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Beyond the hills 01

Beyond the Hills (Dupa dealuri)

Cristian Mungiu machte 2007 mit seinem in der Zeit Ceausescus angesiedelten Abtreibungsdrama 4 Months, 3 Weeks, 2 Days Furore. Nun präsentiert Mungiu wieder ein Epos, das Schlaglichter auf die heutige Gesellschaft Rumäniens wirft.

Text: Doris Senn / 24. Apr. 2013

Für Beyond the Hills liess sich Cristian Mungiu von einem Fait divers inspirieren: 2005 sorgte der Fall einer jungen Frau, die ihre Freundin in einem abgelegenen Kloster in Moldawien besuchte und wenig später an den Folgen eines Exorzismusrituals starb, weltweit für Aufregung. Mungiu griff das Vorkommnis auf – basierend auf den Recherche-Romanen von Tatiana Niculescu Bran – und kreierte ein Epos über ein Rumänien zwischen Archaik und Moderne.

Beyond the Hills erzählt die Geschichte von Alina, die nach Rumänien zurückkehrt und Voichitsa besucht, ihre Freundin und Geliebte, mit der sie zusammen im Waisenhaus aufwuchs. Diese fand in einem Kloster Zuflucht. Alina nun möchte Voichitsa dazu bewegen, mit ihr wegzugehen. Doch Voichitsa ist unsicher, zu fest eingebunden in die klösterliche Gemeinschaft, wo sie sich geborgen fühlt. Alina ihrerseits ist unentschlossen, rebelliert, um dann wieder abzuwarten. Doch als sie merkt, dass Voichitsa sich ihr entzieht, droht sie zu verzweifeln. Der Priester und die Oberin deuten dies als «Zeichen des Bösen» und versuchen, Gegenmassnahmen zu treffen – mit fatalen Folgen.

Beyond the hills 02

Cristian Mungiu – einer der bedeutendsten Vertreter des zeitgenössischen rumänischen Kinos – machte 2007 mit seinem in der Zeit Ceausescus angesiedelten Abtreibungsdrama 4 Months, 3 Weeks, 2 Days Furore. Nun präsentiert Mungiu wieder ein Epos, das Schlaglichter auf die heutige Gesellschaft Rumäniens wirft. Dazu vertraut er – wie schon zuvor – in erster Linie auf eine visuelle Umsetzung: Bilder im Cinemascope-Format, das der Regisseur – als wohl einer der Letzten seiner Zunft – auf 35 Millimeter drehte, mit vielen Totalen und langsamen Kamerafahrten. Mungiu liebt es, seine Szenen nicht nur in die Breite, sondern auch in die Tiefe zu konstruieren (in bester Tradition nach Orson Welles’ Citizen Kane). So etwa im Polizeibüro, wo Voichitsa einen neuen Pass beantragt: Vom Geschehen im Vordergrund verlagern sich – bei unveränderter Kameraeinstellung – die Handlung und unser Blick unmerklich in die dahinterliegenden Büros, wo sich Nebenschauplätze befinden. Gemälden gleich verweilt die Kamera von Oleg Mutu – dem ständigen Begleiter bei Mungius Filmprojekten – gefühlte Ewigkeiten lang immer wieder auf demselben Ausschnitt, zeigt Fragmente von Körpern und Gesichtern, die vom Dunkel fast verschluckt werden. Die Geräuschkulisse ist minimal und beschränkt sich auf wenige Dialoge und Umgebungsgeräusche.

Was den Film nebst dem Formalen so herausragend macht, ist, dass Mungiu darauf verzichtet zu dämonisieren – weder den Priester noch die Oberin oder die Schwestern. Und dies, ohne sie von ihrer Verantwortung freizusprechen. Vielmehr zeichnet er die Welt des Klosters in ihrem weltfremden, menschenfeindlichen Anachronismus. Als schöne Mise en Abîme für diesen Fokus: die Schlussszene im Polizeiauto. Die beiden Beamten haben die Hauptschuldigen aus dem Kloster in ihren kleinen Lieferwagen gepackt und fahren nun zur Staatsanwaltschaft: über vom Schnee verstellte Strassen, auf denen die Baustellen Legion sind und der aufspritzende Schneematsch die Scheiben verschmiert … Während die beiden Polizisten im vorderen Teil des Wagens auf Anordnungen von oben warten und der eine die Abwesenheit des anderen nutzt, um sich eine Zigarette anzustecken, fährt die Kamera im Innern des Vans langsam nach vorne, entlässt Priester und Klosterschwestern und das erzählte Drama aus dem Blick, um nur mehr das aktuelle Rumänien – mit seinen kleinen grossen Problemen – zu fokussieren. Eine meisterlich gelungene Inszenierung, welche die Zerrissenheit des heutigen Rumänien zwischen gestern und heute nicht besser ins Bild fassen könnte.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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