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Child’s Play

Der Trend zum Remake macht auch vor Chucky, der Mörderpuppe nicht halt. Ein weiteres Mal macht sich eine niedliche Spielzeugkreatur daran, ihre Serienmörderambitionen zu realisieren.

Text: Lukas Foerster / 18. Juli 2019

Schmal ist der Grad zwischen cute und creepy. Schwer zu sagen, wo genau die Grenze verläuft, wie und warum das eine ins andere kippt. Es scheint etwas mit dem Grad an Artifizialität zu tun zu haben. Natürlich wissen wir um die Gemachtheit von süssen Zeichentrickgeschöpfen, flauschigen Kuscheltieren und tappsigen Tiervideos. Aber solange derartige Artefakte des Alltagskitsches eine Aura von Anstrengungslosigkeit und harmonischer Einfachheit umflort, können wir sie als kleine, quasinatürliche Glücksmomente in unserem durchtechnisierten Alltag geniessen. Es bedarf jedoch nur eines kleinen Eingriffs, einer lokalen Forcierung, und plötzlich ist cuteness nicht mehr cuteness, sondern wird zu einem Schrecken, der uns in unserem Innersten trifft.

Um die Technik dieser Forcierung, die die cuteness weniger negiert als über sich hinaustreibt, geht es in einer Szene von Child’s Play, dem Remake eines gleichnamigen Horrorfilmklassikers aus dem Jahr 1988. Andy (Gabriel Bateman) und zwei seiner Freunde wollen die sprechende und mit allerlei weiteren technischen Gadgets ausgestattete Puppe Chucky dazu benutzen, Shane (David Lewis), den ungeliebten neuen Freund von Andys Mutter Karen (Aubrey Plaza), aus der Wohnung und dem Leben der Rumpffamilie zu vertreiben. Deshalb bringen sie der Puppe bei, eine creepy Grimasse zu schneiden. Die ersten Versuche scheitern: Das Grinsen ist noch immer zu süss, wie wäre es, Chucky, wenn Du die Mundwinkel ein klein wenig weiter nach oben dehnst, die Augenbrauen ein bisschen näher zusammenziehst … Irgendwann klebt dem knuddeligen rothaarigen Geschöpf ein perfekt furchteinflössendes digitales Grinsen im Gesicht. Der eigentliche Witz an der Sache besteht freilich darin, dass Chucky die Creepiness gar nicht beigebracht werden muss. Dieses spezielle Spielzeug ist von sich aus, seit seiner Geburt am Fliessband, böse. Aus der Perspektive von Chucky ist das harmlose Grinsen die Verstellung, wenn Andy und seine Freunde ihn zum Kobold abrichten wollen, darf er hingegen endlich sein wahres Gesicht zeigen.

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Die Szene ist eine der wenigen tatsächlich originellen Neuerungen der Wiederauflage. Weil sie den technischen Fortschritt zu nutzen weiss: Chucky 2019 ist, natürlich, computeranimiert, die neue Technik ermöglicht ganz andere Formen der mimischen Modulation als die sehr viel grobschlächtigere Stop-Motion-Animation der bisherigen Child’s Play-Filme (auf das Original von 1988 folgten sechs zunehmend abstrusere, teilweise aber recht gut beleumundete Sequels). Eine weitere, bezeichnende Abweichung von der Vorlage betrifft die Erklärung für Chuckys Blutdurst. In den alten Filmen wohnte in Chuckys Puppenkörper der Geist eines menschlichen Serienkillers, der das Spielzeug vor seinem eigenen Tod mit einem Voodoofluch belegt hatte. Das Unheimliche an Chucky ist noch eine Funktion der Mensch-Maschine-Differenz und übersetzt sich in die Versuche der Puppe, doch wieder menschlich zu werden. Dieser Handlungsstrang wird, mitsamt des kulturhistorischen Ballasts, der an ihm dranhängt, in der 2019er-Version ersatzlos gestrichen; in der Tat mutet die Vorstellung heute absurd an, dass ein uns in allen praktischen Belangen überlegene Elektronengehirn ausgerechnet das Verlangen nach einer menschlichen Seele überkommen könnte ... Im aktuellen Child’s Play trägt ein simpler Bug die Schuld an Chuckys Amokläufen. Genauer gesagt handelt es sich um einen Sabotageakt: In der vietnamesischen Spielzeugfabrik, die die Puppen fertigt, hackt sich ein Arbeiter aus Wut über seine Entlassung in das Computergehirn einer der Spielzeuggeschöpfe und überschreibt diverse Sicherungsmechanismen.

Streng genommen wird Chucky damit zur Waffe in einem globalisierten Klassenkampf; ein Plotmanöver, das allerdings ebenso schwachbrüstig ausfällt wie diverse weitere Versuche, das Szenario in Richtung Kapitalismussatire auszuweiten. Die Tatsache, dass in unseren Haushalten alles mit allem vernetzt ist und dass ein immer grösserer Anteil dieser Geräte einer immer kleineren Anzahl an weltweit operierenden Konzernen gehören, ist durchaus creepy. Aber sie geht nicht so recht zusammen mit dem Konzept des einen, über all diese Apparaturen gebietenden Filmmonsters. Der Schrecken der neuen durchtechnologisierten Normalität besteht gerade in der Dezentralität, in seinem Widerstand gegen Verkörperung. Vermutlich deshalb gelingt es dem Horrorfilm derzeit nur selten, am ehesten noch in Desktopschockern wie Unfriended, ihn zu fassen zu bekommen.

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Was nicht heisst, dass man mit Child’s Play 2019 keinen Spass haben kann. Die meisten Figuren sind zwar noch platter angelegt als im Original (besonders unschön ist die Tendenz des Films, alle Opfer der Puppe als grösstmögliche Unsympathen zu zeichnen, die ihr Schicksal irgendwie doch verdient haben), aber die Besetzung macht einiges wieder wett; insbesondere Plazas wie stets exzentrische Performance emanzipiert sich schnell vom Drehbuchklischee der überforderten alleinerziehenden Mutter. Chucky seinersits lernt das Metzeln von Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre 2, den Andy und seine Kumpels sich, ängstlich-kichernd vor dem Fernseher sitzend, reinziehen und auch Regisseur Lars Klevberg hat offensichtlich in seiner Jugend die richtige Art Horrorfilme gesehen. Dem aseptischen Gruselhandwerk der das Genre zur Zeit dominierenden Conjuring-Filme setzt er fröhlich-blutige Derbheiten entgegen, die zumindest gelegentlich nicht nur an Hooper, sondern auch an die fantasievollen Special-Effects-Horrorfilme von Stuart Gordon und Brian Yuzna erinnern. Regisseure, die schon immer wussten, dass es filmisch interessanter ist, Menschen wie Spielzeug zu behandeln als umgekehrt.

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