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Rajas reise 03

Rajas Reise

An der Fassade des gediegenen Hotels «Elephant» zu Brixen am Fusse des Brennerpasses prangte ein Elefant, der dem Haus seinen Namen gab. Wie man erfährt, war der Dickhäuter dazumal quasi zu Gast in der heute mondänen Herberge. Doch das war vor über 450 Jahren. Was hatte der Elefant hier verloren?

Text: Rolf Breiner / 01. Aug. 2007

Aus der Fremde in die Fremde oder die Geschichte einer Entwurzelung. Bei einem Besuch in Südtirol stach dem Schwyzer Filmer Karl Saurer ein eigenwilliges Fresko ins Auge. An der Fassade des gediegenen Hotels «Elephant» zu Brixen am Fusse des Brennerpasses prangte ein Elefant, der dem Haus seinen Namen gab. Wie man erfährt, war der Dickhäuter dazumal quasi zu Gast in der heute mondänen Herberge («das beste Haus in Südtirol»). Doch das war vor über 450 Jahren. Was hatte der Elefant hier verloren? Wie kam es zu dieser historischen Begebenheit?

Dokumentarfilmer Karl Saurer nahm’s wunder, was es mit dem indischen Elefanten auf sich hatte, und er stiess auf eine verblüffende Geschichte aus alten Kaiserzeiten. Anno dazumal hatte der portugiesische König Johann III. dem Erzherzog Maximilian von Österreich, dem späteren Kaiser, einen Elefanten geschenkt. In Europa war man ganz «heiss» auf exotische Tiere. Und so begab es sich um 1550, dass Rüsselträger Raja auf eine lange Reise geschickt wurde – aus den Wäldern Keralas über See nach Lissabon und Genua, über die Alpen, über Inn und Donau bis ins kaiserliche Wien.

Karl Saurer, der Dokumentarfilmer aus Einsiedeln, spürte akribisch der Geschichte vom Transport des tonnenschweren Kolosses aus Südindien nach. Es wurde eine Reise aus der Gegenwart in die Vergangenheit und zurück. Dabei dient dieses mächtige Landtier als Leitfaden und Einstieg in eine europäisch-indische Kultur- und Sozialgeschichte.

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Geschickt setzt Saurer den indischen Zeitgenossen P. V. Rajagopal, einen sozialpolitisch engagierten Gandhi-Anhänger, als Reiseleiter und Fährtensucher ein. Rajagopal folgt Raja, dem elefantösen Geschenk von einst, von Indien bis Brixen und Wien. Erstaunliches wird auf diesem historisch animierten Elefantentrip zu Tage gefördert. Forscher, Kuratoren, Historiker, ein Gefängnisbeamter und ein Landesarchivar berichten von Reisestationen, Relikten, Dokumenten und einem Elefantenstuhl. Raja hat Spuren hinterlassen – auf Säulen, Wänden, in Büchern und Dokumenten.

In der indischen Mythologie wird der Gott Ganesha mit einem Elefantenkopf dargestellt. Die hinduistische Gottheit verkörpert Weisheit und wird als Helfer in schwierigen Lebenslagen angesehen. Der monumentale Rüsselträger, das grösste noch lebende Landtier unserer Welt, faszinierte und fasziniert aus verschiedenen Gründen – sei es als Symbol der Weisheit und Stärke, als «Spender» des begehrten Elfenbeins oder eben als mächtiges Lebewesen mit Stosszähnen. Berühmt sind auch gewisse Geschichtsepisoden: Der Zug des karthagischen Kriegsherrn Hannibal 218 vor Christus mit Kampfelefanten über die Alpen gegen Rom ist legendär. Seit 1100 vor Christus wurden Elefanten in Indien im Krieg eingesetzt. Alexander der Grosse begegnete ihnen auf seinen Kriegszügen in Kleinasien.

Ein kleiner Elefant wird gefangen, irgendwo in der Gegend bei Kerala, aufgezogen, geschult und vor der Verschickung in einen Zoo gerettet. Elefanten bei der Arbeit, an Festivitäten und auf Reisen. Diese Bilder aus einem Elefantenleben skizzieren sozusagen Rajas soziales Umfeld und Heimat.

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Das ist ein Teil der Geschichte. Aber Karl Saurer erinnert nicht nur an eine historische Episode und eine aussergewöhnliche Elefantenexistenz, sondern wirft Fragen über Exil und Entwurzelung auf. Dabei entwickelt der Film erstaunliche Parallelen zu heute – zu Verschickungen und Fremdbestimmung. Hat man gewusst, was Raja dachte, als er seine Heimat verlassen musste, heisst es eingangs des Films. Und so kann Raja als Fallbeispiel gesehen werden von Existenzen, die in der globalisierten Welt entwurzelt wurden, verloren- und untergingen.

Fragen und Gedanken um Emigranten und Flüchtlinge stellen sich beiläufig ein, auch weil Karl Saurer den Zuschauern Raum und Zeit lässt, sich jeglicher Kommentierung enthält, weder plakativ anprangert noch schulmeistert. Ein Elefantenschicksal, einfühlsam nacherzählt, wird zum Sinnbeispiel kultureller und sozialer Befindlichkeiten. Die Bilder, fotografiert von Hansueli Schenkel, Boney Keyar und Matthias Kälin, sprechen für sich, auch wenn sie etwas traurig stimmen. Gestern und Heute wird verwoben, die Etappen und Impressionen fügen sich zu einem vielsagenden kraftvollen Kaleidoskop einer Reise zwischen Kulturen und zu einem Bildnis über Mensch und Tier. Wobei die dezent eingesetzte Musik die verschiedenen Schauplätze stimmig untermalt, die Dschungelbilder etwa durch Sitar-Klänge von Ajit Singh oder der Lissabon-Aufenthalt durch Fado-Gesang. Musikalische Einstimmung, Imagination und Assoziationen verdichten sich zu einer hintergründigen Parabel über Fremdsein in der Fremde – aus dem Gestern für heute.

«Die Schlusssequenz mit den badenden Elefanten in seiner Biosphäre war tröstlich, versöhnend, aber für mich auch voller Trauer», urteilte der Südtiroler Historiker Hans Heiss, «denn die Zerstörungskraft des Westens, die sich seit der frühen Neuzeit durchzeichnet, scheint manchmal zu gross, zu selbstläuferisch, um sie noch stoppen zu können.» Auch davon legt Rajas Reise Zeugnis ab.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2007 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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