Kino ist voyeuristische Schaulust. Kein Wunder also, sind oft nicht die Filme, die am meisten Haut zeigen, die erotischsten, sondern jene, die verstehen, wie viel Kraft in einem Blick, einer flüchtigen Bewegung, einem wohlbehüteten Geheimnis steckt. Alfred Hitchcock, Jane Campion, Wong Kar-wai, Park Chan-wook und Co. lassen grüssen.
Dass es auch Steven Soderbergh verdient hat, in dieser Gesellschaft genannt zu werden, stellt der Regisseur, Drehbuchautor, Kameramann und Editor in seinem neuen Film unter Beweis. Black Bag, basierend auf einem Skript von David Koepp (Jurassic Park, Panic Room), mag von einer Gruppe buchstäblich zugeknöpfter britischer Geheimagent:innen handeln, sirrt aber, vielleicht gerade wegen des geheimniskrämerischen Milieus, nur so vor lauter erotischer und romantischer Spannung – so sehr, dass selbst das brutale Verspritzen von Gehirnmasse zu einem sinnlichen Akt der Liebe wird.

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Als Protagonist fungiert George Woodhouse, der nicht nur in Beruf und Namen an John le Carrés literarischen MI6-Agenten George Smiley erinnert, sondern auch dank der grossartigen Leinwandpräsenz von Hauptdarsteller Michael Fassbender: Der Deutsch-Ire spielt George als gefasstes Phlegma in Person und wirkt mit seinen wie angegossen sitzenden Hemden, würdevoll getragenen Sorgenfalten und seinem staubtrockenen Humor bisweilen wie eine gezielte Hommage an Gary Oldmans Smiley, den es in Tinker Tailor Soldier Spy (2011) zu bewundern gab.
Und eben dieser George erhält den Auftrag, herauszufinden, welche:r seiner Kolleg:innen eine streng geheime Software geklaut hat, die, wenn sie in die falschen Hände gelangen würde, Tausende von Todesopfern fordern könnte. Das Brisante daran: Neben dem flegelhaften Freddie (Tom Burke), dem militärisch korrekten James (Regé-Jean Page), der beflissenen Clarissa (Marisa Abela) und der analytischen Zoe (Naomie Harris) kommt auch Georges Ehefrau Kathryn (Cate Blanchett) als Schuldige infrage.
Diesen ziemlich austauschbaren Spionage-Plot verbiegen Soderbergh und Koepp – ohne den Pulp-Fiction-Unterhaltungswert des Stoffs zu opfern – zu einem eisigen, aber gleichzeitig irgendwie auch offenherzigen Beziehungsdrama. Denn abgesehen von George und Kathryn, sind auch James und Zoe respektive Clarissa und Freddie miteinander liiert.

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Das führt einerseits zu mehreren raffiniert konzipierten, von Soderbergh herrlich stimmig ausgeleuchteten und aufregend geschnittenen Dialog-Schlüsselszenen, in denen das dramaturgische Repertoire des Thrillergenres mit jenem der Romanze gekreuzt wird: Ob angespanntes Lügendetektorverhör oder scheinbar ungezwungene Esstischkonversation – in beiden Situationen geht es letztlich um die unbequemen Kleinigkeiten, die sich zwischen den Zeilen verbergen.
Andererseits offenbart Black Bag, wie sowohl Liebesbeziehungen als auch dreckige Geheimdienstarbeit von ihren verführerischen Untiefen leben. «I can feel when you’re watching me», sagt Kathryn, als sie beim Umziehen Georges Blick spürt. «I like it.» Die feine Spannung zwischen der Freude, gesehen und begehrt zu werden, und der Notwendigkeit, ein Privatleben zu führen, der Tatsache, dass man sein Gegenüber niemals vollumfänglich kennen kann, wird hier versinnbildlicht durch den sprichwörtlichen «Black Bag», in dem die MI6-Agent:innen ihre Berufsgeheimnisse verstauen. Mit dieser Spannung umzugehen, ist alles andere als einfach, die Lösung, die Soderbergh und Koepp vorschlagen, dafür ebenso romantisch wie pragmatisch: Das Geheimnis einer erfolgreichen Beziehung – und einer erfolgreichen Mission – ist gute Kommunikation.