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Happy new year 05

Happy New Year

Reicht ein entlaufener Hund, um fünf voneinander unabhängige Geschichten zu verknüpfen? Christoph Schaub setzt auf eine Formel, die für den Erfolg an der Kinokasse viel verspricht, künstlerisch aber riskant ist. Er wagt mit Happy New Year einen episodischen Film.

Text: Thomas Binotto / 01. Okt. 2008

Reicht ein entlaufener Hund, um fünf voneinander unabhängige Geschichten zu verknüpfen? Christoph Schaub setzt auf eine Formel, die für den Erfolg an der Kinokasse viel verspricht, künstlerisch aber riskant ist. Er wagt mit Happy New Year einen episodischen Film.

Episode 1: Kaspar fährt Taxi, verehrt die «Simpsons» und liebt die Frauen. Das Gemisch von all dem trägt ihm am Silvester den Laufpass ein. Aber die nächste Frau sitzt schon auf der Rückbank: Gloria, zwanzig Jahre älter, reich, schön, unglücklich. Kaspars Chancen werden real, als ihr Mann, der jetzt jüngere Frauen vögelt, das Date zum Dinner platzen lässt.

Episode 2: Auch Nina ist wieder solo. Ihr Freund hat die Lebensabschnittsbeziehung Knall auf Fall beendet. Jetzt kurvt sie mit Oliver, der sich so wunderbar über einen Schlappschwanz ereifern kann, der per SMS Schluss macht, durch Zürichs Strassen. Nina und Oliver sind bei der Polizei, ausgerechnet in der Neujahrsnacht auf Streife.

Episode 3: Bei Pascal muss man befürchten, er habe noch gar nie mit jemandem Schluss gemacht, weil da noch nie ein Anfang war. Der extrem schüchterne Hobby-Bastler sitzt zu Hause und feiert den Jahreswechsel mit Kammermusik und einem neuen Bausatz für ein Modell-Segelschiff. Ein «Noli-me-tangere», dessen Heim ihm Festung ist. Aber diese wird schneller als er «Nein» sagen kann von einer Nachbarin mit ihrer Tochter gestürmt. Und schon steht Pascal als Babysitter da.

Episode 4: Eigentlich wollte Zoe mit ihrer so-called besten Freundin Sabrina um die Häuser ziehen. Aber sie bringt es nicht über sich, ihre Mutter alleine vor dem Fernseher sitzen zu lassen. Erst als diese sich in den Neujahrsschlaf getrunken hat, flieht Zoe doch noch – und läuft über Umwegen Oskar in die Arme.

Episode 5: Herbert ist pensioniert, fährt nicht mehr gut Auto, nörgelt leidenschaftslos an seiner Anne-Marie herum und hasst sauglatte Silvester-Partys. Eine resignierte Stinksocke, der zu schlechter Letzt im lauten Feuerwerksgeknalle auch noch der Hund davonläuft. Herbert getraut sich nicht mehr, seiner Frau unter die Augen zu treten, und irrt auf der Suche nach seinem Hund durch die Innenstadt Zürichs. Seine Neujahrsnacht wird zum Desaster genauso wie jene von Kaspar, Gloria, Nina, Oliver, Pascal, Karin und Zoe – die neben ihrem Liebesunglück nur einen verstörten Hund gemeinsam haben, der ihnen immer wieder über den Weg läuft.

Happy new year 02

Happy New Year ist irgendwo zwischen Love Actually (2003) und Nachtgestalten (1999) angesiedelt. Und genau darin liegt sein Problem. Regisseur Christoph Schaub und seine Autoren Grischa Duncker und Thomas Hess jonglieren zwar einigermassen souverän mit ihren fünf parallel verlaufenden Erzählsträngen. Auch Kamera, Soundtrack und schauspielerische Leistungen sind solide. Aber diesen «Jeder-Mensch-braucht-Liebe»-Reigen so gnadenlos auf Hochglanzkitsch zu trimmen, wie dies Richard Curtis in Love Actually getan hat, das wagen oder können Schaub und sein Team dann – glücklicherweise – doch nicht. Allerdings rücken sie ihren Figuren – leider – auch nicht so erschütternd auf den Leib wie Andreas Dresen in nachtgestalten. Happy New Year ist gleichzeitig zu brav und zu artifiziell, zu harmlos und überraschungslos in jeder Hinsicht. Nie muss man auch nur die geringsten Sorgen haben, das Desaster könnte in einem echten Drama enden. Wenn Nina ihrem Ex eine runterschmiert, aber bis zu uns nur ein harmloser Tätschler rüberkommt, dann ist das symptomatisch. Mit Happy New Year wird uns für eine unvergessliche Neujahrsnacht eindeutig zu viel Rimuss und zu wenig Veuve Cliquot serviert.

Happy new year 03

Das Ensemble ist zwar auf den ersten Blick überzeugend besetzt. Nils Althaus ist ein charmanter Windhund, Denise Virieux eine melancholische Schönheit, Bruno Cathomas ein einsamer Riese, Johanna Bantzer ein heimlicher Vulkan. Die Rollen wurden den Schauspielern zwar auf den Leib geschrieben, aber eine glaubwürdige Wirklichkeit entsteht aus ihrem Spiel dennoch nicht. Bei der Jugendepisode mit Annina Euling, Joel Basman und Elisa Plüss hat man zeitweise sogar das Gefühl, die Regie habe sich mit Schülertheater zufrieden gegeben. Einzig Jörg Schneider und Irene Fritschi werden zu lebendigen Charakteren. Dank ihrer selbstverständlichen Souveränität nimmt man ihnen das alte Ehepaar ab, das sich seit Jahrzehnten gewohnheitsmässig liebt und auf den Wecker geht.

Happy New Year ist einfach zu sympathisch. Da liegt der Hund begraben. Man will diesem Film eigentlich gar nicht böse sein, weil er so nett ist. Deshalb bemüht man sich, Sympathie mit Sympathiebonus zu vergelten. Dann sucht man den Fehler für die wachsende Ungeduld bei seinem eigenen inneren Miesepeter. Bis man schliesslich doch genervt aufgibt, weil einem so gar nichts zugemutet und zugetraut wird. Fünf Happy-Ends, auf die alles wie auf Schienen hinausläuft, das ist bei aller Sympathie dann doch zu viel Traubensaft in anderthalb Stunden. Deshalb fällt einem auch kein triftiger Grund mehr ein, weshalb man für Happy New Year in der Silvesternacht jede Party und jedes Liebesabenteuer fahren lassen sollte. Unterhalten lassen kann man sich davon aber natürlich dennoch. Allerdings muss man dafür wohl schon ein bekennender Pantoffel-Romantiker sein, der es prickelnd findet, zu Hause vor dem Fernseher möglichst ungestört und sanft ins Neue Jahr zu rutschen.

Happy new year 06

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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