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Verliebte feinde 06

«Als Persönlichkeiten gehören Iris und Peter von Roten in jedes Geschichtsbuch für künftige Generationen»

Mich faszinierte dieses Wechselspiel, und ich hatte auch das Gefühl, dass Peter durch die Auseinandersetzungen mit Iris zu einem emanzipierten Menschen wurde. Grundsätzlich sind beides für mich Persönlichkeiten aus der jüngeren Schweizer Geschichte, die eigentlich in jedes Lese- oder Geschichtsbuch für künftige Generationen gehören.

Text: Doris Senn / 01. Jan. 2013

FILMBULLETIN Wieso ein Porträt über Iris und Peter von Roten gerade jetzt?

WERNER SCHWEIZER Diese Frage kann natürlich so nicht beantwortet werden, weil der Beginn der Filmentstehung Jahre zurückliegt und nicht etwa auf die zurzeit aktuelle Diskussion über Frauenquoten hin geplant war. Angefangen hatte alles noch viel früher – und zwar ausgehend von meiner Biografie über Theo und Amalie Pinkus in den achtziger Jahren. Amalie erzählte mir viel von dieser mutigen Feministin. Ich wiederum wusste, dass Iris von Roten das Buch «Frauen im Laufgitter» geschrieben hatte, und beides, Buch wie Person, damals fast vergessen waren. Wilfried Meichtrys Interesse am Stoff war geweckt worden durch eine Begegnung mit Hortensia von Roten, der Tochter von Iris und Peter, anlässlich einer Filmvorführung im Wallis über die Geschwister Franz und Emma von Werra. Diesen Dokumentarfilm, Von Werra, hatten Wilfried und ich ebenfalls zusammen entwickelt und realisiert, und so wollten wir es auch bei diesem neuen Projekt anpacken. Wilfried interessierte an erster Stelle die Person Peter von Roten. Nicht zuletzt weil es über Iris von Roten ja bereits eine Biografie – «Eine Frau kommt zu früh» von Yvonne-Denise Köchli – gab. Grundlage seines 2007 erschienenen Buchs war der umfangreiche Briefwechsel, den Hortensia von Roten Meichtry zur Verfügung stellte. Das Aufarbeiten dieses Materials allein dauerte zwei Jahre. Als dies langsam zum Buch wurde, begann ich, mich mit dem Film zu beschäftigen. Schon am Anfang der Recherchen hatte ich Wilfried vorgeschlagen, bei Gesprächen mit Zeitzeugen jeweils eine Videokamera mitzunehmen – zu Recht, denn als ich mit dem Filmen begann, lebten schon etliche dieser Zeitzeugen nicht mehr.

FILMBULLETIN Ein paar Namen?

WERNER SCHWEIZER Etwa Peter von Rotens Schwester Marie-Anne von Suryvon Roten, die auch im Film erscheint, oder Adolf Guggenbühl … Unser erstes Gespräch, das wir professionell filmten, war dasjenige mit Maurice Chappaz 2008. Kurze Zeit später verstarb er ebenfalls … Wir wussten von Anfang an auch, dass der Film inszenierte Teile enthalten würde – unser Vorbild für den Film war das Doku-Drama Die Manns von Heinrich Breloer. Dabei vermute ich, dass auch er zuerst die Interviews mit den Zeitzeugen, insbesondere der Protagonistin Elisabeth Mann, drehte und erst im Nachhinein das Drehbuch zum inszenierten Teil geschrieben hat, um dann beide Stränge miteinander zu verflechten. Und so gingen auch wir vor. Bereits in meinem ersten Kinofilm, Dynamit am Simplon, habe ich Wochenschauen reinszeniert. In Noël Field gab es “Spielszenen” – wobei ich dort auf L’aveu von Costa-Gavras zurückgreifen konnte –, insbesondere um die emotionale Ebene zu verstärken, die man mit Zeitzeugen allein kaum herstellen kann. Bei Hidden Heart inszenierte ich dann schon etwas mehr – wenn auch noch ohne Dialoge. Die Spielszenen in Verliebte Feinde nun beruhen auf realen Ereignissen, teilweise fiktionalisiert, aber die darin enthaltenen Dialoge sind belegbar. Mit Katja Früh überarbeiteten wir vor allem die Dialoge, um dem Material den papierenen Charakter zu nehmen. So entstand das Drehbuch – erst dann begann ich mit der Finanzierung. Wobei ich mich bei der Produktionsplanung nicht zuletzt an Hugo Koblet – Pédaleur de charme von Daniel von Aarburg orientierte, der jedoch um einiges dokumentarischer ist, weil er auf wunderbares Archivmaterial zurückgreifen konnte.

Verliebte feinde 04

FILMBULLETIN Auf der anderen Seite stand für Verliebte Feinde auch noch ein Fundus an Familienfilmen zur Verfügung. Woher stammen diese Aufnahmen?

WERNER SCHWEIZER Die stammen von der Familie von Sury, also von Peters Schwester, die sich auch im Film so kritisch über Iris von Roten äussert. Marie-Anne von Roten drehte schon früh eigene Familienfilme, die uns die Familie von Sury zur Verfügung stellte. Daneben war ich aber auch auf der Suche nach authentischen Drehorten, und wir hatten viel Glück: Wir konnten unter anderem auch im Elternhaus von Peter von Roten in Raron filmen. Peters Schwägerin lebt noch dort – und ihre Familie gab uns die Erlaubnis, hier einige Szenen zu drehen. Das war natürlich nicht zuletzt auch für die Schauspieler spannend. Ebenso etwa der Lesesaal in Columbia, wo Iris von Roten ihr Buch schrieb: Es gab dort einen Saal, der noch genau so erhalten war wie in den fünfziger Jahren – ich musste nur gerade ein Bild ersetzen. Sonst war alles – Lampen, Pulte, Stühle – noch wie damals.

FILMBULLETIN Beabsichtigt der Film eine Art Rehabilitation der Frauenrechtlerin Iris von Roten?

WERNER SCHWEIZER “Rehabilitation” in Anführungszeichen vielleicht. Ich wusste zum Beispiel, dass Iris von Roten für die Achtundsechziger-Frauen schon nicht mehr so präsent war. Sie gehörte nicht zur FBB, zur Frauenbefreiungsbewegung. Tenor war: Unsere Mütter hätten das lesen sollen! Wir wollen mehr! Zum anderen störten sich einige Studentinnen daran, dass sie immer sehr elegant gekleidet war. Sie passte so gar nicht in jene Zeit der Achtundsechziger, und so wurde sie denn auch grösstenteils ignoriert. Während Iris ihrerseits auch nicht auf der Suche nach “Bündnispartnerinnen” war … Ihr Buch wurde erst kurz vor ihrem Tod 1990 neu aufgelegt – und da gab es eine neue Generation, nicht zuletzt Historikerinnen, die für eine Wiederentdeckung von Iris von Roten und ihres Buches sorgten. Mich wiederum interessierte insbesondere die Doppelbiografie – ich fand, dass Peter einen grossen Emanzipationsprozess durchgemacht hatte. Es war ein gemeinsamer Kampf um Gleichberechtigung, und er identifizierte sich vollständig mit Iris’ Anliegen. Mich faszinierte dieses Wechselspiel, und ich hatte auch das Gefühl, dass er durch die Auseinandersetzungen mit Iris zu einem emanzipierten Menschen wurde. Grundsätzlich sind beides für mich Persönlichkeiten aus der jüngeren Schweizer Geschichte, die eigentlich in jedes Lese- oder Geschichtsbuch für künftige Generationen gehören.

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FILMBULLETIN Wie kam die Auswahl der Hauptdarsteller Mona Petri und Fabian Krüger zustande? Die beiden müssen sich ja auch ganz direkt mit ihren Vorbildern im dokumentarischen Material im Film messen, was sicher nicht immer einfach war …

WERNER SCHWEIZER Bei beiden Schauspielern war mir wichtig, dass sie äusserlich und charakterlich grosse Ähnlichkeiten mit Iris und Peter von Roten hatten. Ich hatte ja von Hortensia viele Fotos erhalten und mich oft auch über ihre Eltern unterhalten. Fabian Krüger habe ich schon ganz früh für die Figur von Peter ausgewählt: als grosser, schlaksiger “Mädchenschwarm” mit Sinn für Humor. Bei Iris war ich unsicher. Nach dem Coaching mit Mona Petri wusste ich aber, dass sie die Richtige war und dass der fiktionale Teil mit diesem Paar funktionieren würde. Als wir dann im Wallis in den Kostümen drehten – wir hatten zum Teil Originalkostüme von Hortensia erhalten, ebenso Schmuck, Uhren, Möbel –, gab es alte Leute, welche die beiden geradezu für eine Erscheinung hielten, weil sie ihnen wie die leibhaftigen Iris und Peter vorkamen …

FILMBULLETIN Es gibt für mich eine Szene, die wie eine Art narrativer Achsensprung wirkt, und zwar die erotische Szene zwischen Peter und Iris, nachdem er in ihr Zimmer eingestiegen ist, die sich unmittelbar anschliessend als pure Phantasie von Peter von Roten herausstellt. Sind Sie nach wie vor von dieser kleinen Eskapade überzeugt?

WERNER SCHWEIZER Die Szene ist in der Tat eine Erfindung meinerseits – nicht der nächtliche Einstieg in ihr Zimmer, aber seine Phantasievorstellung. Dazu muss gesagt werden, dass Peter sehr lange das Gefühl hatte, Iris sei ein leichtes Mädchen und dass sie mit allen Männern, mit denen sie eine Bekanntschaft hatte, auch ins Bett gehe. Diese Szene nun, die sehr emblematisch ist für ihre Beziehung, ist ein Zitat aus If von Lindsay Anderson, einem Film, den ich als katholischer Internatsschüler über alles geliebt habe. Darin gibt es eine Schlüsselszene mit dem Internatsschüler Mick, wie er genau zu diesem Musikstück «Sanctus» eine Liebesszene mit einer Kellnerin phantasiert – mit ähnlichem Schnitt und Dialog, fast eins zu eins … Vielleicht hätte ich das jetzt nicht offenlegen sollen … Dies ist nun eine regelrechte Beichte seitens des Filmemachers … (schmunzelt) Kurzum: Die Zeit des Kennenlernens und des Verliebtseins zwischen Iris und Peter dauerte ganze sechs Jahre, was wir im Film sehr verkürzt darstellen. Wenn man die Briefe der beiden liest, ist man erstaunt, wie lange es dauert, bis sie sich endlich ihre Liebe gestehen. Beide projizierten auf den je anderen ein idealisiertes Bild. Ich hätte eigentlich gerne mehr “Phantasieszenen” dieser Art im Film gehabt, letztlich ist es nun aber bei dieser einen Visualisierung – und Peters Traum am Ende des Films – geblieben …

FILMBULLETIN Noch eine letzte Frage zum Titel: «Verliebte Feinde» – finden Sie, dass er wirklich zutrifft?

WERNER SCHWEIZER Für mich war die Referenz aufs Buch sehr wichtig – und so wollte ich auch keinen neuen Titel erfinden. Dieser wiederum stammt von Wilfried Meichtry, der sich dazu von einer Briefstelle inspirieren liess, in der Iris an Peter schrieb: «Wir sind im Zustand der verliebten Feindschaft.» Das ist ebenso vielschichtig wie attraktiv und lässt natürlich auch viele Assoziationen zu, wie zum Beispiel die des Geschlechterkampfs – auch wenn es – im Buch wie im Film – um eine unvergleichlich viel reichhaltigere und facettenreiche Beziehung zwischen den beiden Menschen geht.

Das Gespräch mit Werner Swiss Schweizer führte Doris Senn

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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