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Caos calmo

Text: Kathrin Halter / 09. Apr. 2008

Im Gedächtnis bleibt von einem Film manchmal nur eine Stimmung, eine einprägsame Momentaufnahme, ein einzelnes Bild zurück. Es kann etwas ganz Wesentliches sein oder nur die Reste einer Verflüchtigung, doch immerhin: etwas bleibt bestehen. Bei Caos calmo braucht man nicht lange zu überlegen, was das sein könnte: Das Bild von Nanni Moretti natürlich, wie er auf einer Parkbank sitzt und schwänzt.

Dort, vor der Schule seiner Tochter, hat sich Pietro – so heisst die Filmfigur – niedergelassen und wartet, statt im Büro zu sitzen, den lieben langen Schultag auf die Kleine. Monatelang. Sollen doch die andern vorbeikommen, wenn sie etwas von ihm wollen; Pietro hats nicht eilig.

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Allerdings: Der da im Park mit sanft beschwingter Lässigkeit seine Runden dreht und sich weder von Fusionsverhandlungen seiner Firmenpartner noch durch exaltierte Auftritte seiner Schwägerin aufschrecken lässt, hat eigentlich wenig Grund zur Gelassenheit: Bei einem Unfall hat Pietro kürzlich seine Frau (und seine Tochter ihre Mutter) verloren, und seine treuherzig bewiesene Zuverlässigkeit ist vor allem ein Schuldgeständnis an seine Tochter, für die er in einem entscheidenden Moment nicht erreichbar war.

Doch das ist die schöne Ironie dabei: Ausgerechnet dieser still trauernde Witwer mutiert so zum Beichtvater für betrogene Firmenpartner und betrübte Freunde, zu einer mentalen Anlaufstelle und einem Ruhepol für gestresste Zeitgenossen. Und das, indem er eigentlich nur immer dasitzt und zuhört, auch wenn ihm ein Kollege einmal für (niemals erhaltene) «Ratschläge» dankt.

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Moretti gibt den Pietro mit so selbstverständlicher Vertrautheit, dass man in der Figur bald einmal den Schauspieler selbst zu erblicken glaubt: Ist es nicht genau jene gelassene Exzentrik und innere Unabhängigkeit, ein Mut zu Freiheit auch, die man an dem Italiener seit langem schätzt?

Den Vater, dessen Alltagsroutine durch den Tod eines Familienangehörigen völlig aus dem Gleichgewicht gerät, kennt man natürlich schon: Aus Morettis eigenem Familiendrama La stanza del figlio (Italien 2001), wo Moretti selbst den trauernden Protagonisten spielte. Auch dort geht es um das schwierige Weiterleben und um Schuldgefühle nach einem grossen Verlust (der Sohn stirbt bei einem Tauchunfall). Gemeinsam ist beiden Filmen auch die Beobachtung, wie unvorhergesehen sich Menschen in Trauer verhalten, wie überraschend sich das Leid zuweilen Bahn bricht.

Die Unterschiede sind dennoch beträchtlich: In La stanza del figlio liefern sich die Eltern dem Schmerz fast ungeschützt aus; genau, hoch emotional und doch unsentimental zeigt das Drama das zeitweise Auseinanderdriften einer zuvor intakten Familie. Caos calmo ist da viel leichter und unbeschwerter: Der Unfalltod der Mutter wirkt eher wie ein erzählerischer Vorwand für die Eskapaden des Vaters; das Leben danach wird fast ohne Tränen bewältigt. (Schon fast befremdend wirkt es da, wie gut die Tochter mit dem Tod der Mutter zurechtkommt.)

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Die betonte Leichtigkeit könnte auch damit zusammenhängen, dass Moretti sich nicht allzu offensichtlich wiederholen mochte: Schliesslich wird er (neben Laura Paolucci und Francesco Piccolo) als Koautor des Drehbuchs von Caos calmo aufgeführt, einer Adaption des gleichnamigen Romans von Sandro Veronesi.

Antonello Grimaldi hält sich in seiner Inszenierung zurück, pflegt einen konventionellen, angenehm flüssigen Erzählstil; nur der Einsatz von Popsongs (etwa von Rufus Wainwright) zur Untermalung von Montagesequenzen und Stimmungsbildern wirkt manchmal etwas penetrant. Dabei erzählt Grimaldi von Trauer mehr indirekt als explizit, flicht auch komische Momente mit ein oder solche von versteckter Zärtlichkeit, etwa zwischen Pietro und seinem Bruder, einem etwas selbstgefälligen Schürzenjäger und somit einer Konstrastfigur, neben dem der diskrete Pietro nur umso sympathischer und also letztlich attraktiver erscheint: Pietro hat es denn auch nie nötig, um die Aufmerksamkeit von Frauen zu buhlen, die kommen ganz von alleine.

A propos attraktiv: «Die Süddeutsche Zeitung» störte sich in ihrer Berlinale-Berichterstattung denn auch prompt an der (nicht konkretisierten) «Selbstgefälligkeit» des einstigen «Selbstironikers» Moretti. Selbstgefälligkeit? Natürlich kann man es zumindest beschönigend finden, dass eine Figur, die sich seit Monaten nicht mehr ins Büro bequemt, ein lukratives Aufstiegsangebot von seiner Firma erhält statt als Sonderling (wenn nicht gar als psychiatrischer Fall) taxiert zu werden. Doch Moretti spielt den sanften Exzentriker mit so viel geerdeter Gelassenheit, so leger und unangestrengt, kurz: sympathisch, dass das Urteil schlecht nachvollziehbar ist.

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Und was die überlange Sexszene zwischen Pietro und einer Nachbarin anbelangt, die Italiens Katholiken so in Aufruhr versetzte, dass sich die Bischofskonferenz zu einer Verurteilung des Films hingerissen fühlte – diese Szene geht doch vor allem aufs Konto von Grimaldi und seinem Cutter Angelo Nicolini. Hauptproblem hier ist nämlich schlicht und einfach, dass die Szene dramaturgisch gesehen viel zu lange dauert, dafür, dass sie auf ein erzählerisches Nebengeleise führt. Manchmal sei ein Zensurversuch eben auch «eine Form der Cinephilie», meinte dazu die Süddeutsche trocken. Kann man es schöner sagen?

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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