Vor kurzem legte noch die Sonne ihren rotgoldenen Schimmer auf die Leinwand am Rande des Flugplatzes Dübendorf, jetzt legt John Travolta als Danny Zuko im Fünfzigerjahre-Greaser-Look dort selbstsicher seinen Arm um Olivia Newton-John. Es läuft Grease, sie sitzen gerade im Drive-in-Kino, und wir schauen ihnen aus unseren Wagen dabei zu – eine kleine Mise-en-abyme.
Newton-John in der Rolle der Sandy freut sich erst über seine Annäherung, doch Dannys Hand wandert gleich gierig weiter in Richtung ihrer Brüste, bis sie empört aus dem Wagen stürzt und ihm die Tür in die Weichteile rammt. «Sandy! You can’t walk out of a drive-in!», klagt der Gehörnte noch, aber es bleibt ihm nur, eine Ballade auf seine Angebetete anzustimmen, während auf der Leinwand-im-Film ein Comicwürstchen in ein Hot-Dog-Brötchen springt.
Etwas amerikanischeres als die Musical-Verfilmung Grease, die sich von einem Klischee der Nachkriegsgeneration zum nächsten hangelt, gibt es kaum, oder vielleicht nur diesen Ort: Das Autokino ist zum Inbegriff der babyboomenden Fünfziger, zum Symbol der Suburbia geworden – zusammen mit der Bowlingallee, Neonschildern und zementierten Geschlechterrollen.
Revival aus der Not
In diesem Sommer erleben die Ozoners, wie die Freiluftkinos für Autos in ihrem Heimatland genannt werden, allenthalben coronabedingt ein kleines Revival. Inmitten der Pandemie und mit den erwarteten Besucher_innenzahlen musste auch das Allianz Openairkino kreativ werden, wollten die Organisator_innen den Sommer nicht ganz abblasen.

Erst legt die Sonne, dann der Projektor seine Strahlen auf die Leinwand im Allianz Drive-In Cinema auf dem Flugplatz Dübendorf (Bild: Judith Balla)
Die Lösung: Statt an der freien Luft auf den Zürichsee blicken Besucher_innen dieses Jahr aus ihren keimsicheren Karren auf das etwas unspektakulärere Flugfeld im Zürcher Oberland. Neben anderen fixen Standorten wird diese Saison ausserdem so etwas wie ein Wanderzirkus mit diversen Stationen veranstaltet. Das Programm ist nostalgisch-mainstreamig und stellenweise – wie in obiger Szene – wunderbar meta. Das Land darf also einen Hauch nostalgischer Americana schnuppern.
Kino als Allround-Service
An die goldenen Jahre des Drive-in-Kinos kommt das natürlich nicht heran. In den Boomzeiten Ende der Vierziger- und durch die Fünfzigerjahre hindurch machten sich die Standorte ihr Publikum mit ausgefallenen Angeboten streitig. Restaurants, bewachte Spielplätze, mobile Heizanlagen und ein Autowaschservice waren dabei schon fast Standard. Bei manchen konnte man sich sogar die schmutzige Wäsche waschen oder den Einkauf erledigen lassen, ausserdem prüfte das gepflegte Drive-in nebenbei auch noch Reifendruck und Ölstand.
Selbst die Erfindung des Autokinos könnte amerikanischer kaum sein. Es war zwar nur eine Frage der Zeit, bis jemand auf die Idee kam, zwei der prägendstenden Elemente der Vereinigten Staaten, das Auto und das Kino, zu verschmelzen. 1933 machte die Idee, Autos in einem gewissen Winkel und Radius vor einer Leinwand anzuordnen und dabei einen Film abzuspielen, den Unternehmer Richard M. Hollingshead aber noch zum Pionier. Er liess seinen Einfall patentieren und verklagte ein paar Jahre lang alle, die ihm sein Autokino nachmachten.
Das Magazin «Boxoffice» kommentierte die Streits Ende der Dreissigerjahre mit dem Satz: «Es gibt bereits mehr Klagen bezüglich Drive-In-Kinos in diesem Land als Drive-Ins selbst.» Schliesslich verlor Hollingshead vor dem Bundesgericht den Anspruch auf Lizenzzahlungen von Nachahmer_innen und kehrte dem Kinobusiness bald den Rücken zu.

Diesen Sommer lässt sich die amerikanischste Art des Kinos landesweit geniessen. (Bild: Judith Balla)
Zur Blüte schwang sich das Autokino aber wie gesagt ohnehin erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Zu seinen besten Zeiten fand man über die USA verteilt über 4000 Standorte mit Kapazitäten von bis zu 2500 Wagen. Die Mauern, hinter denen die Leinwände angebracht waren, ragten wie kleine Burgen entlang der Landstrassen in die Höhe; wie die Kulissen der Westernstädte in den Filmstudios, die nur Fassade waren.
Die wahre Magie dieser «grössten Innovation seit dem Tonfilm», wie es Hollingshead nannte, spielte sich dann oft gar nicht auf der Leinwand ab. Das lag auch daran, dass die grossen Studios kein Interesse daran hatten, diesen privaten Betreiber_innen ihre Blockbuster zur Erstauswertung zur Verfügung zu stellen. B-Movies, Reruns und Formate für Kinder prägten deshalb lange die Programme, bis die Macht der Drive-ins zu gross und Hollywood per Gesetz gezwungen wurde, auch seine Perlen zahlbar den Ozoners zu überlassen.
Doch was auf der Leinwand lief, interessierte oft eben gar nicht sonderlich, genauso wenig wie die minderwertige Tonqualität. Das Autokino war ein Gemeinschaftserlebnis und Spektakel. Hier fuhren Familien am Wochenende hin, hier traf sich vor dem Siegeszug der Shoppingmall die Jugend, hierher kam man – wie Danny Zuko – für intime Stunden mit seinem Date. Letzteres brachte vielen Betreiber_innen Klagen aufgebrachter Bürger_innen ein. Dabei bemühten sich die Drive-ins redlich, teil der Gemeinde zu sein. So fanden auch Gottesdienste auf den Kinoackern statt – wieso sollte man nur den Leinwandgöttern und nicht auch dem Herrn aus dem Auto heraus huldigen können?
Das Drive-in ist out
So kometenhaft der Aufstieg der Autokinos war, so schnell kamen sie auch wieder aus der Mode. Bereits in den Sechzigern kämpften sie mit rapide sinkenden Eintrittszahlen. Der Aufstieg des Fernsehens und später der Mall als neuem, schickem Treffpunkt der Suburbia machten den Drive-ins das Leben schwer.
Viele Betreiber_innen hatten es auch verpasst oder nicht für nötig gehalten, in neue Technik zu investieren. Schliesslich lief das Geschäft jahrelang auch mit scheppernden Boxen ganz gut. Panisch wurde am Ende des Booms nach Innovation gesucht. So wurde beispielsweise ein System entwickelt, das allen Autos eine persönliche Leinwand vor die Haube stellte. Der Film wurde dabei mit Spiegeln auf die einzelnen Screens parallel projiziert. Die Technik sollte sich nicht durchsetzten – das Autokino war einfach out.

Lifestyle Autokino: In seiner Blütezeit fanden sich über 4000 Drive-ins in den USA. (Bild: Judith Balla)
«Rock’n’roll is here to stay», singen die begeisterten Schüler_innen der Rydell High am Schulball in Grease, «it will never die». Der Film aus dem Jahr 1978, ein Jahr nach dem Tod des King of Rock, Elvis Presley, ist eine zweistündige Nostalgiemaschine. Auch die T-Birds, Danny und Sandys coole Gang, schwört, sich nie aus den Augen zu verlieren. Und so setzt sich das Paar am Ende des Films in den Wagen, diese Wunderkiste, und fliegt aus dem Bild in eine sorgenfreie Zukunft am Nachthimmel über Zürich.
Setzt man sich in seinen Wagen, in ein Autokino und vor diesen Film, weiss man genau, auf welchen Schmalz man sich einlässt. Und auch wenn die Magie des Drive-ins nur ausgeliehen ist und eine Reminiszenz an seine goldene Zeit bleibt: Man kann nicht aus einem Drive-in herausgehen. Man fliegt.
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