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All that i love 02

All that I Love

Ein ausrangierter Eisenbahnwaggon in einer kargen, sandigen Landschaft – das ist der Proberaum von Janeks Punkrockband «All that I love». Bereits die erste Szene im neuen Film von Jacek Borcuch weist auf den einen Pol des Spannungsfeldes hin, in dem die Geschichte um Janek angesetzt ist.

Text: Sonja Enz / 13. Apr. 2011

Ein ausrangierter Eisenbahnwaggon in einer kargen, sandigen Landschaft – das ist der Proberaum von Janeks Punkrockband «All that I love». Bereits die erste Szene im neuen Film von Jacek Borcuch weist auf den einen Pol des Spannungsfeldes hin, in welchem die Geschichte um Janek angesetzt ist. Zwischen der wilden Lebensfreude der polnischen Jugend und dem konformistischen politischen System Polens in den frühen achtziger Jahren tut sich ein unüberwindbarer Graben auf. Kommunistische Soldaten marschieren in einheitlicher Uniform im Gleichschritt über den Platz, während Janek und seine Freunde in die entgegengesetzte Richtung schlendern – in roter Hose und Jeansjacke, die Zigarette im Mundwinkel und die Gitarre unterm Arm.

Die kommunistische Regierung und damit Janeks Vater, ein Militäroffizier, geraten anfangs der achtziger Jahre zunehmend unter Druck, weil die oppositionelle Gewerkschaft Solidarnosc an Anhänger und an Einfluss gewinnt. Unter diesen prekären Umständen verliebt sich der achtzehnjährige Janek in Basia, deren Eltern Mitglieder der Solidarnosc sind.

Jacek Borcuch zieht uns auf eindrückliche Weise mit hinein in die Gefühlswelt von Janek, der von übermütiger Energie nur so sprüht. Er rennt, anstatt zu schlendern, spielt Etüden auf dem Klavier stets etwas zu schnell und sein Lockenschopf ist unbändig wie er selbst. Mateusz Kosciukiewicz spielt einen unwiderstehlichen Janek, der vor Lebensfreude und Abenteuerlust beinahe überläuft und uns doch brüchige, fragile Seiten zeigt.

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In Janeks Leben prallen zwei Welten aufeinander, die unterschiedlicher fast nicht sein könnten. Da ist die angespannte Stille zuhause: Die Eltern flüstern im Nebenzimmer, das Licht fällt nur spärlich in die aufgeräumte Wohnung – man spürt, dass etwas in der Luft liegt. Ganz anders ist die Welt draussen, das wilde Meer, die Freunde, die laute Punk-Musik. Die subjektive Kameraführung von Michal Englert unterstreicht diesen Kontrast. Die wendige Handkamera taucht mit, wenn Janek und seine Freunde ausgelassen im Meer schwimmen, und sie schwebt, als die Band auf der Bühne in Ekstase gerät. Zuhause aber bewegt sie sich verdächtig langsam.

Als in einer Dezembernacht 1981 der Kriegszustand in Polen ausgerufen wird, gerät die Welt von Janek und Basia aus den Fugen. Basias Eltern stellen sich der Beziehung in den Weg. Die beiden beschliessen aber, den politischen Umständen zu trotzen – bis Basias Vater interniert wird. Janek ist tief verletzt, als seine Geliebte darauf den Kontakt abbricht. Sein Sehnsuchtsort ist das Meer. Es sind Bilder eines dunklen, aufschäumenden, wilden Meeres, die ab und an lose zwischen den Szenen auftauchen. Diese Einschübe brechen den Fluss des Films, der Erzählstrang verliert sich dadurch etwas. Die Bilder tragen aber auch dazu bei, dass uns All That I Love die Welt mit Janeks Augen sehen lässt und uns in dessen berauschende Gefühlswelt unentrinnbar hineinzieht.

Die Geschichte von Basia und Janek gleicht einer modernen Version von Romeo und Julia. Subtil fächern sich aber verschiedene Ebenen auf, sodass der Film den Verstrickungen der Realität gerecht wird.

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Jacek Borcuch zeigt uns keine glatten, klischeehaften Figuren; feinfühlig zeichnet er Charaktere mit menschlichen Widersprüchen. Janeks Vater stellt der rebellischen Punkband die Militärbühne zum Proben zur Verfügung. Er bringt Verständnis auf für seinen Sohn, der im kommunistischen Polen keine Zukunft sieht. Der Militäroffizier verharmlost das Verhalten der kommunistischen Regierung, weil er selbst nicht hinter dem Krieg stehen kann.

Janeks Nachbar Sokolowski, ein Anhänger der kommunistischen Regierung, nutzt seine Macht, um gegen die rebellischen Jugendlichen vorzugehen. Aber nicht, weil ihn deren politische Ausrichtung so sehr stört, sondern weil seine Geliebte ein Auge auf Janek geworfen hat. So führt uns Bocuch die Willkür der Machthaber vor Augen.

All That I Love ist Jacek Borcuchs dritter Film als Regisseur (nach Tulipany, 2004 und Caulliflower, 1999) und sein persönlichster. Borcuch erzählt mit Janeks Geschichte nämlich seine eigene. Der Regisseur hat Erinnerungen an die achtziger Jahre in Dialoge, Bilder und Szenen übersetzt. Der Film hat der Crew mehrere Auszeichnungen eingebracht, darunter den Preis für das beste Szenenbild des Polnischen Filmfestivals in Gdynia und jenen für das beste Drehbuch am Brussels Film Festival. Es ist der erste polnische Film überhaupt, der am Sundance Filmfestival gezeigt wurde.

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All That I Love erzählt eine berührende Liebesgeschichte, ohne dabei pathetisch zu werden. Der Film zeugt von der Leidenschaft einer jungen Liebe und von der Dynamik einer rebellischen Generation. Und er ist gleichzeitig eine Hommage an die Musik und an ihre Kraft, innersten Gefühlen eine Stimme zu geben. «All that I Love» scheint ein etwas gar romantischer Name für eine Punkrockband. Der Titel steht hier wohl eher für die berauschende Fähigkeit, etwas – sei es ein Mädchen, die Musik oder die Idee einer besseren Welt – mit allen Fasern seines Körpers zu lieben. Das bleibt, davon zeugt der Film, dem schwebenden Zustand zwischen Kind- und Erwachsensein vorbehalten.

Sonja Enz ist die Gewinnerin des Filmkritik-Workshops, der im Februar 2011 in Zusammenarbeit mit den Schweizer Jugendfilmtagen stattfand.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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