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Autorenfilm schlägt Produzentenkino

Wer die Kinozahlen in der Schweiz korrekt liest, sieht, dass im Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag die Autorenfilme die erfolgreicheren sind.

Text: Samir / 01. Dez. 2008

«Die schweizerischen Arthouse-Filme haben ihr Publikum nicht gefunden.» Dies wurde, von höchster Förderinstanz, am Filmfestival von Locarno behauptet. Zur angeblich statistischen Untermauerung dieses Sachverhaltes wurde eine willkürliche Anzahl sogenannter Arthouse-Spielfilme aus den Jahren 2005 bis 2007 aufgeführt und deren Zuschauerzahlen addiert. Dieser Zahl wurden die Eintritte einer Handvoll erfolgreicher Schweizer Mainstream-Filme gegenübergestellt, und schwupps schien die Behauptung bewiesen.

Dahinter steckt die naive Gleichung: Ein Arthouse-Film ist ein kleiner Film und deshalb wenig erfolgreich. Oft wird daraus noch die Folgerung gezogen, dass im Gegensatz zu den Kleinen die grossen Filme auch die erfolgreichen seien. Das kommt in der Kulturförderung darin zum Ausdruck, dass wenige Filme mit höheren Beiträgen unterstützt werden sollen, dann komme der Erfolg quasi von alleine … Dass dem nicht so ist, kann auch in den Statistiken gelesen werden, wenn man sich die Mühe nimmt. Doch dazu später mehr.

Zuerst aber stellt sich die Frage: Was ist überhaupt ein Arthouse-Film? Im angelsächsischen Raum wird der Ausdruck «Art House Movie» meist im Zusammenhang mit der Auswertung verwendet. Will heissen, ein Film, der angeblich nicht für die grossen Multiplex-Kinos taugt, wird in den kleinen unabhängigen Arthouse-Kinos gezeigt. Darunter fallen dann oft auch Filme, die sehr konventionell gemacht sind, aber vom Thema her das Publikum verstören könnten. Diese Filme werden oft von den Verleihfirmen als «Arthouse-Film» deklariert und erhalten dementsprechend kein grosszügiges Promotionsbudget. Paradoxerweise laufen diese «Arthouse-Filme» in Europa oft in den Multiplex-Kinos, weil sie durch Mitwirkung bekannter Hollywood-Schauspieler als Mainstream gelten. In den USA heissen die Filme, von denen wir hier sprechen, korrekter: Independent movies. Will heissen, sie sind nicht mit Geldern der grossen Studios entstanden. Dementsprechend fehlt die Einflussnahme der Hollywood-Produzenten.

In Nachschlagewerken gibt es kaum Erläuterungen zum Begriff «Arthouse-Film». Geläufiger ist der Autorenfilm. Dazu heisst es etwa auf Wikipedia: «Der Begriff Autorenfilm ist eine Gattungsbezeichnung für Filme, in denen der Regisseur sämtliche künstlerischen Aspekte des Films wie Drehbuch oder Schnitt wesentlich mitbestimmt und in denen er, vergleichbar einem Romanautor oder einem bildenden Künstler, als (alleiniger) Autor des Werks angesehen werden kann oder soll.» Korrekterweise heisst ein «Arthouse-Film» hierzulande Autorenfilm; besonders der Neue Schweizer Film der sechziger und siebziger Jahre zeichnete sich durch diese Produktionsweise aus.

Die Idee des Autorenfilms kam kurzzeitig in Verruf, als es in den achtziger und neunziger Jahren, bedingt durch die elektronischen Medien und die Umwälzungen in der Distribution, zu einem Niedergang des Autorenkinos (ausser im Dokumentarfilm) kam. Seit einigen Jahren macht die Schweiz als Filmland aber gerade durch Autorenfilme auf sich aufmerksam. Die Filme, die an den internationalen Filmfestivals als Schweizer Filme wahrgenommen wurden und dutzendfach um die Welt gingen, sind nicht die von Produzenten konzipierten Filme wie grounding, tell oder breakout, sondern von Autoren realisierten Filme wie Ryna, Garçon stupide, Das Fräulein oder Vitus. Das Prestige, das sie unserem Land bringen, ist nicht in Geld zu beziffern.

Erfreulicherweise hat das Bundesamt für Kultur die alte Forderung nach mehr Geld für die Projektentwicklung aufgenommen. Doch die Autoren sollen nur mit Hilfe eines Produzenten in den Genuss von Fördermitteln gelangen. In Locarno wurde behauptet, dass nur ein Produzent in der Lage sei, die künstlerische Vision des Autors auf die Leinwand zu bringen. Damit wird die Macht der Produzenten gegenüber den Autoren unter Vorgabe des Bundes weiter ausgebaut. Steckt dahinter nicht eine Geringschätzung der Autoren? Der Widerspruch, der in der Aussage selbst liegt, wurde jedenfalls nicht weiter beachtet: Denn entweder ist ein Film das genuine Werk eines kreativen Autors (idealerweise in Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Produzenten), oder es ist ein Produzentenfilm, also ein Werk, das durch die kreativen Ideen eines Produzenten initiiert und geprägt wurde. Und nun soll das Produzentenkino das bessere Autorenkino sein?

Wer die Kinozahlen in der Schweiz korrekt liest, sieht, dass im Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag die Autorenfilme die erfolgreicheren sind. Wenn einer der oben genannten Mainstream-Filme, welche meist mehr als das Doppelte als ein durchschnittlicher Autorenfilm gekostet haben, mit einem Massenstart von zwanzig bis dreissig Kopien startet, pumpt der Verleiher meist noch eine sechsstellige Summe in die Promotion hinein. Daneben sind besagte Autorenfilme meist mit fünf bis zehn Kopien gestartet und hatten nur eine vierstellige Summe für die Promotion zur Verfügung. Was kam dabei heraus?

Zwischen 2006 und 2007 hatten die vier Autorenfilme Comme des voleurs, Das Fräulein, Nachbeben und Ryna über 100 000 Zuschauer in der Schweiz. Die beiden Produzentenfilme breakout und tell erreichten zusammen aber auch nur 110 000 Zuschauer. Also sind Autorenfilme auch im kaufmännischen Sinne – respektive im Verhältnis zwischen Kopien- und Eintrittszahlen – erfolgreicher als Mainstream-Filme.

Dabei sind die beiden erfolgreichsten Filme, welche auch von eigensinnigen Autoren realisiert worden sind, hier gar nicht gezählt, nämlich Vitus (269 000 Zuschauer) und der Fernsehfilm Die Herbstzeitlosen (595 000 Zuschauer). Diese Zahlen zeigen dazu noch die Unwägbarkeit in der Kinoauswertung und den Überraschungseffekt von Filmen, die nicht so recht ins eine oder andere Lager passen.

Dies soll zwar kein Plädoyer für die Abschaffung des Produzenten- oder des Mainstream-Films sein, denn kein Filmliebhaber möchte diese missen. Aber ein Hinweis darauf, in welche Richtung sich die nicht sehr reiche Filmförderung der Schweiz bewegen sollte.

Samir

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 9/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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