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Jenseits von Gut und Böse

Dem Weg des Wassers folgen: Über den Umgang mit der wichtigsten Ressource im Film und wie sie in Avatar – The Way of Water und im Dokumentarfilm Follow the Water über die Zukunft der Erde reflektieren lässt.

Text: Cindy Ziegler / 17. Mai 2023

Die bunte Schwarz-Weiss-Welt

Es ist eine faszinierende Welt. Die Welt von Pandora, die Regisseur James Cameron mit geballter 3-D-Kraft und gigantischem Budget inszeniert. Der erste Avatar-Film gilt als einer der erfolgreichsten aller Zeiten und wird auch nach mehr als zehn Jahren noch als Massstab für den Umgang mit 3-D-Technik angesetzt. Im vergangenen Dezember kam die langersehnte Fortsetzung Avatar – The Way of Water in die Kinos. Der Film knüpft an die bekannte Storyline an. Jake Sully, der sich endgültig mit seinem Avatar vereint hat, und seine Na’vi-Frau Neytiri haben mittlerweile Zuwachs bekommen. Gemeinsam mit ihren Kindern kämpfen sie gegen die «Himmelsmenschen», die noch immer versuchen, Pandora auszubeuten und zu zerstören. Insbesondere der dank technischer Hilfe auferstandene Colonel Miles Quaritch, Sullys Erzfeind, hat Interesse an der Vernichtung der indigenen Na’vi, vor allem aber an der Ausrottung von Sullys Familie.

Wie der Titel verspricht, spielt Teil 2 von Avatar zu grossen Teilen an und im Wasser. Die Sullys verlassen ihre Dschungelheimat und finden beim Stamm der Metkayina Zuflucht, die auf Atollen an der Küste leben. Bekannt bildgewaltig inszeniert Cameron auch diese Welt. Zusammen mit den Na’vi-Kindern Neteyam, Lo’ak, Kiri und Tuk tauchen die Zuschauer:innen ein in die Unterwasserwelt von Pandora. Auch Avatar 2 spricht Themen wie Migration oder ökologische Nachhaltigkeit an, bleibt aber oberflächlich. Die romantische Inszenierung der Natur Pandoras schafft es nicht, die Konflikte in ihrer Komplexität abzubilden. Vor lauter wunderbarer Unterwasserwelt scheint es, als hätte der Film sich in der Untiefe des Meeres auf Pandora verloren. Darum gibt es ausgerechnet in dieser farbenvollen Szenerie dann doch sehr viel Schwarz und Weiss: Nur der Colonel gegen den transformierten Na’vi-Häuptling. Gut gegen Böse.

«Wasser verbindet alles. Leben und Tod. Licht und Finsternis.»
aus Avatar – The Way of Water
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Avatar – The Way of Water

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Der Avatar-Reihe und insbesondere James Cameron wird immer wieder der Vorwurf des White-Savior-Syndroms gemacht. Dies geht über die Kinosäle hinaus. Schon im ersten Teil stehen die Wälder auf dem fremden Planeten in Flammen und der Regisseur greift wort-wörtlich jene brennende Problematik auf, die uns auch auf der Erde, jenseits des Films beschäftigt. Beispielsweise im Amazonas, wo der Regenwald seit Jahrzehnten niedergefackelt wird. Neben den immensen Schäden an der «Lunge der Welt» verliert die indigene Bevölkerung dadurch immer mehr ihres Lebensraums. Auch in The Way of Water schafft Cameron Bezug zu ihren Konflikten. Er zeigt beispielsweise die brutale Jagd auf die Tulkun in den Meeren Pandoras und den Zuschauer:innen kommen die Bilder blutige Buchten und tote Wale in den Sinn, die von den Küsten der Färöern oder Japans aus um die Welt gehen. Inwiefern dieser fiktional-filmische Kampf für Gerechtigkeit gelingt, ist schwer zu sagen. Immerhin erreicht die Avatar-Filmreihe Millionen von Leuten.

«Wie soll das Land ohne das Wasser leben?»
aus Follow the Water

Die Landschaft, die aufzeigt

Eine andere Öffentlichkeit haben Dokumentarfilme, die immer auch mit ihrem Nischendasein kämpfen. Follow the Water heisst der Film der Schweizer Filmemachenden Pauline Julier und Clément Postec, der kürzlich am Festival Vision du Réel in Nyon Premiere feierte. Handlungsort des Films ist die chilenische Atacama-Wüste, ein Gebiet mit einer der weltweit grössten Lithiumminen. Und gleichzeitig ein Ort, wo man dem Himmel so nah zu sein scheint, wie sonst fast nirgends. Verschiedene Protagonist:innen erzählen, was sie mit diesem Raum verbindet: Eine indigene Frau, die für Wasserrechte kämpft, Wissenschaftler:innen, die Mars-Rover testen und Mineure, für die das Wasser Mittel zur Gewinnung von Lithium ist. Es sind ähnliche Themen, die auch in Camerons fiktiver Welt behandelt werden: die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, technischer Fortschritt und der zerstörerische Umgang mit der Natur. Auch Juliers und Postecs Film ist bildgewaltig – mit Landschaften, die auch wirken, als wären sie nicht von dieser Welt. Dass Julier nicht nur Filmemacherin, sondern auch Installations-Künstlerin ist, sieht man Follow the Water an.

Wie schon andere ihrer Werke mutet auch ihr neuster Film wie eine Science-Fiction-Erzählung an. Darauf angesprochen, verneint die Regisseurin ein explizites Interesse am Genre. Aber sie möge Wissenschaft und sie möge Fiktion und sei wohl mit ihrem Werk irgendwo dazwischen. Der Film sei insofern auch keine reine Dokumentation, sondern eher eine Reflexion darüber, wie wir mit unserer Erde umgehen. Diese Art von Science-Fiction scheint dabei der Sorge über die eigene Zukunft am besten Rechnung zu tragen.

Im Dokumentarfilm wird dennoch grundsätzlich anders auf die komplexen Probleme dieser Welt aufmerksam gemacht. Ganz nach dem Prinzip show, don’t tell lassen die Filmemachenden auch in Follow the Water über weite Strecken die Bilder für sich sprechen. Die auftretenden Protagonist:innen haben unterschiedlich viel Gewicht in der Narration. Die indigene Karen Luza beispielsweise spricht, nur beleuchtet von einer Kerze, über ihren täglichen Kampf für Wasserrechte. Sie überzeugt, nicht wie die Zeilen des Finanzdirektors der Minen, die von einem Schauspieler vorgetragen werden. Wie die Regisseurin sagt, sei der Urheber der Sätze zum Zeitpunkt der Dreharbeiten nicht mehr im Amt gewesen. Die Inhalte wirken dadurch seltsam verfremdet und lösen Ablehnung aus. Laut Pauline Julier sei diese Disruption im Diskurs gewollt.

«Der Weg des Wassers hat keinen Anfang und kein Ende.»
aus Avatar – The Way of Water

Die vergleichende Reflexion

Charakteristisch für das Science-Fiction-Genre ist neben der oft apokalyptischen Grundstimmung insbesondere die spekulative Wissenschaft, und der mit ihr verbundene Zugang zu neuen Welten. In der Avatar-Reihe ist dies der Motor der Erzählung. Die Menschen reisen im Jahr 2154 nach Pandora, ein Himmelskörper innerhalb der Milchstrasse, um dort in einer Art wissenschaftlichen Experiments den begehrten Rohstoff Unobatainium abzubauen.

Auch in Follow the Water ist das Entdecken von neuen Welten – ein Kolonialismus der Ressourcen wegen – zentrales narratives Element. In der Atacamawüste testet die Nasa mit ihrem Programm, das gleich heisst wie Juliers und Postecs Film, Marsrover. Das Ziel: Die Suche nach Leben ausserhalb der Erde. Und das ist in vielen Fällen gleichbedeutend mit der Suche nach Wasser. Diese scheinbar nie enden wollende Forschung zeigen die Filmemachenden in ihrem Werk. Dabei wird einerseits zum Wasser tief unter der Erde gepumpt und sich andererseits in unmittelbarer Nähe für eine weite Reise weg von unserem Planeten vorbereitet. Eine Kontroverse, die sich in der trockenen Wüste zusammenfügt. Und die den menschlichen Umgang mit dem Planeten, auf dem wir leben, hinterfragt: Sollten wir uns nicht erst um die Erde sorgen, bevor wir ins Weltall reisen?

«Man kann die verschiedenen Arten von Wasser nicht separieren. Das wäre, als würde man die Venen von den Arterien trennen.»

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Follow the Water (2023)

Die Gesellschaftskritik in Follow the Water ist leiser als in Avatar. Filmemacherin Pauline Julier sagt, dass es ihr ein Anliegen sei, zu zeigen, dass die Welt nicht so einfach in Gut und Böse einzuteilen ist. Schliesslich sei sie selbst Teil des Problems, indem sie für das Filmprojekt beispielsweise Lichtpanels – für die wiederum Lithium benötigt werden – inmitten der Atacama-Wüste installierte. Die Realität ist oft komplexer als die Fiktion. Ist ein Mineur, der mit seiner Arbeit für seine Familie sorgt, tatsächlich ein schlechter Mensch?

Avatar – The Way of Water, als populäres Kino, verfährt entschieden anders. Die Zuschauenden entwickeln im Verlauf der Geschichte selbst eine Aversion gegen den gewalttätigen und skrupellosen Colonel. Der Gedanke, dass sie mit ihren Denkmustern selbst Teil des Problems sein könnten, kommt nicht auf. Gut gegen Böse. Follow the Water bietet wiederum Raum für eine differenziertere Einordnung in das Gut-Böse-Kontinuum. Das ist wohl der grösste Unterschied zwischen Science-Fiction- und Dokumentarfilmen: Dass sich die Realität nicht in solche binären Frames zwängen lässt, und es Raum zwischen den Polen gibt.

Der Beitrag entstand im Rahmen einer Exkursion des MA Kulturpublizistik der ZHdK ans Filmfestival Visions du Réel in Nyon.

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