Die Kamera bleibt nahe an Isios Gesicht, während sie durch den Gang des Hatchworth Removal Centre geführt wird. Ihre Lippen zittern. Ihr Blick irrt ängstlich im Raum umher. Während lautes Geschrei durch die Wände dringt, listet die Wächterin mechanisch die Regeln auf. Der Alltag in Hatchworth ist geprägt von Überwachung und Unsicherheit. Wächter:innen betreten ohne Vorwarnung das Zimmer. In Anhörungen müssen Traumata im Detail geschildert werden. Schliesslich entscheidet eine willkürliche Logik darüber, was Wahrheit ist und wer «wirklich» gefährdet ist.
Nach ihrer Flucht aus Nigeria kann Isio (Ronkẹ Adékoluẹjo) kaum glauben, dass sie sich nun im Ausschaffungsgefängnis befindet. Ihre Mitbewohnerin Farah (Ann Akinjirin) gibt ihr Orientierung und erinnert sie daran, dass ihre Angst ihren Verstand nicht kontrollieren muss. Denn nicht nur die Wände des Removal Centre halten Isio gefangen, sondern auch die Gespenster ihrer Vergangenheit. Während sie nachts von Albträumen heimgesucht wird, träumt sie tagsüber mit Farah von einer gemeinsamen Zukunft. Nachdem sich Isio zunächst gegen ihre Gefühle für Farah sträubt, entfaltet sich ihre Liebesgeschichte in zögerlichen Momenten der Zärtlichkeit. So wird das Träumen zur Überlebensstrategie – und zu einer Form des Widerstands.
© First Hand Films
Mit Dreamers legt Joy Gharoro-Akpojotor ihr Regiedebüt vor. Als Produzentin von Blue Story (2019) hat sie sich bereits einen Namen gemacht und schafft mit ihrer Produktionsfirma Joi Productions Raum für queere Schwarze Geschichten. In Dreamers steht das subjektive Erleben der Protagonistin im Zentrum. Ihre Gefühle färben jede Szene: Rot, wenn sie in Panik gerät, Blau, wenn sie aus Trauer erstarrt, Orange, als sie sich verliebt. Der Kontrast zwischen Isios Innenleben und äusseren Gewaltstrukturen speist die Emotionalität des Films und widersetzt sich dem medialen Reflex, geflüchtete Personen als homogene Masse darzustellen. Diese Gewalt wird subtil gezeigt: im langen Blick des Wächters, als er Isio und Farah schlafend im gleichen Bett vorfindet, in Isios Perücke mit glattem Haar, die sie sich vor Anhörungen aufsetzt.
Dennoch ist Dreamers kein aufständischer, wütender Film, sondern eine Reflexion über die Bedeutung mentaler Freiheit. Diese wirkt bisweilen allerdings zu kurz gegriffen: Isios Wendepunkt geschieht abrupt und wird so der oft nonlinearen Verarbeitung von Traumata nicht gerecht. Auch wenn ein widerständiger Film nicht laut sein muss, sollte er doch mit seiner Sensibilität überraschen. Dreamers hingegen berührt, hallt aber nicht lange nach.
Dazu bietet sich jedoch eine alternative Lesart an: Eine queere Schwarze Regisseurin, die Fluchterfahrung hat, hat einen Liebesfilm gedreht. Auch wenn diese Liebesgeschichte in einem Ausschaffungsgefängnis handelt, verdient sie es, in erster Linie eine Liebesgeschichte zu sein. Der Widerstand liegt darin, die Handlung dem Mut einer Person zu widmen, die es wagt, weiterzuleben und sich dem Stillstand dieses unmenschlichen Ortes zu widersetzen. So ist Dreamers ein poetisches Porträt eines inneren Befreiungsschlags.
Junge Kritik
Diese Kritik entstand im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK).