Filmbulletin Print Logo
Whatever works 01

Whatever Works

Auf seine Leinwand-Persona hat Woody Allen in letzter Zeit oft verzichtet und sie Alter Egos (immer wieder andern) überbunden. Was jeweils nichts hilft, denn hartnäckig sehen und hören wir über die Schulter immer ihn. Und denken erneut: Ach, spielte er sich doch wieder selber!

Text: Martin Walder / 09. Dez. 2009

Nun ist er also wieder da, wo er immer schon war und wo er hingehört. Auch die Manhattan Bridge und die Freiheitsstatue sind noch da, wo sie hingehören. Wie ist Woody Allens Rückkehr aus Europa, wo er mit Scarlett, Penélope, Javier und all den andern sich wie ein Wellness-Tourist verjüngt hat und beim ersten der vier Ausflüge, in Match Point, gar eine seiner besten und hintergründigsten Geschichten überhaupt erfand? Wo würde er wieder anknüpfen, was würde er von diesseits des Atlantiks vielleicht mitbringen? Nach Vicky, Cristina, Barcelona darauf angesprochen, spielte er den Gegensatz sofort herunter: «Mein Werk war immer schon von europäischen Filmen beeinflusst und spiegelt diese Liebe wider.»

Whatever works 03

Richtig. So viel an geballter Neurose und Paranoia, an Misanthropie und Misogynie, an Hybris und Hypochondrie, an Intellogorrhöe und jüdischem Salto-mortale-Humor hätte sogar die Tapeten in Freuds Sprechzimmer zum Schwitzen gebracht und wüsste in einem währschaften Amerikaner gar nicht wohin. Woody ist währschaft nie gewesen, und inzwischen ist der Vierundsiebzigjährige auch physisch von fast beängstigend wirkender Fragilität. Man durfte also gespannt sein. Was aber hat er bei seiner Rückkehr aus Europa getan? Mit Whatever Works ein uraltes Drehbuch ausgegraben. Das hätte er besser bleiben lassen, obwohl wir ja wissen, dass er den Planeten wie nach einem Naturgesetz jährlich mit einem neuen Film umkreisen muss und innerlich unter Zugzwang steht. So sind wir denn wieder beim lieben, alten Stadtneurotiker – bloss gewinnen wir ihn diesmal nicht lieb. Weshalb nur? Mag sein, weil die etwas wohlfeile Heimkehr nach Manhattan unsere Erwartungen enttäuscht, gewiss aber, weil Drehbuch und Dialoge schlicht grob sind und die Regie von jener Allenschen Nonchalance, die immer wieder mal ins Plumpe kippen kann.

Whatever works 05

Der bei uns unbekannte Comedian Larry David spielt in Whatever Works einen Fast-Nobelpreisträger für Quantenphysik namens Boris Yellnikoff. Natürlich ist dieser Lifetime-New-Yorker, natürlich geschieden, natürlich suizidal, und natürlich überlebt er das alles – den Sprung durchs Fensterglas in die Tiefe gleich zwei Mal. Dazu spült ihm der Rinnstein sprich Zufall ein blutjunges Südstaatengewächs namens Melody St. Ann Celestine vor die Füsse, blond und dumm wie Bohnenstroh, aber reinen Herzens, die sich in seiner heruntergekommenen Chinatown-Klause installiert, sich von dem auftrumpfenden IQ-200-Mann erniedrigen lässt, ohne es zu merken, seine überhebliche Sicht auf die Dinge nach bestem Unwissen und Gewissen weiterplappert und ihm eines Tages gesteht, dass sie in ihn vergafft ist. Es kommt zur Heirat. Und dank Viagra auch zu Sex, aber den zu zeigen erspart uns Woody wohlweislich, weil es für die Geschichte unerheblich ist. Boris also gerät ob der lieben Miss aus Mississippi durcheinander. Nicht, weil derlei älteren Herren zuverlässig zu passieren pflegt, sondern weil es den Zyniker des universellen Zufalls von der Milchstrasse auf die Trampelpfade des Menschlichen verschlägt. Die schöne Melody klingt süss nämlich auch in den Ohren gleichaltriger Männer.

Jedenfalls kommt Leben in die Bruchbude des grimmigen Solitärs, und der Film zu seinem eigentlichen Thema: Melodys nicht nur erotisch resolute Mutter taucht auf, und Boris’ Kumpels fangen gleich Feuer, eine Ménage à trois (natürlich amerikanisch auszusprechen) ist die Lösung, und die Dame profiliert sich mit Fotocollagen in der New Yorker Kunstwelt. Auch Melodys bigotter geschiedener Vater erscheint an der Tür und entdeckt im Big Apple seine bessere sexuelle Seite. Nichts ist mehr, wie es war, der Zufall spielt gleichgültig sein Spiel, und haben wir das einmal begriffen, soll man sich auch getrost auf alles Skurrile, Schräge, Unerwartete, Neue, das das Leben (in New York) nicht nur für alle Südstaatler hienieden offeriert, einlassen, wenn es nur Freude bereitet. «What-ever works», sagt Boris, und man weiss nicht so recht, ist er nun ein wenig geläutert oder einfach nochmals eine Drehung zynischer.

Whatever works 07

Auf seine Leinwand-Persona hat Woody Allen in letzter Zeit oft verzichtet und sie Alter Egos (immer wieder andern) überbunden. Was jeweils nichts hilft, denn hartnäckig sehen und hören wir über die Schulter immer ihn. Und denken erneut: Ach, spielte er sich doch wieder selber! Larry David in der Rolle des Boris, der als einziger auch weiss, dass wir im Kino ihm zuschauen, und der sich deshalb – auch nicht neu im Werk des Meisters – unverfroren an uns Zuschauer wendet, spricht wie Woody, und wenn den Misanthropen endlich mal eine menschliche Regung streift, schaut er momentweise auch ein bisschen so verloren wie dieser hinter den ihn schützenden Brillengläsern hervor. Ansonsten aber ist er zu laut und zu penetrant und damit gleichförmig, nicht nur als Figur, sondern als Akteur. Wieviel er dafür kann, ist die Frage. Denn Woody Allens Sarkasmus, seine Pointen sind in diesem Drehbuch auf eigenartige Weise ins Grobe und Plumpe hochgefahren. Geradezu atemlos japst dieser Film nach Pointen. Hasche sie, wer kann, und irgend einmal kann und will man nicht mehr so recht.

Was für ihn filmisches Glück bedeute, wurde Woody Allen einmal gefragt: «Wenn ich am Ende sagen kann: Was ich mir vorgenommen habe, ist gelungen. Meistens ist es umgekehrt. Am Anfang ist eine tolle Idee, ich mache den Film und denke am Ende: Ach, ist das schrecklich. Aber manchmal freue ich mich über die tolle Idee, und siehe: Es ist ein guter Film geworden. Dann bin ich glücklich!» Ob er selber es diesmal ist?

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

20. Feb. 2019

Der goldene Handschuh

Das dunkle Herz der alten Bundesrepublik Deutschland schlägt auf St. Pauli. Fatih Akins Der goldene Handschuh kultiviert grobschlächtige Geschmacklosigkeiten – aber das spricht keineswegs gegen den Film.

Kino

05. Mär. 2008

Breath

Auf den ersten Blick ist Breath der befremdlichste Film, den Kim Ki-duk bisher gedreht hat. Wenn man jedoch sein bisheriges Œuvre in Betracht zieht, zeigt sich die erstaunliche Konsequenz, mit der dieser Regisseur seinen Stil immer weiter verfeinert.