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Il divo 01

Il divo

Text: Erwin Schaar / 15. Apr. 2009

Gewöhnlich wird von jungen Menschen eine andere Haltung dem Leben gegenüber erwartet als von alten. Zur Kritik an herrschenden Verhältnissen sollte sich bei der nachwachsenden Generation immer auch das Engagement für eine bessere Welt gesellen. Die Verhältnisse, die sind halt so – das ist eher die Lebensweise, manchmal schon resignative Haltung der Alten. Nun ist der Regisseur von Il Divo, Paolo Sorrentino, noch zu den jungen und aufmüpfigen Filmemachern zu zählen. Der 1970 in Neapel Geborene hat sich mit seinen Kinofilmen L’uomo in più (2001), Le consequenze dell’amore (2004) und L’amico di famiglia (2006) ein von der Kritik und von Festivaljurys gewürdigtes Opus erarbeitet, und gerade er beschwört mit dem Porträt Giulio Andreottis eine Sicht auf Italiens politisches Geschehen, das von Konspiration, Rache und Mord geprägt ist. Die demokratische Staatsform ist in seinem Film nur eine volkstümelnde Camouflage der Diktatur der Mächtigen. Sein Abgesang auf eine jeglicher Sozialität abholden Politik wird am Ende von der trivialen Sinnlosigkeit des Schlagers «Da da da ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha» verstärkt.

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«È molto cattivo, è una mascalzonata», soll Andreotti nach der Sichtung seines ins Bild gesetzten Porträts geäussert haben, das in der meisterhaften Montage von knappen Sequenzen und oft kürzesten Einstellungen ein undurchsichtiges Gefüge von Handlungen und Begebenheiten schafft, das nur die allgewaltige Person des mächtigen Politikers zu beherrschen scheint, der in der Person des Schauspielers Toni Servillo − in Mateo Garrones §gomorra hat er eine andere Ausprägung eines Mafiosos gespielt − wahrlich wie ein Göttlicher die Fäden des Geschehens zu ziehen weiss. Als einzige Figur ständig präsent, meint man in ihm den zu erkennen, der für alle Un und Schandtaten verantwortlich ist. Seine steife gedrungene Gestalt mit den unbeweglichen Gesichtszügen und den Segelohren durchdringt das filmische Geschehen wie ein negativ gepolter “Superman”.

Es mag für die Zuseher, denen die italienische Politik der letzten Jahrzehnte nicht (so) geläufig ist, eine gehörige Zumutung sein, diesem Feuerwerk bildlicher Emanationen aufmerksam zu folgen und daraus eine Vorstellung zu gewinnen, die eine zur Wiedergabe reife Erzählung auslösen kann. Schliesslich war der am 14. Januar 1919 geborene Giulio Andreotti an 33 von 59 Regierungen nach 1945 beteiligt und siebenmal Ministerpräsident; 1992 wurde er von Staatspräsident Cossiga zum Senator auf Lebenszeit ernannt. Seine Beziehungen zum Vatikan waren so eng, dass sie als ein Konstituens seiner Macht angesehen werden können, und es gelang ihm immer wieder, die Aufhebung seiner Immunität zu verhindern. Auch der schlussendliche Sieg der italienischen Gerichtsbarkeit, die ihn 2002 zu 24 Jahren Haft wegen seiner Verbindungen zur Mafia verurteilte, war nur auf dem Papier gegeben, weil ein Jahr später das Urteil wegen Verjährung aufgehoben wurde. Ob sich Andreotti mit dem Mafiaboss Salvatore Riina, einem Massenmörder, getroffen hat, wird behauptet, bleibt aber auch im Film offen, weil die Beweise fehlen. Sorrentino lässt trotzdem die Puppen tanzen und choreographiert mit den Personenkonstellationen eine Umgebung, in der das hochrangige Mitglied der Democrazia Cristiana auch ohne Beweise als der allmächtige Drahtzieher erscheint.

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Der mächtige Bilderreigen, in dem die Grossaufnahme von Andreottis Händen den gleichen Stellenwert hat wie das Personentableau nach Art eines repräsentativen Gemäldes, auf dem die Honoratioren vereinigt sind, in dem spannungsgeladen der Imperator mit seinen Personenschützern durch nächtliche regennasse enge Strassen seinem Ziel zustrebt, in dem die Ermordung unliebsamer Personen ebenso erregend inszeniert ist wie die ausgelassenen Tanzbewegungen der vergnügungssüchtigen Politikerkaste, wird mit einem ebenso vielfältigen Musikteppich grundiert, in dem die originale Musik von Teho Teardo kombiniert ist mit Songs von Cassius, Barbara Morgenstern, The Veils, Bruno Martino oder Renato Zero, mit Ausschnitten aus Kompositionen von Vivaldi,
Sibelius, Fauré oder Saint-Saëns. Das filmische Geschehen bricht über uns herein wie
eine plötzliche Katastrophe, die stringentes Handeln und Denken beeinträchtigt, aber
eine voyeuristische Faszination zu gewinnen
vermag.

Der starre und doch so ausdrucksstarke Körper Andreottis, dem Toni Servillo eine überzeugende Präsenz zu verleihen vermag, kann für das starre politische System stehen, in dem Korruption, Verbrechen gegen Menschen, geschickt getarnte Aktivitäten der Kurie nur um das eine Bemühen zu kreisen scheinen, den Machterhalt der politischen, wirtschaftlichen und religiösen Eliten zu sichern. Die zwiespältige Haltung Andreottis bei der Entführung und Ermordung seines Parteifreundes Aldo Moro, die unaufklärbaren Verbindungen Andreottis zu mafiösen Organisationen, das Privatarchiv Andreottis, in dem die Untaten seiner Freunde und Feinde gespeichert sind – das alles ist eine hoffnungslose Gemengelage für ein politisches Gegenüber, dem moralische Werte ein Geleitfaden sein mögen. Aber diese zwiespältige Figur scheint auch Ausdruck unseres existentiellen Spiels zu sein. Und Sorrentino hat sich für die Konzeption seines Films unter anderem ja auch von Margaret Thatchers Beurteilung Andreottis anregen lassen: «Er schien entschieden gegen jegliche ethischen Prinzipien zu sein und war geradezu davon überzeugt, dass ein Mensch mit Prinzipien dazu verdammt ist, sich lächerlich zu machen.»

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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