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Mein fuehrer 01

Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler

Es braucht Zeit für das Urteil über einen Film, der schon mit seinem Titel verrät, dass er sein Sujet mit witzig gemeinter Distanzierung zu vermitteln versucht. Ein Film, der eine solch prägnante Figur der Zeitgeschichte zu seinem Mittelpunkt wählt und diese auf seine ganz eigene Weise vorstellt, kann eine gerechte Beurteilung eigentlich nur von jenen erwarten, die sich schon mit diesem Abschnitt deutscher Geschichte auseinandergesetzt haben.

Text: Erwin Schaar / 01. Jan. 2007

Es braucht Zeit für das Urteil über einen Film, der schon mit seinem Titel verrät, dass er sein Sujet mit witzig gemeinter Distanzierung zu vermitteln versucht. Ein Film, der eine solch prägnante Figur der Zeitgeschichte zu seinem Mittelpunkt wählt und diese auf seine ganz eigene Weise vorstellt, kann eine gerechte Beurteilung eigentlich nur von jenen erwarten, die sich schon mit diesem Abschnitt deutscher Geschichte auseinandergesetzt haben. Der Bilder- und Wortwitz von Dani Levys Film lebt von den Kenntnissen über und den Einstellungen und Haltungen zu diesem Adolf Hitler. Wenn im Abspann Personen verschiedenen Alters und Bildungsgrades nach ihm befragt werden und ihn zum Beispiel als König, Fürst oder sonst was Absonderlichem einstufen, dann könnte dieser Versuch einer filmischen Entzauberung Hitlers für diese Klientel höchstens zu einer mittelmässig lustigen Comedy geraten.

Den Unwissenden gerecht zu werden kann aber nicht zur pädagogischen Aufgabe eines Künstlers, hier eines Regisseurs werden, sonst müssten wir Hirschbiegels / Eichingers Der Untergang als eine seriöse Einlassung auf die nationalsozialistischen Barbaren und ihren grössten Führer aller Zeiten betrachten. Und ganz nebenbei gesagt, Bruno Ganz dort als Hitler kam mir eher als der Abgesang auf einen Helden vor denn als eine Entlarvung.

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Um wieder auf Levys neue Komödie zu sprechen zu kommen, sie ist eine Art Hommage auf Lubitschs und Chaplins Versuche, mit Lächerlichkeit einen menschlichen Dämon zu bekämpfen. Aber schon 1946 hat der Filmtheoretiker und -kritiker Rudolf Arnheim zum bereits 1940 uraufgeführten The Great Dictator geschrieben: «Charles Chaplin ist der einzige Künstler, der die Geheimwaffe des tödlichen Lachens besitzt. Nicht das Lachen des oberflächlichen Spöttelns, das selbstgefällig den Feind unterschätzt und die Gefahr übersieht, sondern das tiefe Lachen des Weisen, der physische Gewalt verabscheut, selbst die Bedrohung des Todes, weil er dahinter die geistige Schwäche, Dummheit und Falschheit seines Gegners erkannt hat. Chaplin hätte einer Welt die Augen öffnen können, die gefesselt ist vom Bann der Gewalt und des materiellen Erfolgs. Aber statt den gemeinsamen Feind, den Faschismus, zu entlarven, hat Chaplin einen einzigen Mann entlarvt, «Den Grossen Diktator». Und deswegen bin ich der Meinung, dieser gute Film hätte besser sein können.»

Da wir zeitlich diesem kurzen, aber umso wirksameren faschistischen System der Deutschen noch so nahe sind, ja, erst in den letzten Jahrzehnten gar manche Verbrechen, Verwicklungen prominenter Personen oder Details aufgeklärt wurden, darf und muss schon die Frage gestellt werden, ob wir mit einer Hitler-Darstellung durch Helge Schneider diesen Faschismus hinweglachen, ihn mit der witzigen Debilitätsbehauptung domestizieren können. Auch wenn Levys Humor unter den von allem Verdacht befreiten «jüdischen Humor» eingestuft wird. Aber der ist auch nicht sakrosankt, was die Beurteilung der Qualität betrifft. Nicht alles davon ist so knapp und subtil wie zum Beispiel der Witz, den uns die Sammlerin Salcia Landmann überliefert: Der Lehrer fragte: «Moritzchen, wie stellst du dir das Dritte Reich vor?» Moritzchen: «Genau so, wie es ist, Herr Lehrer.»

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Levy siedelt den Background seiner satirisch gemeinten Entlarvung im Dezember 1944 im zerbombten Berlin an. Der Führer ist nur mehr ein Schatten seiner selbst, soll aber auf Betreiben von Goebbels noch einmal eine grosse Rede halten, um das Volk weiter für den Krieg zu begeistern. Vor Pappkulissen soll sein Auftritt sein, und die Wochenschauen sind gerüstet, das Ereignis in den deutschen Landen zu verbreiten. Wie Hitler stimulieren? Es muss ein Lehrer zu seiner Unterweisung und Konditionierung her, und das kann nur der berühmte Professor Adolf Grünbaum sein, ein jüdischer Schauspieler, der mit seiner Familie im KZ sitzt. Er hat Hitler zu Beginn von dessen politischer Karriere unterwiesen! Geplant, getan und das Lehrer-Schüler-Verhältnis gibt zu Hoffnungen Anlass, obwohl Grünbaum Hitler beseitigen möchte, dann aber durch die Kläglichkeit seines Gegenübers eher von Mitleid gepackt wird. Hitlers Verhältnis zu Grünbaum ist inzwischen so vertraulich, dass Goebbels kaum mehr Grünbaums Forderungen unbeachtet lassen kann. Hitler: «Die ewige Jugend ist in mich zurückgekehrt. Der Jud’ tut gut!» Der grosse Tag der Rede naht, aber durch ein Missgeschick verliert der Führer einen Teil seines Schnauzbarts und vor Schreck auch sein Stimme. Da muss Grünbaum unter die Tribüne und für ihn die Rede halten, die der Führer nur mit Gestik und Mimik begleitet. Aber Grünbaum weicht nach einer Weile von der vorgezeichneten Rede ab und liefert den Untertanen aufklärerische Gedanken über das Regime – genauso wie Chaplin einst als Doppelgänger Hynkels, des grossen Diktators, in seiner Rede über die Gleichheit und Rechte der Menschen die Figur Hitler entlarven wollte.

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Eine «surreale Wahrheit» wollte Levy erfinden, die «trotzdem relevant ist», weil «Märchen über unsere Realität und Psyche oft Wahres aussagen». Schon allein diese Wahl der Begriffe zeigt, dass der Regisseur hoch spielen wollte, aber damit bereits in analytische Schwierigkeiten geriet. Wir haben es weder mit surrealem Geschehen zu tun, noch hat die Inszenierung etwas Märchenhaftes. Das konnte auch Chaplin nur höchst eingeschränkt gelingen. Und dem Faschismus ist mit einem Helge Schneider als Hitler schon gar nicht beizukommen, selbst wenn die Maske den Blödelkomiker fast nicht mehr erkennbar modelliert. Levy mag das Zeug haben, eine Komödie wie Alles auf Zucker zu gestalten, wo er eine witzige jüdische Typologie versucht. Warum er sich aber mit Mein Führer auf ein so heikles Thema eingelassen hat, da kann selbst sein Hinweis, dass ihn Roberto Benignis Komödie La vita è bella Vorbild war, kaum weiterhelfen, weil Benigni sich selbst im Zusammentreffen mit dem Bösen inszeniert hat. Adolf Hitler ist eine andere Ebene, und alles, was wir über ihn und die Haltung der Deutschen wissen, mag keine Lacher gestatten.

Oder ist es einem Schweizer Juden – Dany Levy wurde 1957 in Basel geboren – sehr wohl erlaubt, eine Figur lächerlich wirken zu lassen, die eher ins Gruselkabinett gehören würde? Der Literat Maxim Biller hat über den durch die Fussballweltmeisterschaft als entspannt gelobten Deutschen geschrieben, er sei jemand, «dem Hitler als Grossvater nicht mehr peinlich ist». Das wirft ein Schlaglicht auf einen in Deutschland produzierten Film, bei dem sich das Publikum doch gar nicht anders verhalten soll als sich zu amüsieren.

Dani Levy erklärt im Presseheft, er habe in Alice Millers Buch «Am Anfang war Erziehung» ein Kapitel gefunden, in dem argumentiert wird, Hitler habe sich als Erwachsener für die erlittene Unbill in der Kindheit gerächt. Und Levy hat diese psychoanalytische Einsicht als ernste Grundlage für eine Komödie bemüht, weil dieses Genre ihm subversiver als das Drama erschien: «Sie kann Dinge behaupten, die in einer authentisch abgebildeten Ernsthaftigkeit nicht möglich sind … Sie kann Verhältnisse dadurch in ihrer Erbärmlichkeit entlarven.» Aber: Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler – zeigt nicht schon allein ein solch unbeholfen witziger Titel das schlechte Gewissen über einen solchen Versuch?

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2007 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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