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Joschka und Herr Fischer

Joschka und Herr Fischer reiht sich ein in eine Reihe jüngerer deutscher Filme, die die Lebensgeschichten von Protagonisten der linken Bewegung neu aufrollen. Es ist jedoch nicht einfach eine verfilmte Biografie, vielmehr ging es dem Regisseur Pepe Danquart darum, «Fischer in seine eigene Geschichte» zu stellen. Und dafür hat er eine innovative Form gefunden.

Text: Frank Arnold / 18. Mai 2011

Das bislang letzte Mal machte er im April von sich reden, als eine Umfrage zutage förderte, dass die Deutschen in ihm «den am besten geeigneten Kanzlerkandidaten der Grünen» sehen. Das wäre zumindest spannender als die Meldungen von immer neuen Beraterverträgen (die ja prinzipiell den Ruch des Unseriösen haben). Sicher ist, dass der 1948 geborene Joschka Fischer eine der schillerndsten Figuren der deutschen Nachkriegspolitik ist. «Vom Steinewerfer zum Aussenminister» könnte man seine Biografie verkürzend etikettieren, vom APO-Sponti zum Staatsmann.

1999 war er einer der Protagonisten des Dokumentarfilms Spuren der Macht – Die Verwandlung des Menschen durch das Amt der Fotografin Herlinde Koelbl. Und das ist wohl auch das vorherrschende Bild von ihm geblieben, zumindest bei den Linken: das des Mannes, der – wie so viele andere – Gefallen fand an der Macht, die mit einem politischen Amt verbunden ist. Das streitet er auch in diesem Film nicht ab, wenn er erklärt, dass eine Grüne Partei nur Sinn mache, wenn man auch bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen (statt die Grüne Fraktion im Bundestag nur als “Scharnier” für Aktionen der Ausserparlamentarischen Opposition zu nutzen).

Er wollte keine verfilmte Biografie abliefern, hat Regisseur Pepe Danquart gesagt, vielmehr «Fischer in seine eigene Geschichte stellen». Dafür hat er eine durchaus innovative Form gefunden. Er konfrontiert ihn in einem Raum mit seiner eigenen und zugleich mit der deutschen Vergangenheit. Dafür hat er aus Archivmaterial kurze Filme zusammengefügt, die als Endlosschleifen projiziert werden.

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Dazwischen bewegen sich Fischer und das Filmteam. Fischer auf der Couch gewissermassen, das Emotionale als Türöffner. «Eine biografische Zeitreise» war der Film zunächst untertitelt, es ist nicht nur eine doppelte Biografie (nämlich auch die des Filmemachers), sondern schliesslich sogar eine kollektive, in der zumindest auch ein Teil der Zuschauer sich selber wiedererkennen wird.

Der Film bleibt dabei der Chronologie verhaftet und überlässt es dem Zuschauer, Verbindungen herzustellen. Manches ist offensichtlich: etwa wenn Fischer bei einem Anti-AKW-Protest von einem Reporter auf Englisch gefragt wird und er zugeben muss, dass sein Englisch nicht ausreicht, um die Frage zu beantworten. Den Kontrast dazu bildet sein berühmtes «I am not convinced!», das er dem amerikanischen Aussenminister im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg entgegenhält.

Die ikonografischen Momente, die man mit Joschka Fischer verbindet, kommen natürlich alle vor, zumal die Vereidigung (als hessischer Umweltminister) zum ersten grünen Minister in Deutschland, bei der 1985 seine Turnschuhe für Aufregung sorgten. «Es mussten Turnschuhe sein … wir haben lange diskutiert», gibt er dazu preis und belässt der Aktion damit gleichzeitig etwas Geheimnisvolles.

Wir erleben seine angriffslustigen Reden als Bundestagsabgeordneter und die hochemotionale Rede auf dem Bielefelder Parteitag der Grünen, wo er nach dem Beginn des Balkaneinsatzes für den Einsatz der Bundeswehr im Kosovo Unterstützung erbittet und von einem Farbbeutelwurf verletzt wird. Die Perspektive weitet sich dabei durch ein Statement des Schweizer Publizisten Roger de Weck, der anhand einiger Beispiele erklärt, dass alle grossen Staatsmänner das Gegenteil von dem taten, wofür sie gewählt wurden. Ein bedenkenswerter Moment. Insgesamt zehn solcher Zeitzeugen erweitern den Horizont des Films, ohne dabei Fischers Äusserungen je diametral entgegengesetzt zu sein. Die Gesprächspartner, die hier zu Wort kommen, sind keine politischen Gegner, sondern stammen allesamt aus dem Freundes- und Bekanntenkreis des Filmemachers, von Fischer sind sie unterschiedlich weit entfernt – am nächsten dran ist Daniel Cohn-Bendit, schlagfertig wie immer, dessen Äusserungen zweimal mit denen von Fischer zu einem gelungenen imaginären Dialog montiert werden.

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Intensive Momente bilden die Wendepunkte in Fischers Lebenslauf: wenn er erzählt, wie die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer im «Deutschen Herbst» zu einer Distanzierung von der Gewalt führte, beginnt er mit der Charakterisierung von Schleyers politischer Rolle im Dritten Reich und in der Bundesrepublik – und kippt unvermittelt um in ein emotionales Bekenntnis. Eher lakonisch kommt Fischers Eingeständnis herüber, auf die Anforderung des ersten Ministeramtes nicht vorbereitet gewesen zu sein – in der Tat höchst bizarr: der ehemalige Sponti, der plötzlich einem Beamtenapparat vorsteht.

Joschka und Herr Fischer reiht sich ein in eine Gruppe jüngster deutscher Filme, die die Lebensgeschichten von Protagonisten der linken Bewegung neu aufrollen, gerade solchen, deren Biografien Brüche aufweisen. So verfolgte Birgit Schulz’ Dokumentarfilm die anwälte die Lebensläufe von Otto Schily, Christian Ströbele und Horst Mahler, die zu APO-Zeiten in einem Berliner Anwaltskollektiv zusammenarbeiteten. In Wer wenn nicht wir, dem ersten Spielfilm des Dokumentaristen Andres Veiel, steht Bernward Vesper im Mittelpunkt. Der Sohn des Nazi-Dichters Will Vesper gab als Kleinverleger sowohl die Schriften seines Vaters als auch die von Vordenkern der Ausserparlamentarischen Opposition heraus – zusammen mit Gudrun Ensslin, die dann mit Andreas Baader in den Untergrund abtauchte, während Vesper in den Wahn abdriftete und Selbstmord beging. Sein nachgelassener autobiografischer Romanbericht «Die Reise» wurde 1986 von dem Schweizer Regisseur Markus Imhoof verfilmt.

Nach Sichtung von Joschka und Herr Fischer könnte man vielleicht wirklich von einem Kanzlerkandidaten Fischer träumen. Aber dann holen einen die letzten Bilder wieder in die Wirklichkeit zurück: Fischer im Wahlkampf wirkt wie jeder andere Berufspolitiker. Andererseits: die Aufnahmen für einen Werbespot, die er mehrfach abbricht, wirken schon wieder wie ein Eingeständnis dieser “gemachten” Welt.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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