Filmbulletin Print Logo
Brooklyns finest 06

Brooklyn's Finest

Text: Michael Pekler / 14. Apr. 2010

Brooklyn, New York. Das ist seit Jahrzehnten im Kino kein gutes Pflaster für Polizisten, und ausnahmsweise ist es in Wirklichkeit nicht anders. Hier verkleidete sich Popeye Doyle als Weihnachtsmann, um Drogendealer zu verhaften; hier, zwischen den Backsteinhäusern, ist alles schmutziger, lauter und hysterischer als in Manhattan auf der anderen Seite der Brooklyn Bridge.

Das geseufzte «twenty years of days», mit dem der Streifenpolizist Eddie wenige Tage vor seiner Pensionierung seine abgelaufenen Dienstjahre kommentiert, sagt schon alles darüber, wie hier ein halbes Leben im Auftrag des Gesetzes verbracht wurde. Als morgendliches Ritual kippt Eddie im Bett sitzend einen Drink und schiebt sich danach die Waffe in den Mund. Ein leises Klicken und – noch einmal macht er sich auf den Weg zur Arbeit.

Antoine Fuqua, einer der wenigen erfolgreichen schwarzen Mainstream-Regisseure, gilt seit dem Cop-Thriller Training Day (2001) als versierter Connaisseur des Genres, und tatsächlich schöpft er auch in Brooklyn’s Finest aus dem einschlägigen Repertoire an Motiven und Situationen des Polizeifilms. Da findet sich neben dem abgewrackten Eddie noch der Familienvater Sal, der wirklich alles tut, um seiner asthma-kranken Frau und den Kindern ein neues Haus zu kaufen; und da ist noch Tango, der als schwarzer Undercoverpolizist ins Drogenmilieu eingeschleust wurde und dem die Situation zunehmend ausser Kontrolle gerät.

Brooklyns finest 07

Doch nicht diese unkontrollierten und unkontrollierbaren Figuren, ihre Handlungen und ihr psychischer Zustand finden hier zu einer neuen Form, sondern der Rhythmus der Erzählung. Brooklyn’s Finest, der mit seinen nicht-linearen Handlungssträngen zunächst nur als weiteres Exempel des manierierten Verschachtelungskinos gelten könnte, entwickelt mittels seiner drei Hauptcharaktere – jeder ein Grenzgänger auf seine Art – buchstäblich eine Sogwirkung: Brooklyn’s Finest ist physisches Kino, das den ruhelosen Zustand, in dem sich seine Protagonisten befinden, in eine äussere Form überführt.

Sal, der Katholik und Vater, stürmt als Mitglied einer Spezialeinheit die Verstecke der Drogenbanden. Er trägt eine riesige Tätowierung auf dem Rücken, die den Erzengel Michael zeigt, den Bezwinger Satans am Tag des Jüngsten Gerichts. Doch bei der Beichte bittet Sal den Priester nicht um Vergebung, sondern fleht um Hilfe. Blut, Schweiss und Tränen sind in diesem Film nicht Ausdruck, sondern Antrieb.

Brooklyns finest 03

Fuqua übersetzt diese Dynamik jedoch nicht in Bewegung suggerierende Reissschwenks oder stakkatoartige Schnittfolgen. Es sind vielmehr aggressive Körperhaltungen, hastige Dialoge und fieberhafte Blicke, die das Geschehen vorantreiben und die einzelnen Handlungen am Ende zusammenkommen lassen, während Fuqua erstaunlich souverän das Tempo seiner insgesamt kompakten Erzählung beibehält. Das macht Brooklyn’s Finest noch zu keiner Milieustudie, aber zu einem Thriller, der ausgezeichnet das Kräftespiel auf engem Raum beherrscht. Ständig sind die drei unterschiedlichen und durch ihr Polizistendasein doch einander verbundenen Männer unterwegs, streifen mit dem Wissen, dass es für sie keine zweite Chance gibt, durch die Lokale und die Strassen – bis sie am Ende zufällig zueinander finden und doch aneinander vorbei agieren. Doch mehr als dramaturgisches Schicksal ist das logische Konsequenz: In einem anderen psychischen und moralischen Zustand wären sie an diesem Ort gar nicht gelandet. Für eine Umkehr ist es natürlich zu spät. Brooklyn’s Finest endet konsequenterweise mit einem freeze frame, einer Grossaufnahme, welche die Bewegung einfriert. Die Ruhelosigkeit ist der Starre gewichen.

Brooklyns finest 02

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

01. Mär. 2017

Loving

Loving ist nicht nur ein Liebesfilm, sondern auch ein wunderbar stiller Versuch eines Oscar-tauglichen Geschichtsfilms über ein Paar, das im Bundesstaat Virginia wegen unterschiedlicher Hautfarbe nicht heiraten darf und es trotzdem tut.

Kino

01. Apr. 2021

Das neue Evangelium

In Milo Raus neustem Film verfliessen das Innen und Aussen, das Making-of mit dem Endprodukt und die Erzählung mit der Welt in einem Prozess, der in der Tat die Realität, mit der er sich auseinandersetzt, so nachhaltig verändert, wie dies Film bisher selten konnte – oder wollte.

Kino

31. Juli 2013

Chantrapas

Otar Iosseliani hatte 1982 seine Heimatstadt Tiflis verlassen und ging nach Paris. Der grössere Teil seiner Filme entstand dort. Für Chantrapas kehrte er 2010 nach Tiflis zurück, zum ersten Mal seit langen Jahren. Er erzählt von einem jungen Mann, Nicolas, einem Filmemacher, dessen Film verboten wird, der Tiflis verlässt und nach Paris geht.