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Burning 2 ah in yoo jong seo jun steven yeun

Burning

Mit Burning ist Lee Chang-dong ein Film gelungen, der in Cannes von der Kritik unisono hochgelobt wurde. Einer, der die
Spannung langsam ins Unerträgliche steigert und alle Fragen offenlässt.

Text: Tereza Fischer / 02. Jan. 2019

Erst gerade hat Jongsu in den Strassen von Seoul zufällig seine ehemalige Schulkollegin Haemi getroffen, als sie ihn schon zu sich nach Hause einlädt und ihn verführt. Jongsu ist überrumpelt, aber glücklich. Zuvor hat sie ihm erklärt, dass in ihr dunkles Zimmer nur einmal am Tag und nur für einen kurzen Augenblick die Sonne scheine, als indirekte Spiegelung von einem Fernsehturm. Und tatsächlich: Als sie etwas ungelenk miteinander schlafen, sieht Jongsu für einen kurzen Moment den Sonnenstrahl an der Wand aufflackern. Es ist ein Glücksmoment, in dem zwei Ereignisse zu einem Gefühl verschmelzen, dem er in der Folge vergeblich nachjagen wird.

Glück, das bedeutet für Jongsu zweierlei: Liebe und Wohlstand. Beides fehlt in seinem Leben. Der etwas schläfrig wirkende junge Mann lächelt selten, dazu hatte er bisher wohl auch wenig Grund: Die Mutter ist schon früh aus seinem Leben verschwunden, der Vater hat sich jetzt wegen Gewalt vor einem Gericht zu verantworten und muss ins Gefängnis. Als Möchtegernschriftsteller gehört Jongsu zudem einer weniger privilegierten Schicht an und ist wie so viele junge Leute in Südkorea arbeitslos. Seine beiden Sehnsüchte werden durch zwei Figuren verkörpert. So steht Haemi für das Verlangen nach Liebe und Sex. Dem für ihn unerreichbaren Wohlstand begegnet Jongsu in der Person von Ben, den Haemi auf ihrer Reise nach Afrika getroffen hat. Der mysteriöse, gutaussehende Ben lässt offen, womit er Geld verdient, er scheint es aber nicht besonders zu geniessen. Eher langweilt ihn das Leben, langweilt ihn auch Haemi. Und doch verliert Jongsu sie an diesen «Great Gatsby».

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Eigentlich geschieht nicht viel in den dennoch kurzweiligen zweieinhalb Stunden, die Burning dauert. Der Film basiert auf einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami. Und wie beim japanischen Autor bewegt sich Lee stets an der Grenze zwischen Illusion und Realität: So kann sich Jongsu etwa nie sicher sein, ob die Katze, die er während Haemis Abwesenheit füttert, auch tatsächlich existiert. Jedenfalls bekommt er das Tier nie zu Gesicht, obwohl das Zimmer kaum acht Quadratmeter gross ist. Umgekehrt wirkt eine kleine Pantominevorführung von Haemi so echt, dass man glaubt, sie schäle und esse tatsächlich eine Mandarine. «Man muss vergessen, dass etwas nicht da ist.»

Es sind diese kleinen poetischen und rätselhaften Momente, die der langsamen Erzählung Spannung verleihen und den Film nach dem Kinobesuch noch lange nachwirken lassen. Wie bei Murakamis Geschichten erinnert man sich später weniger an die minimale Handlung als vielmehr an einzelne Bilder und Räume: an das unaufgeräumte Farmhaus des Vaters in einem Bauerndorf an der Grenze zu Nordkorea, in dem Jongsu vorübergehend wohnt und wie ein Gast auf dem Sofa schläft; an Haemis winziges, vollgestopftes Zimmer mit dem Turm vor dem Fenster oder an Bens elegante Wohnung, die so unpersönlich eingerichtet ist wie in einem Katalog. Man erinnert sich an den zunächst schlafwandlerischen, dann zunehmend getriebenen Jongsu, an den ständig mysteriös lächelnden Ben und die tanzende Haemi. Sie tanzt den «Tanz des grossen Hungers», des Hungers nach dem Sinn des Lebens, den sie in Afrika gelernt hat.

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Ein wiederkehrendes Bild prägt sich besonders ein: das des Sonnenuntergangs. Noch bevor es sich gegen Ende des Films zu häufen beginnt, erzählt Haemi von einem Sonnenuntergang, den sie in Kenia erlebt hat. Sie sei so in die Betrachtung der untergehenden Sonne vertieft gewesen, dass sie das Gefühl gehabt habe, mit dem Licht zu verschwinden. Später überraschen Haemi und Ben Jongsu auf der Farm, gemeinsam rauchen sie Marihuana und sitzen in der Abenddämmerung vor dem Haus. Jeder gibt in dieser zwielichtigen Stimmung an der Grenze zwischen Tag und Nacht etwas Intimes von sich preis: Jongsu hasst seinen Vater, Haemi tanzt halbnackt und beinah verzweifelt ihren «Tanz des grossen Hungers» – und Ben gesteht, er brenne immer wieder verlassene Treibhäuser ab. Bald werde auch ganz in der Nähe eines brennen. «Man kann sie verschwinden lassen, als hätte es sie nie gegeben», schwärmt Ben. Fortan wird Jongsu von seinem Konkurrenten und den Treibhäusern besessen sein und unentwegt kontrollieren, ob eines abgebrannt ist, und Ben beobachten. Doch die Wirklichkeit scheint ihm dabei immer mehr zu entgleiten. In seinen Träumen ist er es selbst, der ein Gewächshaus abbrennt, wobei sich diese Feuersbrunst mit einem traumatischen Ereignis aus seiner Kindheit verbindet: Als die Mutter die Familie verlassen hatte, zwang der Vater den kleinen Jongsu, ihre Kleider zu verbrennen. So kann sich Jongsu immer weniger sicher sein, was ist, was war und was sein wird, was Traum, was Wirklichkeit ist. Am Ende wird er dieser Unsicherheit in einer tragischen Wendung ein Ende setzen und selbst Fakten schaffen.

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In diesem Film, in dem auf eine zutiefst befriedigende Weise alle Fragen offenbleiben, werden immer wieder Dinge und Menschen verschwinden und wieder ­auftauchen. Ob etwas jedoch existiert oder nicht, bleibt stets in der Schwebe: die Katze, die Mandarine, Haemi, die Treibhäuser. Und auch der Film selbst ist so ein Ding, das verschwindet, wenn das Licht angeht. Was bleibt, ist die Erinnerung daran. In diesem Fall eine lang anhaltende.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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