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Perfect mothers 01

Perfect Mothers

Wenn Männer wesentlich älter sind als die Frauen «an ihrer Seite», dann gilt das als schick, meist sogar als Zeichen des Erfolgs. Jedenfalls wird es gesellschaftlich goutiert. Schwierig wird die Konstellation in der Umkehrung, also die ältere Frau an seiner Seite.

Text: Michael Ranze / 06. Nov. 2013

Wenn Männer wesentlich älter sind als die Frauen «an ihrer Seite», dann gilt das als schick, meist sogar als Zeichen des Erfolgs. Jedenfalls wird es gesellschaftlich goutiert. Schwierig wird die Konstellation in der Umkehrung, also die ältere Frau an seiner Seite. Höchst selten, dass dieser Mann noch Profil hat oder zugeschrieben bekommt. Heikel wird es, wenn Inzestuöses ins Beziehungsspiel kommt, da mag dann doch eher die Literatur ihre Möglichkeiten ausschöpfen. Siehe dazu Thomas Manns Erzählung «Wälsungenblut», dessen Verfilmung durch Rolf Thiele 1964 natürlich den historischen Touch beibehielt. Die ganz grosse Diskussion löste dann 1971 Louis Malles Le souffle au cœur aus mit der sexuellen Vereinigung von Mutter und fünfzehnjährigem Sohn.

Doris Lessing hat in ihrer 2003 erschienenen Erzählung «The Grandmothers» eine andere Variante der geschlechtlichen Begierde imaginiert, wenn sie die beiden erwachsenen Söhne von zwei unzertrennlichen Freundinnen sich jeweils in die Mutter des anderen verlieben lässt. Eine solche Begebenheit darf, um nicht in die Tristesse des Alltäglichen abzusinken, in einer Landschaft sich ereignen – auch in einer sozialen −, die den Leser mit Wohlgefühl umfängt. Lessing schildert das Milieu in ihrer Geschichte aller Probleme enthoben: «Aber dieses Leben war ohnehin leicht. Nicht viele Menschen auf der Welt führen ein so angenehmes, unproblematisches, unbeschwertes Leben. An dieser gesegneten Küste lag niemand wach und weinte wegen seiner Sünden oder wegen des Geldes und schon gar nicht, weil es nichts zu essen gab. Lauter gut aussehende Leute, deren Haut von der Sonne, vom Sport und vom guten Essen glatt war und schimmerte. Kaum jemand kennt eine Küste wie diese, ausser vielleicht durch kurze Ferien oder aus traumhaften Reiseerzählungen. Sonne und Meer, Meer und Sonne, und ständig das Rauschen der Wellen am Strand.» Diese fast unlautere Vorstellung des Daseins hat Drehbuchautor Christopher Hampton an eine Küste Australiens verlegt.

Lil und Roz wachsen in dieser unbeschwerten Umgebung auf, sind als Kinder schon mit dem Meer verbunden und werden als reife Frauen noch innig zusammensein, und die Jahre werden ihr Verständnis zueinander verstärkt haben. Ihre Häuser liegen nebeneinander, Lil hat zwar ihren Mann durch einen Unfall verloren, und das Verhältnis von Roz zu ihrem Mann Harold, einem Dozenten, ist durch die Jahre gewöhnlicher geworden. Zudem erhält er im weit entfernten Sydney einen Lehrauftrag, der sie eher zu Freunden denn Partnern werden lässt. Was bleibt den beiden Frauen, die entspannte Tage am Strand verbringen und ihre wohlgeratenen Söhne beim Wellenreiten bewundern können? «Wie junge Götter», meint Roz. Ian und Tom sind ebenso unzertrennlich wie ihre Mütter. Und auch die Irritation, als Tom sich in Roz verliebt, ist bei Ian bald abgebaut, denn er versucht sein Glück bei Lil. Beide Frauen und beide jungen Männer werden eine Erfüllung erleben, die durch die Bilder des Kameramanns Christophe Beaucarne (coco avant chanel, 2009 – auch mit Anne Fontaine als Regisseurin) und die Musik von Christopher Gordon zum emotionalen Stimulans wird.

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Anne Fontaine, die heute vierundfünfzig Jahre alte französische Regisseurin, Drehbuchautorin und Schauspielerin, hat nach ihren Aussagen die etwas fleischlosen Figuren der lessingschen Vorlage mit mehr Substanz angereichert und die Geschichte auf emotionalen Suspense hin getrimmt. Obwohl dem erfahrenen Zuseher nach dem tödlichen Verschwinden von Lins Ehemann und der beruflichen Entfernung von Roz’ Angetrautem ohne viel zu rätseln schnell klar werden müsste, dass hier Liaisons entstehen, die der Story erst ihre Berechtigung verleihen. Und so werden wir auch mit zwei Frauengestalten konfrontiert, die in Naomi Watts und Robin Wright den Schauwert des Films bilden. Beide werden mit einer Prägnanz geführt und sind mit einer solch überzeugenden Vorstellung präsent, dass der Film eigentlich nur von ihrem Agieren lebt und Interesse weckt.

Fast schon freudianisch wird das Verhältnis der beiden jungen Männer mit den Müttern geschildert, denn es ist – jedenfalls für mich war es so – kaum möglich, in diesen Beziehungskonstellationen Ian und Tom immer auseinanderzuhalten und zu bestimmen, welche Mutter welchen Sohn hat. Dieses ödipal angehauchte Spiel mag neben dem Altersunterschied die gesellschaftliche Herausforderung sein. Und die kann wieder nur in einem solch äusserlich cleanen Milieu geschildert werden, wie es sich Lessing hoffentlich eher ironisch ausgedacht hat. Nun sind die beiden Frauen so attraktiv, dass man sich selbst als älterer Betrachter durchaus die erotische Anziehungskraft auch für junge, ebenmässig gewachsene Beaus vorstellen kann. Fontaine besitzt aber genügend Humor, um nicht trockene soziologische Aussagen zu treffen, wenn sie zum Beispiel hinter Roz eine alte Kurbelkaffeemühle platziert.

Wenn die durchaus männerliebende Lessing eine Abneigung gegen die Familie hat, dann bringt die Geschichte mit den dann junge Frauen heiratenden Ian und Tom, für deren Kinder nur kurze Zeit Lil und Roz liebevolle Grossmütter spielen können, doch eine Wendung zum Schluss. Auf der im Meer verankerten kleinen Plattform, auf der sich wie in einer Enklave Ruhemomente der Personen abspielen, werden wir mit einer vielleicht doch fragwürdigen Konstellation verabschiedet. Obwohl diese auch eine Streicheleinheit für die Kitschseele des Zuschauers sein kann.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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