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Le theoreme de marguerite 5
© Outside the Box

Ella Rumpf: «Auch Schauspiel folgt einer Mathematik»

Die Hauptdarstellerin von Le théorème de Marguerite im Gespräch über ihre eigenes Mathekönnen und die Bedeutung der Sprache fürs Schauspiel.

Text: Teresa Vena / 11. Dez. 2023

FB Wie gut waren Sie in der Schule in Mathematik?

ER Es war eine Plage. Doch die Mathematikerin, die mich für den Film betreute, führte mich neu an die Mathematik heran. Ich lernte, dass es eine eigene Sprache ist, eine andere Ebene des Denkens. Sie hat etwas Unkompliziertes, das ermöglicht, das Wesentliche der Dinge zu finden, ihre Wahrheit zu erkennen.

FB Suchen Sie die Wahrheit der Dinge auch im Schauspiel?

ER Ja. Und ich erlebe einen Moment der totalen Glückseligkeit, wenn mir das gelingt. Man transportiert viele Dinge, die man erforscht hat und deren Wahrheit man plötzlich durch das Spielen gefunden hat. Ich denke, das ist es, was man als Schauspieler:in tut. Auch Schauspiel folgt einer gewissen Mathematik, aber auf einer emotionalen Ebene. Man kombiniert eine Menge Dinge, fügt sie zusammen und versucht, das Richtige zu finden, um es so wahrheitsgetreu wie möglich zu erzählen.

FB Was hat Ihnen an der Rolle der Marguerite gefallen?

ER Sie stellt sich viele Fragen, die ich mir selbst stelle: Wie ist es, in dieser Welt zu sein, seinen Weg zu finden, einsam zu sein? Wie wichtig ist es, sich für Dinge zu öffnen, dabei verletzlich zu sein? Was mir an Marguerite gefällt, ist, dass sie sehr eigenwillig ist und alles sehr ernst nimmt.

FB Für viele Rollen mussten Sie sich körperlich ziemlich stark verändern. Was ist die Herausforderung dabei?

ER Das ist genau das, was mich an der Schauspielerei am meisten interessiert. Ich finde es interessant, mich in die Haut anderer hineinzuversetzen. Das schult das Einfühlungsvermögen und die eigene Sichtweise. Wenn man die Kleidung und das Aussehen wechselt, verändert sich auch die Art, wie man sich bewegt, völlig. Für Marguerite haben wir die Schuhe, die Socken, die Stifte und die Kleidung sehr sorgfältig ausgewählt. Für mich zählt jedes Detail, weil alles etwas über sie aussagt.

FB Sehen Sie sich als einen ehrgeizigen Menschen?

ER Mein Ehrgeiz besteht darin, Sachen zu drehen, die ich selbst gerne schauen würde. Ich mag aber keine Wettbewerbe, denn ich glaube, dass die nur ablenken. Bei meiner Arbeit konzentriere ich mich darauf, wie ich die Ideen am besten umsetzen kann, um sie so verständlich wie möglich zu machen. Wie kann man eine Mathematikerin glaubwürdig machen? Das ist nicht leicht. Man muss suchen, und diese Suche ist nie zu Ende.

FB Sie haben in vielen verschiedenen Ländern und in verschiedenen Sprachen gearbeitet. In welcher Sprache fühlen Sie sich am wohlsten?

ER Ich habe Englisch studiert, darum fällt mir das leicht. Für mich steht die Sprache für eine Einfachheit, eine klare Linie. Das Französische wiederum ist voller Adjektive und kann den Verstand austricksen, es ist sehr barock. Man verliert sich in etwas, das zeitlos und romantisch ist. Bestimmte Ideen kann ich wiederum im Französischen viel besser wiedergeben als im Englischen. Das Schweizerdeutsche hat einen sehr begrenzten Wortschatz. Es ist schwieriger, gewisse Dinge auszudrücken. Mit der Qualität der Sprachen, mit ihrem Klang ändert sich der Denkprozess beim Schauspiel.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2023 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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