Filmbulletin Print Logo
Das erbe der bergler langjahr 08

«Ich denke nicht beim Drehen»

«Leute, die romantisiert werden und die Klischees unterliegen, wie es bei vielen Innerschweizern und Appenzellern der Fall ist, haben selber gar keine Freude daran. Beliebt sind Vorstellungen von solcher Art allenfalls bei den Tourismusverbänden und Werbeagenturen. Aber alles, was nun hilft, der Verklärung Aufklärung entgegenzusetzen, kommt gut an, das wollen die Leute sehen.»

Text: Pierre Lachat / 01. Okt. 2006

Erich Langjahr hat seine sämtlichen Filme, von Morgarten findet statt bis jetzt Das Erbe der Bergler, im voralpinen Raum, im Appenzell und in der Innerschweiz gedreht, wo er auch selber lebt, und damit hat er sich in einem gewissen Sinn zum Chronisten jener Gegend und ihrer Bewohner entwickelt. Vor allem andern lässt er es sich angelegen sein, und zwar mit jeder einzelnen seiner Arbeiten, den Klischees und romantischen Ideen entgegenzutreten, die sich mit Land und Leuten seiner engeren Heimat so hartnäckig verbinden.

ERICH LANGJAHR Leute, die romantisiert werden und die Klischees unterliegen, wie es bei vielen Innerschweizern und Appenzellern der Fall ist, haben selber gar keine Freude daran. Beliebt sind Vorstellungen von solcher Art allenfalls bei den Tourismusverbänden und Werbeagenturen. Aber alles, was nun hilft, der Verklärung Aufklärung entgegenzusetzen, kommt gut an, das wollen die Leute sehen. In diesem Sinne fühle ich mich von meinen innerschweizerischen Nachbarn getragen mit meinen Filmen. In diesem Landschaftsraum, zwischen dem Gebirge und den Städten, in diesem voralpinen Gebiet, da fühle ich mich sehr wohl. Die Ikone des Berglers – das ist der Menschentypus, von dem Das Erbe der Bergler handelt – steht im urnerischen Altdorf auf dem Hauptplatz, in Bronze gegossen: Da ist er zu sehen in seinem Hirtenhemd und den Holzschuhen. Dahinter steckt aber eine Realität, und die wollte ich erkunden. Ich habe ja selber gestaunt, dass es derlei noch gibt: dass sich eine Wirklichkeit dahinter verbirgt, und zwar noch jetzt, im neuen Jahrtausend. Aber selbstverständlich trägt sich die Tradition fort, das habe ich inzwischen verstanden.

Das erbe der bergler langjahr 16

FILMBULLETIN Das auffälligste Merkmal in der Art und Weise, wie Sie Ihren Beruf ausüben, ist das Prinzip des Selbermachens bis hin zum Verleih, um nicht von einem regelrechten Allesselbermachen zu reden.

ERICH LANGJAHR Wieso habe ich die Kamera weitgehend, vor allem in meinen neueren Filmen, selber gemacht? Und ich hab’s übrigens nicht ausschliesslich getan, bei zweien meiner Realisationen beschäftigte ich jeweils vier Kamerateams. Nun, der richtige Drehtag hängt eben von vielen Faktoren ab: Wetter, die Pässlichkeit der Leute, der Ablauf eines Rituals. Man muss manchmal einfach ganz schnell dahin gehen. Und dann noch einen Kameramann organisieren, oder immer einen auf Pikett zu haben, das ist sehr anstrengend, und vor allem ist es höchst kostspielig. Darum mache ich die Sache so gerne selbst. Ich will mit meiner Kamera nicht etwas zeigen. Für mich ist sie ein Instrument, damit ich als Zeitzeuge zugegen sein kann, denn ich gehe davon aus, dass alles nur einmal passiert. Ich bin nun der Begnadete und darf hier sein und zuschauen, wenn sich etwas ereignet. Ich denke nicht beim Drehen, ich habe ja nachher viel Zeit zum Denken. Wie ich mich bewege und organisiere mit meiner Kamera, das hat etwas Choreografisches. Ich bin wie gesteuert von einer Intuition. Manchmal tue ich automatisch das Richtige, weil mich das, was vor der Kamera geschieht, so stark beschäftigt. Wenn ich das selber mache, hat es natürlich den enormen Vorteil, dass ich ein Erlebender bin und mit keiner vorgefassten Meinung an die Wirklichkeit herantrete, sondern ich erachte das, was mir da zufällt, als ein Geschenk. Ich erlebe etwas durch den Sucher, und erst viel später, am Schneidetisch, mach ich mir Gedanken über die Bedeutung von dem, was ich vor mir habe, in diesem einmaligen Dokument.

Das erbe der bergler langjahr 02

FILMBULLETIN Die Montage benötigt dann allerdings, bei einer solchen Methode, umso mehr Zeit.

ERICH LANGJAHR Ich schneide natürlich unverhältnismässig unprofessionell. Im professionellen Bereich gibt es Vorgaben, man muss die Budgets eingeben, beim Bund wie bei den andern Geldgebern: wie viele Minuten werden in wie vielen Tagen geschnitten und so weiter? Aber ich kann nicht an den Setzlingen ziehen, es wächst nicht schneller. Denn vor allem das Distanznehmen braucht Zeit. Ich mache etwas, dann bin ich Macher. Doch hernach muss ich ja wieder Zuschauer werden. Die Maler haben bekanntlich dieses schlechte Image. Sie gelten als faul, weil man sie wieder in der Kneipe gesehen hat, bei einem Glas Roten. Dabei ist der Maler arbeitend, er muss Distanz gewinnen. Bei meinem neuen Film habe ich einmal mehr ein ganzes Jahr ununterbrochen am Schneidetisch verbracht. Doch tue ich es mit der Gewissheit, dass die letzten drei, vier Prozent einer Gestaltungsqualität noch einmal so viel Arbeit erfordern wie die ersten 97 Prozent.

FILMBULLETIN Im Endeffekt wirken Ihre Filme in keiner Weise «montiert». Da sind keine schnellen Schnittfolgen, da ist nichts Augenfälliges in dem Rhythmus, den Sie anschlagen, um die Bilder aneinanderzureihen. Die Montage wird sozusagen unsichtbar.

ERICH LANGJAHR Das ist beim Handwerker auch so. Wenn er bereits beim Zweihunderter-Schleifpapier angelangt ist, da erst merkt er dann, was für neue Unebenheiten unterdessen entstanden sind. Und er muss wieder auf ein gröberes Werkzeug zurückgreifen. Dabei ist er noch lange nicht beim Vierhunderter- oder Fünfhunderter-Schleifpapier angelangt.

FILMBULLETIN Wie schliesst nun Das Erbe der Bergler zu Ihren vorangegangenen Filmen auf?

ERICH LANGJAHR Die Idee, die Schweiz bilderbuchartig in einer Reihe von Filmen zu erforschen, hat mich schon immer fasziniert. Und jetzt bin ich beim letzten angelangt. Und ich höre es natürlich gern, wenn jemand findet, das füge sich am Ende alles wie unter einen einzigen grossen Bogen. Denn ich mochte immer diese Kinderbücher, in denen man einfach blättern kann. Jedes Bild hatte für sich eine Aussage. Man konnte es sehr lange betrachten, blätterte dann weiter und merkte mit der Zeit, wie ein jedes Bild im Kontext zum andern seinen Weg findet.

Das Gespräch mit Erich Langjahr führte Pierre Lachat

Das erbe der bergler langjahr 04

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2006 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Gale Anne Hurd

04. Aug. 2021

«Ich war schockiert, als Terminator ein Erfolg wurde»

Gale Anne Hurd gehört seit den Achtzigern zu den grossen Namen Hollywoods. Am Locarno Film Festival wird die Produzentin gerade mit dem «Premio Raimondo Rezzonico» geehrt – Anlass für uns, uns mit Hurd über ihre Karriere zu unterhalten.

Interview

01. Apr. 1998

«Mich interessiert der Umgang mit der sozialen und historischen Realität»

«In der Rückschau kommt mir die Abfolge meiner letzten Filme wie eine sehr logische Entwicklung vor, fast wie eine Trilogie: Der Traum vom grossen blauen Wasser über den Heimatverlust eines Tals in der Innerschweiz und den durch Industrialisierung geprägten Umgang mit natürlichen Ressourcen, dann Kebab & Rosoli, ein Film mit Heimischen und Geflüchteten, über Asylsuchende bei uns, und jetzt kommen die Themen Ökologie und Migration in Steinauer Nebraska in einem Film zusammen. Das war von mir nicht so geplant.

Interview

26. Juli 2017

The Woman Who Left

Jean Perret, Leiter der Filmabteilung an der HEAD in Genf, sprach mit dem philippinischen Regisseur Lav Diaz über dessen politisches Engagement, seine Unabhängigkeit in der Produktion, seine Arbeitsweise und über die Wichtigkeit von Stille im Film.