Wie teilt man dem Kinopublikum möglichst prägnant mit, dass eine Figur böse ist? Genau, man lässt sie ein wehrloses Tier malträtieren. Doch funktioniert das auch in die andere Richtung? Le Déluge, Gianluca Jodices Kostümdrama über den Untergang des Ancien Régime in der «Flut» der Französischen Revolution, macht die Probe aufs Exempel. Als in den letzten Momenten des Films der abgesetzte König Louis XVI. off-screen zum Schafott geführt wird, erinnert sich ein Funktionär der frischgebackenen Republik – offenbar ein einstiger Monarchist, der rechtzeitig abgesprungen war – wehmütig an seine persönlichen Interaktionen mit dem Todgeweihten: «Er mochte meinen Hund immer sehr.»
Mit diesem Eindruck von König Louis, zu diesem Zeitpunkt von den zunehmend grobschlächtigen Revolutionär:innen längst zum «Bürger Louis Capet» degradiert, hinterlässt Jodice seine Zuschauer:innen: Der Absolutismus mag nicht perfekt gewesen sein – doch wurde hier nicht einem im Grunde herzensguten Mann ein Unrecht angetan?
© Xenix Filmdistribution
Und diese Melancholie kommt nicht etwa dem Nichts: Basierend auf den Memoiren von Louis’ Kammerdiener Jean-Baptiste Cléry (Fabrizio Rongione) und erzählt aus der Perspektive von Louis und seiner Frau Marie Antoinette (Mélanie Laurent), dramatisiert Le Déluge die letzten fünf Monate im Leben des Monarchen und Aufklärungs-Fanboys, beginnend mit der Überführung der verhafteten königlichen Familie in den Tour-du-Temple-Hausarrest im August 1792.
Werden die gestürzten Machthaber:innen zunächst noch mit Samthandschuhen angefasst – Diener:innen, Teestunde und Jeu-de-Paume-Freigang inklusive –, spitzt sich die Lage parallel zum wachsenden revolutionären Eifer auf den Strassen immer mehr zu: Die ungewaschenen Plebejer:innen versuchen, die Residenz zu stürmen; der Familie werden keine neuen Kleider mehr zugestanden; Marie Antoinette wird der abgeschlagene Kopf einer Freundin vor die Füsse geworfen; ein Wachmann droht ihr mit sexueller Gewalt.
Louis, der höfliche Naivling mit der leisen Stimme, und Marie Antoinette, die pragmatische Vollblutadlige, die wie eine Mutterlöwin um das Wohl ihrer Kinder kämpft, gegen die blutrünstigen Horden aus der Unterschicht: Das ist selbst angesichts der Ambivalenz, mit der die französische Kultur dem Verlauf der Revolution traditionellerweise gegenübersteht, eine dermassen konträr monarchiefreundliche Interpretation dieser Geschichte, dass man Jodices Chuzpe fast schon respektieren muss.
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Gut möglich, dass sich Le Déluge weniger als Geschichtslektion versteht und vielmehr ein verkappter Kommentar auf die politische Gegenwart sein will. Der glücklose Ex-König, die versnobte Ex-Königin, die vereinzelten «guten» Revolutionäre, die an den utopischen Idealen von 1789 festhalten – sie alle müssen sich schliesslich einem scheinbar unaufhaltsamen, gewaltbereiten Populismus beugen, der sich als alles von Gelbwesten und La France Insoumise bis Rassemblement National, von Lega und Fratelli d’Italia bis Movimento 5 Stelle lesen lässt. Hand und Fuss hat das – nicht zuletzt dank der latenten Romantisierung der Monarchie – kaum.
Tatsächlich funktioniert der Film – trotz fragwürdiger Erzählstrategie, trotz unsicherer Charakterisierung Marie Antoinettes, trotz Mélanie Laurents allzu theatralischer Darstellung – besser als Kostümdrama, nicht nur dank seiner klaustrophoben Endzeitstimmung und seines ausdrucksstarken Setdesigns, sondern auch, weil Jodice quasi im Vorbeigehen diverse anregende politisch-historische Problematiken streift. Louis und Marie Antoinette stehen mit ihrer royalen Ignoranz praktisch emblematisch für die Tendenz von Monarchien, Menschen zu Göttern zu machen – während ihr Niedergang deutlich macht, wie sich Revolutionen in unordentlicher, oftmals tödlicher «Wiedermenschmachung» üben. Und wer weiss, vielleicht hätte «Bürger Louis Capet» ja einen Platz in der neuen republikanischen Ordnung gefunden, wenn an ihm nicht noch so viel Gottkönig geklebt hätte – wenn seine Symbolkraft seine menschliche Unvollkommenheit nicht überstrahlt hätte.
Um diese mehr oder weniger frei durch die Handlung wabernden Gedankenfetzen sauber zusammenzuführen, hätte es wohl mehr Szenen wie jene gebraucht, in welcher der herausragend aufspielende Guillaume Canet als Louis in einer einzigen langen Einstellung seinen Henker über die Details seiner bevorstehenden Hinrichtung ausfragt. So aber bleibt Le Déluge eine unterhaltsame, wenn auch politisch und narrativ verwirrte Kuriosität.