Filmbulletin Print Logo
Bugonia
© Universal Pictures International Switzerland. All Rights Reserved./2025 FOCUS FEATURES. A COMCAST COMPANY.

Nicht von dieser Welt: Bugonia

Im Universum von Yorgos Lanthimos wird ein wenig umgeräumt. Das tut dem griechischen Provokateur gut.

Text: Alan Mattli / 28. Okt. 2025
  • Regie

    Yorgos Lanthimos

  • Buch

    Will Tracy

  • Kamera

    Robbie Ryan

  • Schnitt

    Yorgos Mavropsaridis

  • Musik

    Jerskin Fendrix

  • Mit

    Jesse Plemons, Emma Stone, Aidan Delbis, Stavros Halkias, Alicia Silverstone

  • Start

    30. Oktober 2025

Wenn ein:e Filmemacher:in zur Marke wird, ist Vorsicht geboten: Nur allzu schnell ist aus der persönlichen Handschrift ein dumpfes Selbstzitat, aus dem unverkennbaren Stil eine effekthascherische Selbstparodie geworden – vor allem, wenn den Werken anderweitig die Substanz ausgeht.

Derartiges liess zuletzt etwa Yorgos Lanthimos befürchten. Der inoffizielle Schirmherr der «Greek Weird Wave», der 2009 mit dem Isolations-Psychodrama Dogtooth den internationalen Durchbruch schaffte, hat sich mit seinen verqueren, absichtlich überhöhten, ästhetisch verschrobenen englischsprachigen Werken – darunter The Lobster (2015), The Killing of a Sacred Deer (2017) und The Favourite (2018) – eine treue Fangemeinde erarbeitet, insbesondere im hippen A24-, MUBI- und Letterboxd-Milieu. Nachdem jedoch einige seiner Vorlieben – die Fischaugenobjektive, die Stanley-Kubrick-Referenzen, die Emma Stone im Deadpan-Modus – schon in Poor Things (2023) in Richtung Selbstzweck tendiert hatten, drifteten diese in der Anthologie-Groteske Kinds of Kindness (2024) vollends ins kreative Abseits ab: 160 Minuten erzählerischer, emotionaler und komödiantischer Leerlauf, ausgeschmückt mit willkürlich gewählten Lanthimos-ismen.

Bugonia 1

© Universal Pictures International Switzerland. All Rights Reserved./2025 FOCUS FEATURES. A COMCAST COMPANY.

Da kommt ein kleiner Bruch wie Bugonia gerade recht. Erstmals seit The Lobster bleibt Lanthimos wieder unter zwei Stunden, sein zuletzt immer weiter gewachsene Cast ist auf drei primäre Darsteller:innen zusammengeschrumpft, und das Drehbuch stammt aus der Feder von The Menu-Co-Autor Will Tracy – einem Lanthimos-Neuzugang mit «The Onion»- und Last Week Tonight with John Oliver-Erfahrung. Überhaupt besteht hier eine gesunde Distanz zwischen Regisseur und Stoff, denn Bugonia ist ein Remake der 22 Jahre alten schwarzen Science-Fiction-Horrorthriller-Komödie (!) Save the Green Planet! des Südkoreaners Jang Joon-hwan.

Wohlverstanden, der Film ist dennoch unverkennbar ein Lanthimos-Werk, zwar mit weniger visuellen Spielereien und – mit einer grossen Ausnahme – gemässigteren Ausstattungsambitionen als auch schon, dafür mit der gewohnten Kombination aus minutiös komponierten Weitwinkelaufnahmen und einer Geschichte, in der selbst die haarsträubendsten Verrücktheiten wie selbstverständliche Alltäglichkeiten behandelt werden. Und auch die reduzierte, klaustrophobe Prämisse schliesst ziemlich nahtlos an Filme wie Dogtooth und The Favourite an: In der Hauptrolle glänzt der grossartige Jesse Plemons als imkernder Online-Verschwörungstheoretiker Teddy Gatz, der zusammen mit seinem Cousin Don (Aidan Delbis) die Pharma-CEO Michelle Fuller (Emma Stone) entführt und im selbstgebastelten Folterkeller einsperrt. Der Grund: Teddy glaubt, Michelle sei eine hochrangige Beamte in der Alien-Regierung, die im Geheimen die Geschicke der Welt lenkt, und könne ihn auf ihr Mutterschiff beamen, damit er dort über die Freilassung der Menschheit verhandeln kann.

Bugonia 2

© Universal Pictures International Switzerland. All Rights Reserved./2025 FOCUS FEATURES. A COMCAST COMPANY.

Doch auch Tracys Spuren machen sich hier bemerkbar. Wie schon The Menu interessiert sich Bugonia für wirtschaftliche Ungleichheit, toxische Männlichkeit, extremistische Online-Subkulturen – Teddy erklärt stolz, er habe von Alt-Right über Alt-Lite bis Alt-Left schon alle Bewegungen ausprobiert –, den drohenden Klimakollaps und die zerrissene Weltlage im Allgemeinen, allerdings ohne diese Versatzstücke nennenswert zu vertiefen. Auch die Figurenzeichnung bleibt überwiegend an der Oberfläche, was unter anderem zur Folge hat, dass die Momente, in denen der Film die Tragik von Cousin Don ins Zentrum zu rücken versucht, zu seinen schwächsten gehört.

Verkraften lässt sich das aber allemal, weil Bugonia, im Unterschied zu Kinds of Kindness, die richtige Balance zwischen grenzüberschreitender Provokation und dreckiger Komödie findet. Mit seiner typisch entrückten Inszenierung, die es dem Publikum überlässt, ob es nun lachen oder weinen soll, ob ein Gewaltakt nun Slapstick oder Trauerspiel ist, schafft Lanthimos ein durchgehend einnehmendes, angenehm offenes Filmerlebnis. Die Marke hat noch nicht ausgedient.

 

Weitere Empfehlungen

Kino

23. Jan. 2019

The Favourite

Zwei Frauen kämpfen am Hof von Queen Anne um die Gunst der Monarchin. Yorgos Lanthimos’ erstes Historiendrama mit Starbesetzung ist ein brillant gespielter und inszenierter Abgesang auf menschliche Werte und Moral.