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Bilder nach dem Krieg

Immer geht es Dokumentarfilmen darum, Öffentlich­keiten zu erreichen und die Zuschauer_​innen zum ­Weiterdenken anzuregen. Aus diesem Anspruch kann gesellschaftlicher Wandel resultieren – in den Köpfen der Menschen ebenso wie in politischen Gefügen. Im Kontext des zerfallenden Jugo­slawien lässt sich dies anhand eines in unseren Breiten weitgehend unbekannten Korpus erörtern. Ein bruchstückhafter Einblick.

Text: Andrea Reiter / 10. Dez. 2019

Sehr früh nach der Ausrufung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien – mit ihren sechs Teilrepubliken Serbien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Slowenien, Montenegro, Mazedonien sowie den beiden zu Serbien gehörenden autonomen Provinzen Kosovo und Vojvodina – erklärte Staatschef Josip Broz Tito, der das Land von 1945 bis zu seinem Tod 1980 regierte, den Film gemäss Lenins Maxime zur wichtigsten Kunstform im Kommunismus. Staatlich organisiert und in den meisten Phasen der Republik weitgehend selbstbestimmt, das heisst ohne restriktive zensorische Kontrolle, entwickelte sich so eine blühende Filmszene mit eigenständigen Traditionen, Schwerpunktsetzungen und individuellen künstlerischen Handschriften in den einzelnen Teilrepubliken, gerade auch im Dokumentarfilmbereich. Viele Dokumentarfilmschaffende zeigten sich politisch und sozialkritisch engagiert, befassten sich mit Ungerechtigkeit, gesellschaftlicher Unzufriedenheit, Arbeitslosigkeit, politischen Entwicklungen oder offizieller Geschichtsschreibung und erfuhren national wie international Beachtung. Da Jugoslawien Teil der blockfreien Staaten war, bestand für die Filmemacher_innen immer die Möglichkeit des internationalen Austauschs, sowohl was den Vertrieb eigener Werke als auch die Inspiration durch künstlerische Strömungen anbelangt.

Der Zerfall Jugoslawiens führte für die Filmemacher_innen der Region zu einem Konflikt mit den spezifischen aktuellen Gegebenheiten. Mit Dokumentarfilmen vielschichtige Sachverhalte in ihrer Komplexität aufzuzeigen, Kritik an den dominanten Rhetoriken der politischen Eliten zu üben und sich damit Gehör zu verschaffen, war in den neu entstandenen Nationalstaaten, vor allem im ersten Jahrzehnt ab 1991 – dem Ausgangspunkt des Zusammenbruchs der Republik –, ein äusserst schwieriges Unterfangen. Nicht nur waren die Bedingungen für die Produktion praktisch über Nacht weitgehend ausser Kraft gesetzt, was bezüglich Finanzierung, Herstellung und Vertrieb auf das gesamte Filmschaffen Auswirkungen hatte. Weit schwerer wogen die staatlichen Restriktionen gegen jegliche Formen des politischen Widerstands. So versuchten die neuen Regierungen durch mediale Kontrolle und Propaganda ihre nationale Politik zu rechtfertigen und zu stärken. Dennoch existierte von Anfang an in allen Ländern Ex-Jugoslawiens ein, wenn auch über lange Jahre marginales, kritisches Medien- und Dokumentarfilmschaffen, das sich der Auseinandersetzung mit dem gewaltsamen Zerfall und seinen Ursachen sowie den sich daraus ergebenden Problemen der jugoslawischen Nachfolgestaaten widmete. Kritische Dokumentarfilme jener Zeit ermutigten die Zuschauer_innen – vor allem jene vor Ort, aber auch ein internationales Publikum mitsamt den im Ausland lebenden «Ex-Jugoslaw_innen» – zur kritischen Reflexion über die populistisch-nationalistischen Entwicklungen und zur politischen Einmischung. [...]

Den ganzen Essay können Sie in der Printausgabe von Filmbulletin lesen: Ausgabe 8/2019 bestellen

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2019 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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