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Party girl 01

Party Girl

«Do be do be do», das Hansjörg Betschart im Essay über Schauspielkunst in Zeiten der permanenten Selbstdarstellung herleitet, liesse sich wunderbar auch in Party Girl anstimmen. Der Film oszilliert zwischen Sein und Schein, verschränkt Realität und Fiktion in einer engen und damit auch verunsichernden Umklammerung.

Text: Tereza Fischer / 05. Nov. 2014

«Do be do be do», das Hansjörg Betschart im Essay über Schauspielkunst in Zeiten der permanenten Selbstdarstellung in diesem Heft herleitet, liesse sich wunderbar auch in Party Girl anstimmen. Der Film oszilliert zwischen Sein und Schein, verschränkt Realität und Fiktion in einer engen und damit auch verunsichernden Umklammerung. In einem Reenactment der Wirklichkeit spielt sich die sechzigjährige Angélique Litzenburger selbst, genauso wie sich ihre vier Kinder auch selbst darstellen. Einer von ihnen, Samuel Theis, hat diesen “Familienfilm” zusammen mit Marie Amachoukeli und Claire Burger realisiert.

In Erzi (söhne) hat 1996 Zhang Yuan, der zur sechsten Generation chinesischer Filmemacher gehört, Ähnliches erprobt. Damals spielte eine Familie, die mit den Problemen eines alkoholabhängigen Vaters kämpfte und daran zu zerbrechen drohte, ebenfalls sich selbst. Allerdings war es die politische, subversive Dimension des Vexierspiels zwischen Fiktion und Wirklichkeit, die Zhang damit evozierte. Das filmische Resultat soll bei der Visionierung der Familie die Sprache verschlagen haben – was nicht erstaunt, wurde sie doch in einer intensiven emotionalen Form vom Bild ihres auseinanderbrechenden Lebens überwältigt. In Party Girl nimmt sich der Sohn und seine zwei Koregisseurinnen der heiklen Aufgabe an, die Personen nicht mit ihrer eigenen Existenz zu überfordern und sie dem Publikum dennoch adäquat zu vermitteln. Das gelingt ihnen in einem warmherzigen und respektvollen Film. Dabei spielt die Bereitschaft der Mutter zu bewundernswerter Offenheit eine zentrale Rolle.

Angélique wirkt im ersten Moment zu überzeichnet, um authentisch zu sein: mit ihrem stechenden Blick, den dick und schwarz umrandeten Augen, der manchmal schlecht sitzenden Perücke und der Aufmachung einer Zwanzigjährigen. Und doch sind all diese Attribute echt. Das und die stilisierende Reduktion machen die Figur dennoch überraschend authentisch. Wie viel im Detail von der echten Frau in der Figur Angélique steckt, bleibt offen. Wichtig war dem Regietrio, die Essenz ihrer Persönlichkeit zu vermitteln und sie für die Zuschauer zugänglich zu machen.

Angélique ist die Grossmutter des Rotlichtmilieus, sie war schon immer da und ist es immer noch. Sie kann dieses Leben nicht loslassen, auch wenn sich ihr dazu die Chance bietet, als ein regelmässiger Freier um ihre Hand anhält. Die Bar ist ihr Zuhause, die anderen Mädchen sind ihre Familie. Zu Beginn spaziert sie mit ihnen durch die Strassen, eine glückliche Bande, die ihre Arbeit scheinbar geniesst. Alle sehen zufrieden aus im ins Pink getauchten Club, der so nichts Anrüchiges und Billiges an sich hat und wo sich alle zu den Slowrock-Klängen von China-womans «I’ll be your Woman» die Gläser mit Sekt füllen. Nur Angélique wartet alleine an der Bar, immer betrunkener, ohne auch nur mit einem der Kunden gesprochen zu haben.

Ohne es gemerkt oder sich eingestanden zu haben, ist Angélique ein Fremdkörper im Cabaret geworden. Wie eine Erinnerung an eigene Glanzzeiten erscheint da die im verschwommenen Hintergrund tanzende Kollegin, während die Grande Dame an der Bar ein Glas nach dem anderen leert und einen weiteren Abend erfolglos hinter sich bringt. In diese endlose Wiederholung bringt der Heiratsantrag von Michel, der von Joseph Bour gespielt wird, eine neue Lebensperspektive, die Angélique mehr aus rationalen als aus emotionalen Gründen annimmt. Trotz der schwachen Motivation beginnen die Hochzeitsvorbereitungen.

Party girl 02

Angélique ist auch ohne ihre Clubkolleginnen nicht allein, die erwachsenen Kinder – von verschiedenen Vätern – helfen, das Fest zu organisieren und für dieses wichtige Ereignis die Mutter mit der jüngsten Tochter, die bei einer Pflegefamilie lebt, zu vereinigen. Die Akzeptanz der Familie von Angéliques Leben scheint immer wieder in Gesprächen auf, auch in schwierigen und durchaus kritischen. Die Qualität des Porträts liegt im respektvollen Blick. So wird Angélique weder in ihrem selbst gewählten Beruf jenseits der Bürgerlichkeit verklärt noch als verantwortungslose und egozentrische Mutter verurteilt. Das Drama der alternden Verführerin ist dabei nur latent vorhanden, die grossen emotionalen Momente bleiben in ihrer Alltäglichkeit verhalten.

Der heuer in Cannes prämierte Kameramann Julien Poupard folgt den Personen unaufdringlich mit der Kamera, beobachtet die Reaktionen und fokussiert wie beiläufig auf Details. Sie bleibt auf Angéliques Gesicht, wenn Michels Kollegen über ihre neue Rolle als Hausfrau witzeln, und lädt uns ein, im niedergeschlagenen Blick, im scharf ausgeblasenen Zigarettenrauch oder im fehlenden Lächeln ihre Gefühle nachzuvollziehen. Poupard wahrt die physische Distanz, nähert sich aber mit weiten Brennweiten den Gesichtern, die er dank der daraus resultierenden Unschärfe von ihrer Umgebung abhebt und weich rahmt. So vermittelt sich in dieser Bildästhetik weniger die Härte der Ereignisse als vielmehr die fast zärtliche visuelle Darstellung von Angéliques Leben.

Trotz ihrer wachsenden Zweifel heiratet Angélique. Das Fest wird zu einer Liebeserklärung an ihre Familie. Doch schon in der Hochzeitsnacht muss sie sich die Fehlentscheidung eingestehen. In der Morgendämmerung läuft sie noch in ihrem Hochzeitskleid und einer Jacke im Leopardenmuster zu einer Party, zurück zu ihrem alten Leben, in dem sie ganz sie selbst sein kann. Zähmen lässt sich die geborene Animierdame nicht mehr: «Yes I’m a party girl – crazy girl – see my lips, how they move – can’t you see I’m a natural.»

 

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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