Filmbulletin Print Logo
Kati kati film

Die Geister, die ich rief

Während wir im aktuellen Heft einen ganzen Essay dem Thema Geister im Film gewidmet haben, konkurrieren in Fribourg zwei Filme um den internationalen Hauptpreis mit völlig gegensätzlichen Zugängen zum Thema Geister – verblüffend sind sie beide.

Text: Timo Posselt / 06. Apr. 2017

Eine Wohngemeinschaft von Toten, das ist der Schauplatz im Film Kati Kati des kenianischen Regisseurs Mbithi Masya. Auf einer Lodge mitten in der Steppe wacht die junge Kaleche ohne Erinnerungen auf. Einen Ausweg aus der Totenlodge gibt es nicht, zumindest ist das Leben dort kurzweilig und von Poolpartys, Paintball- und Basketballspielen geprägt. Dennoch verschwinden immer mehr tote Mitbewohner aus Kati Kati und die Rolle des erst jovialen Leiters Thoma erweist sich als immer zwiespältiger. Dem kenianischen Film gelingt mit einem einzigartigen Einfall, einem phantastischen Soundtrack und mittels harter Schnitte eine überzeugende Meditation über ein mögliches Leben nach dem Tod – als WG auf einer Lodge in der Steppe.

Während in Kati Kati die Frage offen bleibt, in welchem Zwischenstadium des Ablebens sich die Protagonistinnen und Protagonisten befinden, wird im laotischen Film Dearest Sister schnell klar, dass es sich bei den Geistern um Vorahnungen des nahenden Todes handeln muss. Diese erscheinen der Hausherrin Ana mit fortschreitender Augenkrankheit immer häufiger. Ihre Cousine Nok aus der Provinz wird ihr daher zum Beistand herbeigezogen. Damit treffen zwei Schichten der laotischen Gesellschaft aufeinander: Die Hausherrin mit dem westlichen Ehemann, die im Luxus schwelgt, und die Cousine aus einem armen Fischerdorf, die von der Hand in den Mund lebt. Doch die Geister, die Ana heimsuchen, bringen die Verhältnisse auf ungeahnte Weise ins Wanken. Ihr Erscheinen schreibt Naivität und Grausamkeit den Figuren neu zu.

Während die Spannung anhält, bleibt der Rhythmus des Films zurückhaltend und der Blick der Kamera wird mit fortschreitender Krankheit der Hausherrin immer unklarer. Dearest Sister ist der erste Film einer laotischen Regisseurin Mattie Do überhaupt. Er thematisiert stereotype Vorstellungen des westlichen Sextouristen wie der unterwürfigen asiatischen Frau, überführt diese und bricht sie gleichzeitig. Für die Regisseurin waren die Geister im Film eine Möglichkeit, an der strengen Zensur des Ein-Parteien-Staates vorbeizukommen, wie sie gestern am Filmfestival Fribourg erzählte.

Dearest sister 4 copy large

Beide Filme laufen im Wettbewerb und verhandeln das Thema Geister in diametral gegensätzlicher Weise. Dennoch eint ihre Darstellungen ein Nachdenken über die Zeit: «Geister im Film lösen die Linearität der erzählten Zeit auf», heisst es im Geister-Essay von Natalie Böhler im aktuellen Filmbulletin. Während in Kati Kati die Vergangenheit und Sich-erinnern das Leben der Menschen auf der Lodge bestimmen, sind die Geister in Dearest Sister Vorahnungen einer düsteren Zukunft und lassen die finanziellen Schranken in der laotischen Gesellschaft brüchig werden. Beide Filme haben einen einzigartigen neuen Zugang zum Thema gefunden.

Weitere Empfehlungen

Festival

13. Sep. 2021

Venedig: Fiebermesser der Weltkrankheit

Filmfestspiele sind nicht mehr die Lieblingskinder der Tagespresse. Dabei sind insbesondere Venedigs Löwen in den letzten Jahre ein Zertifikat für einen Oscar-Lauf gewesen, findet Hansjörg Betschart, der sich für uns der Überforderung der Sinne hingegeben hat.