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The Whistleblower

Text: Michael Pfister / 02. Nov. 2011

«Lesen Sie das nicht, wenn Sie einen schwachen Magen haben», schreibt Kathy Bolkovac, amerikanische Polizistin und UNO-Friedenshelferin in Bosnien, in einer E-Mail, mit der sie den obersten UNO-Beamten vor Ort darüber informiert, dass Mitglieder der internationalen Friedenstruppen zu einem Frauenhändlerring gehören. Die Warnung lässt sich auf den Film der kanadischen Regisseurin Larysa Kondracki über den Whistleblower Kathy Bolkovac übertragen. Sich anzusehen, wie Mädchen aus Osteuropa von ihren Zuhältern verprügelt, mit einem Stahlrohr vergewaltigt oder gar exekutiert werden, ist nicht angenehm.

Kondrackis Erstling basiert auf einer wahren Geschichte: Kathy Bolkovac gab 1999 ihren Job bei der Polizei von Nebraska auf, um als «Peacekeeper» nach Bosnien zu gehen. Die von <Rachel Weisz< gespielte Polizistin lässt sich von der im Bereich «Sicherheitsdienstleistungen» tätigen Firma Democra (in Wirklichkeit: DynCorp) vor allem anheuern, weil sie in sechs Monaten 100’000 Dollar verdienen kann. Bosnien nach dem Krieg zeichnet die Regisseurin als tristes Reich der Kälte in Blau- und Grautönen, dann und wann angereichert mit Rauchschwaden. Auch der Alltag zwischen der Verweigerungshaltung der einheimischen Polizei und der Feriencamp-Stimmung des internationalen Personals ist trostlos. Immerhin ermittelt Bolkovac in einigen Fällen von häuslicher Gewalt erfolgreich und wird zur Leiterin der Abteilung für Gender-Fragen ernannt.

Bald findet die Polizistin heraus, dass die Nachtclubs der Gegend in Wirklichkeit Bordelle mit zum Teil minderjährigen Zwangsprostituierten aus der Ukraine und Tschetschenien sind. Aber es kommt noch dicker: Viele ihrer UNO-Kollegen sind nicht nur Freier, sondern nehmen von den Zuhältern Schutzgeld und beteiligen sich selber am Frauenschmuggel – schliesslich ist es für Blauhelme leichter, unkontrolliert Grenzübergänge zu passieren.

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Bolkovac’ Versuche, einige Mädchen zu befreien und vor Gericht aussagen zu lassen, werden sabotiert. Die gefährlichen Zeuginnen werden wieder entführt, brutal eingeschüchtert oder sogar ermordet. Die Ermittlerin selber wird abgehört, erhält anonyme Drohungen auf ihrem Telefonbeantworter, und als sie sich an einen Vorgesetzten wendet, nimmt dieser sie unter Burnout-Verdacht und will ihr einen Urlaub schmackhaft machen.

An Whistleblower in Grossbanken, Atomenergiefirmen oder korrupten Polizeiabteilungen haben wir uns schon gewöhnt. Dass auch auf UNO-Chefetagen skrupellos Verbrecher in den eigenen Reihen gedeckt werden, schockiert umso nachhaltiger, als wir doch mindestens mit heimlicher Naivität hoffen möchten, die Vereinten Nationen seien eine über Einzelinteressen erhabene Institution. Solche Illusionen zerstört der Chef des UNO-Einsatzes, indem er Bolkovac nach ihrer Anzeige fristlos entlässt und knapp bemerkt: «Das sind Kriegshuren – so etwas kommt vor.»

Rachel Weisz stellt die bei den Dreharbeiten anwesende Kathy Bolkovac wirklichkeitsgetreu nicht als politisch motivierte Aktivistin dar. Halb burschikos, halb zerbrechlich, ist sie eine im Grunde schüchterne und harmoniebedürftige Polizistin, die schlicht ihren Job gut machen will. Als journalistischer Beitrag ist The Whistleblower hochnotwendig und verdient ein grosses Publikum. Doch wie vergleichbare frühere Filme wie Serpico (1973, mit Al Pacino), Silkwood (1983, mit Meryl Streep) oder Erin Brockovich (2000, Oscar für Julia Roberts) erliegt auch dieser Film der Versuchung, sich zum Vehikel für einen Star zu machen. Kondracki setzt ganz auf das Porträt ihrer Heldin wider Willen und auf das Elend der versklavten Frauen. Auch wenn sie ausnahmsweise einmal den Rhythmus verlangsamt und die Hauptfigur in ihrer Erschütterung mit angeschnittenem Gesicht fast aus der Leinwand fallen lässt, bleibt die Bildsprache fast immer konventionell.

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Ärgerlich wird es, wenn sie Stereotypen aus Whodunit-Krimis einbaut – wie etwa die obligate Pinnwand mit Fotos der “Verdächtigen”.

Warum enttäuschen politisch engagierte Filme so oft in künstlerischer Hinsicht? Weil sie angesichts der Wichtigkeit des Inhalts die Form vernachlässigen. Und den Kontext: Viel zu oberflächlich werden in The Whistleblower die Korruption der Kollegen, die Komplizität der Vorgesetzten thematisiert. Dabei gäbe es durchaus vielversprechende Ansätze im Figurenkabinett: Monica Bellucci spielt eine Beamtin, die für die Rückführung von durch den Krieg Vertriebenen zuständig ist, eine unterkühlte «Madame Sachzwang», die von Bolkovac’ Engagement nichts wissen will: «Es liegt nicht an mir. Es liegt an der Politik.» Vanessa Redgrave ist eine Menschenrechtskommissarin, die Bolkovac zwar protegiert, aber dies anscheinend nicht offen tun kann. Die drei weiblichen Charaktere gleichmässig zu gewichten und aneinander zu reiben, hätte womöglich ein differenzierteres, aufschlussreicheres Bild der Verhältnisse ergeben.

Zum Schluss erfahren wir lediglich, dass ein britisches Gericht Bolkovac’ Entlassung als missbräuchlich beurteilte und dass einige in den Frauenhandel verwickelte Personen nach Hause geschickt, aber juristisch nicht belangt wurden. Doch wie ist es Kathy Bolkovac weiter ergangen, als sie sich schliesslich an die Medien wandte und ihre Erfahrungen in einem Buch festhielt? Wurde sie bejubelt, ignoriert, der Selbstdarstellung verdächtigt? Wir, die Öffentlichkeit, können uns bekanntlich nur schwer entscheiden, ob Christoph Meili, Julian Assange oder Rudolf Elmer nun mutige Helden oder geltungssüchtige Nestbeschmutzer seien. Rachel Weisz hätte man es gerne zugetraut, den schmalen Grat zwischen Bewunderung und Stigmatisierung darzustellen, das zweischneidige Leben nach dem Pfiff.

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