprozesse. Abgesehen davon fasst Koloko die wichtigsten Theoretikerinnen des feministischen Kinos wie bell hooks oder Laura Mulvey kurz zusammen – trotz der akademisierten Sprache befasst sich das Buch aber mehr mit der Praxis als mit der Theorie, was sich im Verhältnis des jeweiligen Umfangs des Filmzum Literaturverzeichnis spiegelt. Dies ist aber kein Makel, finden sich doch bereits einigermassen umfassende Werke zum Thema, wie etwa Marcelline Blocks Anthologie, «Situating the Feminist Gaze and Spectatorship in Postwar Cinema».

Seine einzigartigen Einblicke in die Praxis so unterschiedlicher Filmemacherinnen machen das Buch zu einem must-read sowohl für angehende Filmschaffende wie auch für Cinephile. Zudem: die im Nachtrag von der Regisseurin Katharina Wyss geteilte Liste «Regisseurinnen mit Werk» bietet einen wunderbaren Startpunkt, um in die feministische Filmgeschichte einzutauchen. Noemi Ehrat

Titel

Unsichtbares und Ungesagtes. 10 Female * Feminist * Gazes

Autor:in

Bernadette Kolonko

Verlag

Schüren, 256 Seiten, als OA-Publikation auf der Schüren-Website downloadbar.

Preis

CHF 42 / EUR 28

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Geschichtsstunde auf Koreanisch

Blu-ray

Sie wollen dasselbe und stehen sich doch als erbitterte Gegner gegenüber: Kim, der Chef des südkoreanischen Inlandsgeheimdienstes, und Park, der dem Auslandsgeheimdienst vorsteht. Beide verdächtigen den jeweils anderen, der nordkoreanische Spion Donglim zu sein. Sind sie Opfer eines Ablenkungsmanövers durch einen nordkoreanischen Maulwurf oder hat einer von beiden tatsächlich unlautere Motive?

Aber was heisst schon «unlauter»? Schliesslich spielt die Geschichte im Jahr 1983, als im Land eine Militärdiktatur herrschte. So bietet der Film neben dem Suspense, der sich aus der Frage ergibt «Wer ist der Verräter?», auch eine kleine historische Nachhilfestunde, die Zuschauer:innen dürfen sich fragen, ob es für das Land nicht besser gewesen wäre, wenn das Attentat auf seinen Präsidenten gelungen wäre, als der zu Beginn des Films zu einem Staatsbesuch in den USA weilt. Das so gern gesetzte Label «Inspired by real events» wäre hier im Vorspann jedenfalls nicht irreführend gewesen.

Der Schauspieler Lee Jung-jae, international bekannt geworden durch die Serie Squid Game und hier auch in der Rolle des Park zu sehen, erweist sich mit seinem Regiedebüt als kompetenter Regisseur, in den Actionszenen ebenso wie in der Psychologie der Figur. Durch zahlreiche Wendungen hält die Spannung bis zum allerletzten Augenblick an.

Das Bonusmaterial ist bei den jüngsten Home-Entertainment-Veröffentlichungen von Filmen aus Südkorea ziemlich standardisiert: kurze Grüsse und ebensolche Clips von der Premiere in Cannes; länger und mit höherem Gebrauchswert: Interviews und Making-of. Frank Arnold

Titel

Hunt (Heon-teu) (2022)

Regie

Lee Jung-Jae

Weitere Infos

125 Min., erschienen bei Plaion.

Preis

CHF 27 / EUR 17

Infinity pool blu ray mia goth

Kühle Dystopien

Blu-ray

Im Urlaub möchte man eigentlich nur das: einen unverstellten Blick aufs Meer, das am Horizont ins Unendliche verläuft. Oder das künstliche Äquivalent davon, das wäre dann der Infinity Pool, der die Endlosigkeit zumindest vorgaukelt und nach dem Brandon Cronenberg (Horrormeister David Cronenbergs Sohn) seinen Film benannt hat. Zuerst gibt’s tatsächlich viel Sonne und Meer, zwei schöne Menschen (Alexander Skarsgård, Cleopatra Coleman), die sich am Urlaubsort tummeln. Aber genau wie beim Infinity Pool trügt der erste Blick. James bringt nichts auf die Reihe, begibt sich bald in schlechte Gesellschaft. Was folgt, ist die audiovisuelle Durchbuchstabierung eines Gedankenexperiments über das Selbst, die Individualität und niedrigste mörderische Gelüste – eine filmische Schreckensstunde, wie sie nur ein Cronenberg je auftischen könnte.

Universal veröffentlicht Cronenbergs dritten Spielfilm für jene, die nicht an den Strand fahren, sondern lieber zuhause bleiben und mit heruntergekurbelten Rollläden das Blut über den Bildschirm fliessen lassen. Selina Hangartner

Titel

Infinity Pool (2023)

Regie

Brandon Cronenberg

Weitere Infos

118 Min., erschienen bei Universal.

Preis

CHF 24 / EUR 18

KB 5 23 Blood Virgin

Schuld und Sühne in L.A.

Comic

«Blood of the Virgin» klingt nach billigem B-Movie. Davon handelt der Comic des amerikanischen Autors Sammy Harkham oberflächlich auch. Der 27-jährige Seymour arbeitet Anfang der Siebzigerjahre in Los Angeles als Filmeditor. Er träumt von einer erfolgreichen Karriere als Regisseur, doch verbringt seine langen Arbeitstage weitab vom Hollywood-Schriftzug mit dem Schneiden schlechter, künstlerisch anspruchsloser Filme. Abends kehrt er zu seiner Frau und seinem Neugeborenen zurück, wo er vom Schreibaby die ganze Nacht wach gehalten wird. Seymour steckt offensichtlich in einer Krise. Doch dann kauft sein Chef eines seiner Drehbücher – «Blood of the Virgin» – und Seymour erhält die Chance, den Film zu realisieren. Was folgt, ist vorhersehbar: Seymour muss gegen begrenzte Budgets, schwierige Schauspieler:innen und ständige Eingriffe von oben kämpfen.

Oberflächlich gesehen ist die Geschichte ein nostalgischer Blick auf die schmuddeligen Grindhouse-Filme im Los Angeles der Siebzigerjahre. Bei näherem Betrachten geht es aber um Aussenseiter:innen, die versuchen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Seymour und seine Frau Ida sind Juden. Ida wird vom viel beschäftigten Ehemann vernachlässigt und als aschkenasische Jüdin von Seymours Familie nicht geduldet. Die Geschichte handelt von der jüdischen Erfahrung einer neuen Generation, die versucht, sich von der düsteren Vergangenheit der Holocaust-Überlebenden und der vererbten Schuld zu lösen und im Land der unbegrenzten Möglichkeiten einen Neuanfang zu wagen. Ganz so, wie vor ihnen jüdische Einwander:innen die grossen Hollywood-Studios gegründet haben. Giovanni Peduto

Titel

Blood of the Virgin

Autor:in

Sammy Harkham

Verlag

Reprodukt, 296 Seiten

Preis

CHF 40 / EUR 30

Alice Guy

Erste Filmregisseurin der Welt

Buch

Am 1. Juli 1873 wird Alice Guy in Saint-Mandé bei Paris geboren. Später lebt die Filmpionierin in den USA und leitet das von ihr gegründete Studio Solax, mit dem sie in grosser Zahl einaktige Kurzfilme produziert. Ihre vielen Lebensstationen lassen sich nun in dem spannenden Comic «Alice Guy» von Catel & Bocquet nachvollziehen.

Der französische Autor und Szenarist José-Louis Bocquet und die aus dem Elsass stammende Illustratorin Catel Muller verdichten in ihrer biographischen Graphic Novel das von Höhen und Tiefen gekennzeichnete Leben der ungewöhnlichen Frau in strenger zeitlicher und mit jeweils wechselnden Orten verbundener Chronologie. Catels feine und auf das Wesentliche konzentrierten Schwarzweiss-Zeichnungen sowie Bocquets elliptische, an markanten Ereignissen und Umbrüchen orientierte Erzählweise lassen anhand der biographischen Szenen zugleich das Kolorit und den Aufbruchsgeist einer ganzen Epoche erstehen.

Eng verknüpft ist das Portrait der «ersten Filmregisseurin der Welt», das jetzt zu ihrem 150. Geburtstag in deutscher Sprache erscheint, mit der Entwicklung des Kinematographen und filmästhetischen Fragen im weiten Feld zwischen Realismus und Illusion. Ausserdem behandelt der gewichtige Band, der durch eine detaillierte Chronologie und umfangreiche Kurzbiografien ergänzt wird, Alice Guys frühe Kämpfe für weibliche Selbstbestimmung. Wolfang Nierlin

Titel

Alice Guy

Autor:in

Catel Muller, José-Louis Bocquet

Verlag

Caterman, 400 Seiten, auf Französisch

Preis

CHF / EUR 40

Fumer photos v2 x2

Quentin Dupieux macht sehr schnell süchtig

Blu-ray

Einst machte sich der exzentrische Regisseur einen Namen mit einem mordenden Reifen. Rubber lockte 2010 hierzulande noch mehr als 10 000 Menschen in die Kinos. Seither hat der Franzose sieben Filme herausgebracht, der letzte, Fumer fait tousser, lief letztes Jahr in Cannes als Nocture. In der Romandie kam die Komödie vergangenen Herbst in die Kinos, bei uns in der Deutschschweiz hingegen ... naja. Natürlich ist Dupieux’ Humor nicht für jede:n. Da hilft auch der starbesetzte Cast mit Gilles Lelluche, Anais Demoustier, Benoît Poelvoorde und Adèle Exarchopoulos nicht. In seinem neusten Film bestreitet die «Tabac Force» den Kampf des Guten gegen ungeheuerliche Echsenmonster mit den vereinten Kräften des Nikotins, Methanols, Ammoniaks, Benzins und des Quecksilbers. Wer in seiner Kindheit je Power Rangers gesehen hat und mit seinen Freunden deren Namen schreiend vom Hügel gesprungen ist, kann sich ein Bild von der Action machen, die einen da erwartet – Papp- und Kautschuckmodelle inklusive.

Doch so abwegig der Humor des unbekannteren Quentin (andere Filme beinhalteten eine übergrosse Fliege oder eine sprechende Wildlederjacke) auch sein mag, so versiert ist der Filmemacher mit seinem Einsatz. Die Geschichte der Tabac Force dient in Fumer fait tousser schliesslich nur als Rahmenhandlung für eine Reihe gruslig-lustiger Lagerfeuergeschichten, die die Gruppe, zum Teambuilding-Urlaub verdonnert, sich erzählt. Darunter jene eines Helms, der seine Trägerin sich in gedanklicher Klarheit verlieren und als Konsequenz ihre Freunde ermorden lässt. Auch der Barracuda, der auf dem Grill brutzelt, hat noch eine Geschichte voller Blut und Schrägheit zu erzählen. Nur das Ende fehlt, weil sein eigenes ihm zuvorkommt.

Das ist dann auch das Element, das den Film zusammenhält, oder ihn besser gesagt in voller Absicht schreddert. Wer Dupieux kennt, weiss, dass es seine Eigenart ist, sich einer Pointe zu verweigern oder diese, wie in seinem Meisterwerk Réalité, zum erzählerischen Zirkelschluss zu wenden. So hat keine der erzählten Geschichten in Fumer fait tousser ein Ende, auch nicht die Rahmenhandlung. Eigentlich hätten wir das ja wissen sollen. Denn Rauchen verursacht Husten, klar. Das ist ja aber erst der Anfang. Wie das hingegen endet, wissen wir alle. Michael Kuratli

Titel

Fumer fait tousser (2022)

Regie

Quentin Dupieux

Weitere Infos

77 Min., mit franz. und engl. Untertiteln, erschienen bei Gaumont.

Preis

CHF / EUR 24

Gustaf Gruendgens Faust Mephisto

Vergessener Filmer

Buch

Ein Mann des Theaters. Und einer, der für die Kunst seine Seele verkaufte. Das sind die gängigen Vorstellungen von Gustaf Gründgens (1899–1963), letztere gespeist aus Klaus Manns Schlüsselroman «Mephisto» und dessen Verfilmung durch Istvan Szabo. Dass seine Arbeit zwischen 1930 und 1960 auch 33 Filme umfasst, geriet dabei in den Hintergrund, mit dem vorliegenden Buch wird das korrigiert. Die Autorin widmet sich nach einführenden Bemerkungen den einzelnen Filmen, skizziert Produktions- und Rezeptionsgeschichte und analysiert Gründgens’ Darstellung (besonders ausführlich: seine Unterweltgrösse in Fritz Langs M) bzw. seine Inszenierungsweise (bei den sechs Kinofilmen, bei denen er Regie führte). Eine so lesenswerte wie materialreiche Darstellung. Frank Arnold

Titel

Gustaf Gründgens. Filmische Arbeiten 1930–1960

Autor:in

Kristina Höch

Verlag

Schüren Verlag, 362 Seiten.

Preis

CHF 50 / EUR 38 (E-Book EUR 30)

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Im Hier und Damals

Comic

33 Kilometer nördlich von Rom befinden sich die Wasserfälle von Monte Gelato. Obwohl von bescheidener Grösse, haben die Cascate besondere Bedeutung erlangt. Sie zählen zu den am häufigsten verwendeten Filmdrehorten. Da sie in der Nähe von Cinecittà liegen, wurden sie ab den 1950ern Schauplatz von zahlreichen italienischen Filmen, Fernsehserien und Werbespots aus allen Genres: Sandalenfilme, Spaghetti-Western, Horror, Komödien, Thriller oder Erotikfilme. Der Videokünstler Davide Rapp hat die über 180 Filme während fünf Jahren gesammelt und sie in einer beindruckenden Montage übereinandergelegt. Aus diesen zahlreichen Filmsequenzen hat Rapp eine immersive VR-Collage erschaffen, welche die Wasserfälle in einem (filmischen) Raum-Zeit-Kontinuum zeigt.

Comic-Kenner:innen erinnert dieses Konzept vielleicht an den US-Autor Richard McGuire. Dieser hatte 1989 auf sechs Seiten im legendären Comic-Magazin «RAW» auf neuartige Weise Zeit, Ort und Handlung verschachtelt. Auf 36 Panels zeigt «Here» immer denselben Raumausschnitt an verschiedenen Punkten in der Zeit: Während 1902 gerade das Haus gebaut wird, welches das Setting in Zukunft bestimmen wird, liest ein Mann 1945 an der gleichen Stelle in einem Sessel die Zeitung. Kurz darauf schlägt eine Abrissbirne 2030 durch die Hauswand, während eine Seite später eine Indianersiedlung von 1750 zu sehen ist oder 1984 unter dem Weihnachtsbaum gefeiert wird. Mit «Here» versucht McGuire das Verständnis des Zeit-Raum-Gefüges zu verbildlichen und die Vergänglichkeit des Menschen gegenüber der Unendlichkeit festzuhalten. 2014 weitete er die Geschichte auf 300 Seiten aus. Davide Rapps Umsetzung des Konzepts in Filmform ist eine ebenbürtige Fortsetzung der genialen Idee. Giovanni Peduto

Monte Gelato (Davide Rapp, 2021), auf vimeo.com

Titel

Here

Autor:in

Richard McGuire

Verlag

Pantheon Books, 300 Seiten.

Preis

CHF 40 / EUR 30

Maxresdefault

Hilde Warren und der Tod

Blu-ray

Ein Melodrama reinsten Wassers: Hilde Warren heiratet einen Mann, der sich als Mörder erweist; dessen Sohn trägt die «vererbte Anlagung zum Bösen» in sich. Wiederentdeckt im Rahmen von Retrospektiven des Regisseurs Fritz Lang, der hier, zwei Jahre vor seinem Regiedebüt, als Drehbuchautor verantwortlich zeichnet, sind thematische Bezüge wie die schicksalhafte Verknüpfung von Ereignissen und das Auftreten des Todes selber offensichtlich.

Regisseur Joe May weiss nicht nur seine Ehefrau und Hauptdarstellerin ins rechte Licht zu setzen, sondern beweist auch ein ausgesprochenes Gespür für die Inszenierung des Raumes, zumal bei der Staffelung in die Tiefe. 2001 restauriert, 2016 digitalisiert, jetzt endlich – mit Bonusmaterial (auch ein faktenreicher Audiokommentar) – veröffentlicht. Durchaus eine Entdeckung. Frank Arnold

Titel

Hilde Warren und der Tod, 1917

Regie

Joe May

Weitere Infos

61 Min., erschienen bei ostalgica

Preis

CHF 35 / EUR 25

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Ritterliche Exklusivität

Buch

Wenn ein Ritter über einen anderen Ritter ein Buch macht, klingt das erst mal wie ein Tauschhandel unter Aristokraten. Doch wenn die Kritikergrösse Sir Christopher Frayling über Sir Ken Adam schreibt, beziehungsweise sich mit ihm für diverse Gespräche zusammensetzt, dann ist das natürlich etwas anderes. Hier steht dann die Popkultur im Vordergrund, konkreter noch die ikonischen Bildwelten, die Adam als Filmarchitekt für einige der grössten Filmproduktionen des 20. Jahrhunderts geschaffen hat. Wenn nur ein Set von Adam in der Erinnerung klebenbleiben sollte, dann wohl der War Room aus Dr. Strangelove. Die wie ein Heiligenschein über dem runden Tisch der Generäle schwebende Lampe ist dabei ebenso stilbildend wie die brutalistische Kassettendecke und die erschlagend überhängenden Weltkarten.

Überhaupt fand der deutsch-englische Kriegsgeflüchtete Adam in den Phantastereien des Kalten Kriegs eine Heimat. Allem voran prägte er diverse Bond-Produktionen. Vom schlichten Vorzimmer in Dr. No bis zur Mondstation in Moonraker setzte er gestalterische Massstäbe. Das beim Taschen Verlag erschienene grossformatige Buch ist mit diversen Skizzen und Setfotografien unter anderem aus dem Archiv der EON Productions versehen.

Nicht ganz so populär wie der Inhalt dürfte der Preis sein. Für 850 Franken oder Euro lässt sich eines von insgesamt 1200 von Sir Ken handsignierten Exemplaren erstehen. Wer zudem ein Vorzimmer wie Dr. No hat, kann sich den teuren Spass auf den mitgelieferten, gravierten Buchständer aus Acryl stellen. Michael Kuratli

Titel

The Ken Adam Archive

Autor:in

Christopher Frayling

Verlag

Taschen Verlag, 360 Seiten, 3.88 kg

Preis

CHF / EUR 850

Lockruf des Kinos Kurz Belichtet Kinoplakate

Kinoplakate

Buch

Wer sich mit der deutschen Filmplakatkunst der frühen Weimarer Republik beschäftigt, stösst unweigerlich auf den Namen des Grafikers, der mit seinem expressionistischen Stil auffiel.

1895 geboren, studierte er ab 1918 an der staatlichen Lehranstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin. Seine Entscheidung für Filmplakate begründete er 1935: «Aus dem lebendigen Wesen des Films sind in hohem Masse die Möglichkeiten gegeben, Fantasie und Farben anzuwenden, um Plakate von grossem Reiz und frappierender Eigenart zu schaffen, ja solche, die kaum vergessen werden können.»

Wo heute Filmplakate meist auf Fotos zurückgreifen, lieferten diese für Fenneker lediglich Inspirationen, mit deren Hilfe er «die Idee des jeweiligen Films gestaltete und das Wesentliche herausarbeitete.» Den fertigen Film vorab zu sehen, war ihm nur in Ausnahmefällen vergönnt, die Arbeit geschah unter Zeitdruck, zwischen 1918 und 1924 schuf er 140 Plakate für das Marmorhaus am Kurfürstendamm.

Auch das ist eine neue Information, die diesem Buch zu entnehmen ist: die Exklusivität seiner damaligen Arbeiten, ausschliesslich für ein Kino, ein Premiumkino, wie man heute sagen würde, seinerzeit «das renommierteste Filmtheater Berlins», 1913 eröffnet, mit Eintrittspreisen, die erheblich über den normalen lagen, Kino für ein wohlsituiertes Stammpublikum. Auf den Plakaten stand jedes Mal auch der Name des Kinobetreibers, als Markenzeichen, dass hier für gutes Geld Spitzenfilme geboten wurden. «Der hohe Wiedererkennungswert seiner Filmplakate sicherte dem Marmorhaus Stammkundschaft», schreibt Harald Neckelmann – das Filmplakat als Teil einer corporate identity.

Die Konzentration auf das Marmorhaus hatte allerdings ihren Preis: Nachdem dessen Betreiber seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte und das Kino den Besitzer wechselte, musste sich Fenneker umorientieren – durch Arbeit als Gebrauchsgrafiker und Pressezeichner, später als Bühnenbildner, was auch nach 1945 sein Tätigkeitsfeld war.

1956 starb Fenneker an einem Herzschlag. Nach 34 Seiten Text sind die restlichen 170 Seiten den, oft ganzseitigen, Abbildungen von Fennekers Plakaten der Jahre 1918–24 vorbehalten – eine Augenweide. Frank Arnold

Titel

Lockruf des Kinos. Der Plakatkünstler Josef Fenneker

Autor:in

Harald Neckelmann

Verlag

Schüren Verlag, 208 S.

Preis

CHF 52 / EUR 34