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One Battle After Another
© 2025 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.

Revolution ist wie Vaterpflicht: One Battle After Another

Schon zum zweiten Mal nimmt sich Paul Thomas Anderson einen «unverfilmbaren» Roman von Thomas Pynchon vor – und liefert erstklassiges Unterhaltungskino.

Text: Alan Mattli / 24. Sep. 2025
  • Regie, Buch

    Paul Thomas Anderson

  • Kamera

    Michael Bauman

  • Schnitt

    Andy Jurgensen

  • Musik

    Jonny Greenwood

  • Mit

    Leonardo DiCaprio, Sean Penn, Chase Infiniti, Benicio del Toro, Teyana Taylor, Regina Hall

  • Start

    25. September 2025

Paul Thomas Anderson hat ein Flair für gross angelegte Leinwand-Panoramen über Figuren in Ausnahmesituationen, am Rande eines Abgrunds, am Anbeginn eines neuen Zeitalters. Wohl nicht zuletzt deshalb gilt der Regisseur und Drehbuchautor hinter Boogie Nights (1997), There Will Be Blood (2007) und Licorice Pizza (2021) vielen als einer der besten Filmemacher:innen der Gegenwart.

Hin und wieder jedoch – im stürmenden und drängenden Frühwerk Magnolia (1999) etwa, oder im «Great American Novel»-artig konzipierten The Master (2012) – tendiert Andersons Schaffen zur bleiernen Prätention, zu jener Art der «künstlerisch wertvollen» Aufgeblasenheit, für die der US-Kritiker Andrew Sarris einst den Begriff strained seriousness erfand. Sosehr er im kollektiven Bewusstsein auch für seriöses dramatisches Kino stehen mag, Anderson ist dann am besten, wenn er seine komödiantischen Muskeln spielen lässt: Die Höhepunkte seiner bisherigen Karriere sind der abstruse Neo-Noir Inherent Vice (2014) und die lustvoll frivole Beziehungsgroteske Phantom Thread (2017).

Vielleicht ist es gerade diese seltsame Kombination aus übersteigerter Ernsthaftigkeit und schrägem Schalk, die ihn dafür prädestiniert, die literarischen Welten des oft als unverfilmbar bezeichneten Thomas Pynchon auf die Leinwand zu bannen. Das suggeriert jedenfalls One Battle After Another, nach Inherent Vice bereits Andersons zweite Adaption eines Romans des enigmatischen Autors von «The Crying of Lot 49» (1966), «Gravity’s Rainbow» (1973) und «Against the Day» (2006).

One Battle After Another 1

© 2025 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.

Lose basierend auf «Vineland» (1990), Pynchons satirischer Abrechnung mit der Zersetzung der amerikanischen 68er-Bewegung unter Nixon und Reagan, erzählt Andersons Neuster zunächst von der Romanze zwischen Perfidia Beverly Hills (in allen Belangen gewaltig: Teyana Taylor) und «Ghetto Pat» (Leonardo DiCaprio, wunderbar durch den Wind). Als Teil der linken Revoluzzer-Gruppierung «French 75» befreien die beiden Mitte der 2020er Jahre Immigrant:innen aus Abschiebezentren, sabotieren Tech-Infrastruktur, verüben Bombenanschläge auf die Büros rechter Politiker:innen. Doch als Perfidia vom hochrangigen Militär Steven Lockjaw (Sean Penn, grossartig cartoonhaft) gestellt und zur Informantin gemacht wird, zerstreut sich French 75 in alle Winde, derweil Perfidia im Untergrund verschwindet und Pat mit der gemeinsamen Tochter Willa alleinlässt.

16 Jahre später hat sich im kryptofaschistischen Amerika nur wenig geändert – ausser, dass Pat jetzt Bob Ferguson heisst, in einem Zufluchtsstädtchen für papierlose Einwander:innen lebt, die Dynamitstangen an den Nagel gehängt hat und mit mässigem Erfolg versucht, Willa (Chase Infiniti) ein guter Vater zu sein. Mit dem Frieden ist es allerdings vorbei, als Colonel Lockjaw – inzwischen ein Aspirant bei einem rechtsradikalen Weihnachtsmann-Kult (sic) – die Stadt stürmt.

Anderson und Pynchon interessieren sich beide für gesellschaftliche Bruchlinien, abgefuckte Typen und die haarsträubend dümmliche Absurdität der modernen USA – und One Battle After Another formt diese Obsessionen zu einer enorm unterhaltsamen Thrillerkomödie, die zeitgemäss, aber nicht plump, scharfsinnig, aber nicht selbstzufrieden, urkomisch, aber nicht trivial ist. Ohne Donald Trump, MAGA und ICE auch nur ein einziges Mal zu erwähnen, zeichnet Anderson eine treffende Karikatur der politischen Verhältnisse in den USA, wo evangelikale Faschist:innen Jagd auf alles Fremde machen, während ihre Opposition entweder von oben herab abgewürgt wird oder sich mit internen Grabenscharmützeln gleich selbst neutralisiert.

One Battle After Another 2

© 2025 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.

Zuallererst ist One Battle After Another aber eines: ein mitreissendes Stück Spannungskino, in dem Anderson – mit freundlicher Unterstützung von Editor Andy Jurgensen – einmal mehr seine Qualitäten als Geschichtenerzähler unter Beweis stellt. Der Film legt ein eindrücklich hohes Tempo vor, bewegt sich dabei stil- und rhythmussicher von Handlungsstrang zu Handlungsstrang, von Figur zu Figur, von den explosiven Anfangssequenzen zum grandiosen Mittelteil – einer einzigen langen Verfolgungsjagd mit Leonardo DiCaprio und Benicio del Toro im The Odd Couple-Modus – zum Neo-Western-Showdown auf den wellenförmigen Wüstenstrassen Kaliforniens.

Das ist über 160 Minuten hinweg so konsequent unterhaltsam, dass man Anderson sogar den überambitionierten Versuch verzeiht, die herrlich brutale Farce im letzten Moment doch noch zu einem aufrichtigen Vater-Tochter-Rührstück umzudeuten. Was hingegen etwas mehr zu denken gibt, ist, dass One Battle After Another in diesen Szenen auch zu argumentieren scheint, dass der Wille, die Welt zu verbessern, ein Jugend-Hobby ist, aus dem man irgendwann herauswächst. Da merkt man Anderson, trotz inszenatorischer Leichtfüssigkeit und provokant behandelter Thematik, dann doch den wohlhabenden 55-Jährigen an.

 

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