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5 Oscars

Wer macht das Oscar-Rennen?

Am Sonntag wird der goldene Ehrenpreis in Los Angeles verliehen. Wir sammeln unsere heissesten Tipps und heimlichen Wünsche.

Text: Selina Hangartner / 26. Feb. 2025

Vor der Oscar-Nacht, die bei uns bis in die grauen Morgenstunden des 3. März ausgestrahlt wird, geht es in diesem Jahr besonders heiss zu. Last-Minute-Skandale sowie gelungene und gescheiterte PR-Stunts giessen zusätzlich Öl ins Feuer. Nun mischen auch wir uns in die Debatte ein und verraten, auf welche Gewinner:innen wir in den folgenden sechs Kategorien hoffen.

Bester Film

Ausgerechnet in der Königskategorie werden wir uns nicht einig. Kino bleibt eben Geschmacksache – die Wahl des besten Films wird in diesem Jahr deshalb besonders spannend:

«Mit der gewaltigen Laufzeit von 215 Minuten (plus Intermission!), dem altehrwürdigen VistaVision-Format und einer monumentalen American-Dream-Dekonstruktion kann ‹The Brutalist› gar nicht anders, als den Oscar für den besten Film abzuräumen.» Alexander Kroll

«Wie ‹Poor Things› sich 2024 nicht gegen ‹Oppenheimer› durchsetzen konnte, so wird es ‹The Substance› in diesem Jahr ergehen, auch wenn ich es mir wünschen würde. Ich glaube, dieser Oscar-Jahrgang steht im Zeichen der Rückbesinnung auf ‹gute alte Zeiten›. ‹Conclave› spielt einen Machtkampf durch, in dem das Gute am Ende gewinnt – eine Storyline, die sich nicht mit der amerikanischen Realität deckt.» Silvia Posavec

«In einer vergleichsweise unvorhersehbaren Awards-Season tippe ich auf den ‹sicheren› Kandidaten ‹Anora› – wenn auch im Wissen, dass da plötzlich noch ‹Conclave› oder ‹Wicked› reinfunken könnten.» Alan Mattli

«‹The Substance› wäre cool, damit ‹The Silence of the Lambs› nicht mehr der einzige Horrorfilm ist, der jemals den Oscar in dieser Kategorie erhalten hat.» Sarah Stutte

«In einem nicht besonders starken Jahrgang würde es mich am meisten freuen, wenn der wütende und blutige ‹The Substance› gewinnt. Realistisch scheint mir aber leider ‹Anora› oder – noch schlimmer – ‹Conclave›.» Marius Kuhn

Vielleicht können wir uns doch noch einigen, auf diese bombensichere Vorhersage:

«Eine Wette gewinne ich sicher: Es gewinnt ein Film, den ich verpasst habe.» Hansjörg Betschart


The Brutalist 5
Conclave Szenen ov 06 Scene Picture
 
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Beste Regie

Mit seiner Ansage, dass er an seinem Film The Brutalist keinen Dollar verdient habe, spielt sich Brady Corbet gerade in die Herzen aller, denen die zynische Geldmacherei unsympathisch ist. Darum rechnen wir mit hohen Gewinnchancen für den US-amerikanischen Regisseur:

«Die Academy liebt die Regisseur:innen mit den grossen Gesten. Darum: Brady Corbet für ‹The Brutalist›.» Alan Mattli

«Keinen einzigen Dollar hat der 36-jährige US-Regisseur Brady Corbet bislang mit ‹The Brutalist› verdient. Das wird sich mit dem Regie-Oscar blitzschnell ändern.» Alexander Kroll

«Hier würde ich am liebsten Coralie Fargeat den Preis geben. Aber spätestens seit Brady Corbet sich als mittelloser Künstler outete, führt kein Weg an ihm vorbei.» Marius Kuhn

Aber auch Sean Baker ging nicht ganz vergessen; der hat zwar keine Schlagzeilen wegen leerem Portemonnaie gemacht, aber mit seinem Film letzten Herbst Kritiker:innen und Publikum begeistert:

«Sean Baker – ‹Anora› ist zu lustig, um den Preis für das Best Picture zu gewinnen, aber in Bakers ‹russian baby billionair heist movie› ist für jeden was dabei (inklusive weltvergessener Russen-Klischees). Mein Wunsch wäre aber: Coralie Fargeat für ‹The Substance›.» Silvia Posavec

Beste Hauptdarstellerin

Die Gewinnerin unserer Herzen steht offensichtlich schon lange vor der Oscar-Nacht fest. Ob sie das goldene Männchen dann auch tatsächlich noch gewinnt, wird für uns da fast zweitrangig. The Filmbulletin-Oscar goes to: Demi Moore! (Nur Mikey Madison, mit der wir uns letzten Herbst über ihre grandiose Performance in Anora unterhalten haben, könnte der Neunziger-Ikone noch gefährlich werden.)

«Bitte Demi Moore für ‹The Substance›! Eigentlich spricht alles für diese Comeback-Story. Einzig Mikey Madison könnte hier dazwischenfunken.» Marius Kuhn
«Ich drücke die Daumen für Demi Moore. Mit allen anderen – ausser Karla Sofía Gascón – wäre ich auch einverstanden.» Sarah Stutte
«Eigentlich eine Wahl, bei der es nichts zu diskutieren gibt: Demi Moore hat eine präzise, rohe, uneitle und doch auch humorvolle Performance hingelegt und diese seitdem auch in TV-Auftritten und mit ihrer Dankesrede bei den Golden Globes (Beste Darstellerin) weiter ausgebaut, indem sie sich auch als Persönlichkeit hinter ihre Figur gestellt hat.» Silvia Posavec
«Auf den Spuren körperlicher Grenzgänge wie Charlize Therons ‹Monster›-Performance oder Natalie Portmans ‹Black Swan›-Tanz wird Demi Moore für ihren Body-Horror-Stunt in ‹The Substance› ausgezeichnet.» Alexander Kroll
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Demi Moore in The Substance.

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Bester Hauptdarsteller

In dieser Kategorie rechnen wir mehrheitlich mit ihm: Adrien Brody für The Brutalist.

«And the Oscar goes to … Adrien Brody! – was vor 22 Jahren mit ‹The Pianist› geklappt hat, wird auch mit dem Namenszwilling ‹The Brutalist› gelingen.» Alexander Kroll

«Vermutlich Adrien Brody, weil er für eine ähnliche Rolle – die eines realen jüdischen Überlebenden des Zweiten Weltkriegs – schon einmal einen Oscar bekam.» Sarah Stutte

Auch Ralph Fiennes oder Sebastian Stan hätten’s unserer Meinung nach verdient:

«Michel Piccoli, Jude Law, John Malkovich, Jonathan Pryce, Anthony Hopkins – die Liste der Papst-Verkörperer jüngerer Zeit hat geradezu göttliche Züge. Ralph Fiennes fügt dem seine brillante signature-style-Gequältheit hinzu.» Julian Hanich

«Sebastian Stan schafft mit seinem treffend schaurigen Affenporträt als Apprentice – noch mehr düstere Wahrheit als die Wirklichkeit uns lehrt – ! Aber halt, ich wette lieber auf Brodys Architekten des amerikanischen Traums im The Brutalist (damit wir nicht wegen Stan auch in der Oscarnacht über Trump reden müssen).» Hansjörg Betschart

«Ich habe den Film zwar noch nicht gesehen, aber Timothée Chalamet wird es als Bob Dylan bei mir schwer haben. Hier fände ich es gleichermassen aufregend und verdient, wenn Sebastian Stan gewinnt. Hugh Grant ist ja leider nicht mal nominiert.» Marius Kuhn

«Ein Gewinn für Sebastian Stan wäre wohlverdient und würde mich gleich auf mehreren Ebenen erfreuen.» Selina Hangartner
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Adrien Brody in The Brutalist.

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The Brutalist 3
 
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Sebastian Stan in The Apprentice.

Bestes Originaldrehbuch

Zugegeben: weil wir hier als Schweizer:innen (oder Münchner) nicht ganz unparteiisch sind, scheint die Wahl fürs beste Originaldrehbuch für uns (fast) klar: Unsere Wahl fällt auf Moritz Binder, Tim Fehlbaum und Alex David mit ihrem Drehbuch zu September 5.

«Basel kann ESC! Und Basel wird auch den Oscar schaffen! Tim Fehlbaum, der Basler, beweist erneut Gefühl für Dystopie. Das Drehbuch zu seinem ‹September 5› öffnet unseren Blick aus Sicht der Vergangenheit in die Medien-Zukunft, in die wir gerade hineinrasseln: der Krieg der Medien!» Hansjörg Betschart
«Ich denke, ‹The Brutalist› gewinnt, weil es eine epische Erzählung über den amerikanischen Traum und männlichen Grössenwahn ist. Mein Oscar ginge aber an ‹September 5›.» Silvia Posavec
«Auch wenn ich nicht sehr optimistisch bin: Als Münchner, der für ein Schweizer Filmmagazin schreibt, würde es mich besonders freuen, wenn der Schweizer Tim Fehlbaum und der Münchner Moritz Binder den Preis für September 5› gewännen.» Julian Hanich

Bestes adaptiertes Drehbuch

Auch hier sind wir uns – mir mehr oder minder schwerem Herzen – (fast) durchwegs einig:

«Peter Straughan für ‹Conclave›, weil der Film noch bissiger ist als die Buchvorlage.» Sarah Stutte
«‹Conclave›, denn pointierte Dialoge mögen die Academy-Mitglieder besonders gerne.» Julian Hanich
«‹Conclave› – allein schon für den Kraftakt, einen populistischen Flughafenbestseller in einen Oscarkandidaten verwandelt zu haben.» Alan Mattli
«Hier wird wohl leider Peter Straughan für seinen Dan-Brown-Abklatsch ‹Conclave› gewinnen. Aber vielleicht gibt es für ‹Nickel Boys› überraschend eine Statue.» Marius Kuhn

Worauf wir alle hoffen, ist Überraschendes und Unvorhergesehenes, wohlwollende Augen und ein blühendes Interesse für die Kinokultur und ihre grossartigsten Filme – und, bitte, ein bisschen Zündstoff für Kantinengespräche. Denn um ganz ehrlich zu sein: Wer die Gewinner:innen der 94. Oscar-Nacht 2022 waren, könnte ich nicht mehr mit absoluter Sicherheit aufzählen. Doch der Ohrfeigen-Vorfall zwischen Will Smith und Chris Rock in der Zeremonienacht ist für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. Darum meine abschliessende Vorhersage für dieses Jahr: Der allseits beliebte Moderator und Host Conan O’Brien wird am Sonntag keine Ohrfeige kassieren müssen. Wettbüro geschlossen.

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