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© Für die künstlerische Leiterin Anaïs Emery war dies die erste GIFF-Ausgabe ohne Pandemiebeschränkung.

GIFF: Keine Angst vor der Zukunft

Am Genfer Filmfestival konnte man unlängst einen Blick in die VR-Brille und die audiovisuelle Zukunft zu wagen. Direktorin Anaïs Emery hat ein Programm ohne mediale Scheuklappen präsentiert.

Text: Selina Hangartner / 21. Nov. 2022

Man musste anfangs November ans GIFF reisen, ans Geneva International Film Festival, um zu erfahren, was uns kommende Tage in Sachen audiovisueller Kunst und Unterhaltung bringen werden.

Die Grenzüberwindung ist das Mantra des Festivals: Zwischen Kinosälen und VR-Spielweisen begegnen sich die Formate mühelos. Dem Publikum werden futuristische immersive audiovisuelle Installationen Seite an Seite mit traditionellen Festivalpremieren in Kinos gezeigt. Für die Industrie gibt es den Digital Market mit Talks und Networking-Events, der Innovationslustigen auch in der Schweiz endlich eine Plattform bieten soll.

Refn neu im Kleinformat

An der 28. Ausgabe, die gerade über die Bühne ging, begegnete man unter anderem dem Ehrengast Nicolas Winding Refn, zumindest in digital übertragener Form, in der er seine Masterclass abhielt. In dieser plauderte der dänisch-amerikanische Regisseur, der neuerdings gerne zwischen den Formaten wandelt, aus dem Nähkästchen.

Bis in die 2010er Jahre lieferte Refn mit Drive, Only God Forgives und The Neon Demon nämlich noch grellfarbiges, mit Techno-Beats unterlegtes Kino im Grossformat ab. 2019, dem Trend folgend, machte er einen Schwenk in Richtung «kleinerer» Formate, zunächst für Amazon. Für deren Streamingplattform Prime Video lieferte er Too Old to Die Young mit Miles Teller in der Hauptrolle ab, eine Miniserie oder ein 13-stündiger Film, wie Refn in seiner Masterclass selbst meint.

Gerade hat er seine Arbeit an der Serie Copenhagen Cowboy beendet, von der zwei Episoden schon am GIFF zu sehen waren und die bald in Gänze auf Netflix sein wird. Die Serie ist ein Corona-Kind und im Ursprungsland des Regisseurs entstanden, wo er, im Lockdown festsitzend, doch Lust auf eine kreative Fingerübung hatte – er arbeite gerne. Und Refn meint, er habe auch weiterhin Lust, die Grenzen des Kinos zu sprengen.

 

Zwischen Kinosaal und digitalem Marktplatz traf man auch auf die geschäftsführende und künstlerische Leiterin Anaïs Emery, für die gerade eine spezielle Ausgabe zu Ende ging. Für die NIFFF-Mitbegründerin war es die erste GIFF-Runde ohne vehemente Pandemiebeschränkung. «Obwohl ich schon 2020 mein Amt antrat, hat sich dieses Jahr wie meine allererste Ausgabe angefühlt», sagt Emery. Sie blicke zufrieden auf die letzten Tage zurück, denn die Identität, die sie dem Festival verleihen wollte, sei für sie auch tatsächlich spürbar: «Es gibt immer Sachen, die man noch verfeinern muss, aber ich fühle mich verstanden.»

Neue Leitung, neue Medien

Das GIFF begrüsste dieses Jahr rund 35 000 Besucher:innen und verzeichnet damit eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr. Dies, obwohl 2022 immer noch bewusst mit einem kondensierten Programm gearbeitet wurde. Nicht als auferlegte Einschränkung, sondern aus Prinzip: Die Wahl der Werke sei sorgfältig, und es sei wichtig, in allen Formaten künstlerische Qualität zu präsentieren, sagt Emery.

Ebenso zentral sei eine progressive Programmgestaltung, die nicht den Mainstream abdecke, sondern nach Vielfalt und Innovation suche. «Für mich war es ein Highlight dieses Jahr, dass gerade Evolver innert kürzester Zeit ausverkauft war.» Die immersive Arbeit und VR-Reise des Londoner Studio Marshmallow Laser Feast wurde von Terrence Malick mitproduziert, Cate Blanchett gibt darin die Erzählerin.

Spätestens in diesem Jahr wurde klar: Das GIFF unter Anaïs Emery lädt neue Formen des Audiovisuellen mit offenen Armen ein. Die Kinos stehen solchen Entwicklungen seit der Erfindung des Fernsehens traditionell eher kritisch gegenüber. Der Sorge, dass die Format Conversion am GIFF dem kriselnden Kino zusätzlich eine Plattform nehme, setzt Emery ihren Zukunftsoptimismus entgegen: «Für mich steht ausser Frage, dass das Kino weiterexistiert, aber es wird auch koexistieren. Das Publikum und ihr Verhältnis zum Audiovisuellen haben sich verändert. Ich sehe die Rolle des GIFF darin, das abzubilden, um die besten künstlerischen Arbeiten aller Formate zu präsentieren.»

Verraten, welche Ideen und Namen möglicher künftiger Gäste für die nächste Ausgabe sie schon im Kopf hat, möchte Anaïs Emery noch nicht – dafür sei sie, wie sie lachend meint, zu abergläubisch. Der Blick in die Zukunft wird am GIFF den audiovisuellen Künstler:innen überlassen.

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Ehrengast Nicolas Winding Refn hält seine Masterclass.

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