Eva Victors Karriere begann mit einem Praktikum auf der Redaktion der feministischen Satire-News-Website «Reductress». Einem breiteren Publikum wurde Victor Ende der 2010er Jahre durch komödiantische Twitter- und TikTok-Videos bekannt. Diesen Werdegang merkt man Sorry, Baby, dem beim diesjährigen Filmfestival von Sundance gefeierten Regie -und Drehbuchdebüt der 31-jährigen nicht-binären filmschaffenden Person, auch an.
In einer Handvoll nicht chronologisch arrangierter Kapitel erzählt der Film von Agnes – gespielt von Victor selbst –, einer jungen Literaturprofessorin an einer kleinen Universität in New England, und ihrem langen Weg, den sexuellen Übergriff zu verarbeiten, der ihr während ihres Doktorats angetan wurde. Ganz der non-linearen Struktur entsprechend, ist dieser Weg aber nicht geprägt von Therapiesitzungen, Anhörungen oder anderweitig tiefgreifenden Gesprächen. Anstatt von der Rückkehr aus dem traumatischen «Ausnahmezustand» in die «Normalität» handelt Sorry, Baby vielmehr vom (Über-)Leben im undefinierbaren Limbus zwischen diesen beiden Polen.

© Filmcoopi
Agnes’ Reise, die Victor – autobiografisch inspiriert, aber künstlerisch überhöht – beschreibt, ist ein loses Gefüge aus kleinen Absurditäten, unerwarteten Ablenkungen und sehr viel Schweigen. Ein Besuch von Lydie (Naomi Ackie), Agnes’ bester Freundin aus Studienzeiten, die inzwischen in New York lebt, ist lang ersehntes Wiedersehen, Trigger für schmerzhafte Erinnerungen an den Tag X und Anlass zum stillen Nachdenken über die Evolution von Freundschaften zugleich – und damit mindestens ebenso bedeutungsvoll wie der Moment, in dem Agnes einem Mann begegnet, der ihrem Angreifer ähnelt, oder jenem, in dem ihre akademische Laufbahn sie ein Büro beziehen lässt, das sie nie mehr betreten wollte.
Auch Momente der Heilung ortet Victor an unkonventionellen Stellen. Während der Arzt, der sie nach ihrer – visuell bewusst ausgesparten – Vergewaltigung behandelt, und die Uni-Administratorinnen, die sich mit ihrem Fall befassen, Agnes nichts ausser kühlen Fachbegriffen und leeren HR-Worthülsen vorsetzen, erweisen sich kleine Gesten des Mitgefühls und der Menschlichkeit, ja sogar alltägliche Ärgernisse als weitaus hilfreicher: Lydie, die einer katatonischen Agnes ein Bad einlässt; der Inhaber eines Sandwichladens (John Carroll Lynch), der Arschlöcher nicht leiden kann; der Nachbar (Lucas Hedges), dessen schüchterne Unbeholfenheit Sex wieder wie etwas Machbares wirken lässt; die Dozentin (Kelly McCormack), die immerzu gegen Agnes stichelt.

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Es ist diese Kombination aus einer bruchstückhaften Aufarbeitung eines Traumas und einer im kleinstädtisch-insularen Akademiker:innen-Milieu verharrenden Protagonistin, die Sorry, Baby so raffiniert macht. Durch die allmähliche Schliessung der erzählerischen Lücken werden nicht nur Agnes und ihre mentale Blockade, sondern auch ihr Umfeld charakterisiert: Die Geschichte ihrer Vergewaltigung ist auch die Geschichte eines Systems, in dem Abhängigkeitsverhältnisse missbraucht werden, in dem Fehlverhalten durch Belegschaftsrochaden kaschiert wird und in dem queere und weiblich gelesene Personen wie Agnes und Lydie immer wieder von der Karriereleiter gestossen werden.
Wo sich Sorry, Baby jedoch unzweifelhaft als Debüt zu erkennen gibt, ist in seinen Dialogen. In diversen entscheidenden Momenten verfallen Victors Figuren in etwas allzu sehr nach vorgefasster Thesenerklärung klingende Monologe; und einige der Mumblecore-Kalauer, die Victor und Naomi Ackie vom Stapel lassen – etwa der Exkurs über die Freundlichkeit von schlaffen Penissen –, hätten als «Reductress»-Schlagzeile wahrscheinlich besser funktioniert.
Gleichzeitig ist es aber gerade diese Bereitschaft, eine dermassen ernste Thematik nicht als klassisches Drama zu inszenieren, mit der sich Victor als spannendes neues Talent empfiehlt. Nicht jeder schräge Witz, nicht jedes verschrobene Stück Figurenzeichnung mag gelingen. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der Sorry, Baby von staubtrockenem Humor durchsetzt wird, ist bewundernswert.