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La princesse de montpensier

Als Bertrand Taverniers Film vor einem Jahr in Cannes lief, durfte er sich keine grossen Chancen auf einen Preis ausrechnen. In einem Wettbewerb spitzt sich ja die Frage der Relevanz ins Unermessliche zu: Wo es so viele Neuigkeiten vom Stand der Dinge gibt, warum soll man sich da für einen Film interessieren, der in einer fernen Epoche spielt, in der für die Liebe noch Opfer gebracht wurden?

Text: Gerhard Midding / 27. Juli 2011

Bis zum Aufkommen des Impressionismus nahm die Historienmalerei in der Hierarchie der Gattungen den obersten Rang ein. Man muss nicht unbedingt bedauern, dass sich dies seither geändert hat. Heute stehen historische Stoffe auch im Kino längst nicht mehr so hoch im Kurs wie in früheren Epochen. Von Filmemachern erwarten wir ganz selbstverständlich, dass sie sich den drängenden Fragen der Gegenwart stellen (oder zumindest unterhaltsam verschleiern, wie sie dieser Herausforderung ausweichen). Man darf durchaus bedauern, dass dies mitunter ungerecht ist.

Als Bertrand Taverniers neuer Film vor einem Jahr in Cannes lief, durfte er sich keine grossen Chancen auf einen Preis ausrechnen. In einem Wettbewerb spitzt sich ja die Frage der Relevanz ins Unermessliche zu: Wo es so viele Neuigkeiten vom Stand der Dinge in der ganzen Welt gibt, warum soll man sich da für einen Film interessieren, der in einer entlegenen Epoche spielt, in der für die Liebe noch Opfer gebracht wurden, deren Gravität uns heute gänzlich unverständlich ist? Auf den Märkten des Autorenkinos, auf denen sich eine gewisse Fiktionsmüdigkeit breit gemacht hat – man denke an den verdienten Erfolg, den Verfilmungen von Tatsachenromanen wie «Gomorrha» oder «Entre les murs» in jüngerer Vergangenheit feierten –, gilt ein historisch kostümiertes Werk, das sich so ungeniert der Freude am Erfinden von Intrigen hingibt, als altbacken und unzeitgemäss; einmal ganz abgesehen von der kommerziellen Legitimation eines solch kostspieligen Unterfangens.

La princesse de montpensier zeigt keine historische Kausalität auf, wie es Das weisse Band bedachtsam tat. Taverniers Film sucht keine eindeutigen Antworten auf die Frage, woher das Heute kommt. Es gibt zwei reiche Väter, die kleinlich um Liegenschaften und das Eheglück ihrer Kinder schachern – aber einen Kommentar auf die Finanzkrise wird man darin kaum entdecken. Mit beträchtlichem Wohlwollen liesse sich zwar an einigen Stellen ein Bogen zur Gegenwart schlagen. Es geht um Kriege, die im Namen der Religion geführt werden. Eine Familie wird beargwöhnt, weil sie aus dem Ausland stammt. In einer beklemmenden Szene findet eine Hochzeitsnacht in aller Öffentlichkeit statt: Wie in gewissen Kulturen heutzutage noch, muss überprüft werden, ob die Braut als Jungfrau und nicht als beschädigte Ware in die Ehe geht. Aber derlei Bezüge sind nicht das vorrangige Anliegen eines Regisseurs, der einmal sagte, keine Diktatur sei schlimmer als die der Gegenwart

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Barbarei und Kultur

Tavernier setzt sich historischen Epochen mit der gleichen Neugierde aus wie andere Regisseure der Gegenwart. Er tut es ohne Nostalgie und Verklärung. Auch zu Beginn von §la princesse de montpensier springt er unmittelbar in das Geschehen hinein. Die wuchtig ausgreifende Handkamera wirft den Zuschauer mitten in die unbarmherzigen Nachgefechte einer Schlacht hinein. Er setzt eine Welt, in der sich der Zuschauer erst allmählich, im Wechselspiel von Nahsicht und Tableau, zurechtfinden wird.

Mit ihren Widersprüchen wird er augenblicklich konfrontiert. «Schiesst, im Namen Gottes» befiehlt der Comte de Chabannes seiner Rotte, fest davon überzeugt, in einem Bauernhaus einen Unterschlupf feindlicher Soldaten aufgespürt zu haben. Die Religionskriege im Frank
reich des ausgehenden sechzehnten Jahrhunderts zeigt Tavernier als Epoche grösster Barbarei. Auch wenn er den noblen und heroischen Aspekten des Mantel-und-Degen-Films seine Reverenz erweist (das Genre handelt ja stets auch vom Kulturerwerb), verschweigt er die rohe, schmutzige Kehrseite des Kriegshandwerks nicht. Das ist vielleicht sein grösstes Verdienst als Filmemacher: den Zuschauer zum Zeitgenossen der Vergangenheit zu machen.

Gemeinsam mit Jean Cosmos und François-Olivier Rousseau hat er «Histoire de la Princesse de Montpensier», das literarische Debüt von Madame de Lafayette, adaptiert. Dank ihrer sechzehn Jahre später veröffentlichten «La Princesse de Clèves» (die Nicolas Sarkozy bekanntlich wenig schätzt und als Schullektüre längst nicht mehr zeitgemäss findet) gilt sie als die Begründerin des psychologischen Romans in Frankreich. Ihr Hauptwerk wurde in den letzten zwei Jahrzehnten mehrfach verfilmt – von Manoel de Oliveira, Andrei Zulawsky, unlängst von Christoph Honoré – und ihre Geschichte dabei mehr oder weniger geschickt auf die Gegenwart hin aktualisiert. Die unbekanntere Novelle entfaltet auf knappem Raum eine mindestens ebenso komplizierte Gefühlsökonomie wie der Roman, den sie in vielen Motiven vorausahnt: den widersprüchlichen Gefühlen, die die jeweilige Titelheldin in Konflikt bringt mit den Sitten ihrer Zeit und ihres Standes; der Gleichgültigkeit der Geliebten als tiefster Verletzung des Liebenden; schliesslich der Vermengung historisch verbürgter und fiktiver Charaktere.

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Die junge Marie de Mézières wird von vier Männern umworben. Sie liebt den Heisssporn de Guise. Auf Geheiss ihres Vaters wird sie jedoch mit dem Prinzen von Montpensier verheiratet. Dessen treuer Freund, der Comte de Chabannes, wird ihr Lehrmeister und verliebt sich in sie; ebenso wie Anjou, der erste Sohn des Landes und spätere König Henri III.

Die Adaption bedenkt, was die Prosa der Madame de Lafayette für ihr zeitgenössisches Publikum filterte und aussparte. Sie füllt nicht nur die Leerstellen und gibt dem Unausgesprochenen erzählerischen Raum, sondern nimmt auch einschneidende Veränderungen vor. Dem moralisierenden Ton der Vorlage setzt sie das Argument der Sinnlichkeit entgegen. Die Dialoge schillern zwischen den Epochen: Ihnen ist aller falscher historischer Firnis ausgetrieben, ohne dass sie in einen modernen Jargon verfallen müssten. Philippe Sarde hat seine Partitur sehr modern orchestriert und Perkussionsinstrumenten besonderes Gewicht verliehen, setzt aber auch historische Instrumente wie die Gambe ein. Für die Kampfszenen hat Tavernier den Choreographen Alain Figlarz verpflichtet, der mit The Bourne Identity bekannt wurde und dessen Stil massgeblich vom Hongkong-Kino beeinflusst ist: In den Fechtszenen spielen Eleganz und Formvollendung eine geringere Rolle, als es traditionell im Mantel-und-Degen-Film üblich ist.

Wie stets in den historischen Fresken, für die sich Tavernier der Mitarbeit von Jean Cosmos versichert hat (beispielsweise in La vie est rien d’autre und Laissez-passer), versucht er, eine Epoche ganz aus dem Alltagsleben zu rekonstruieren. Man erfährt viel über die Küche des ausgehenden sechzehnten Jahrhunderts. Den Bildern hat Kameramann Bruno de Keyzer oft eine zweite oder sogar dritte Ebene nachgeordnet, in denen man das Gesinde bei ihren Verrichtungen sieht oder einen Bauern, der unbeeindruckt vom Drama des Vordergrunds das Auskommen seiner Familie mit Angeln aufbessern will. Sie machen den adligen Protagonisten das Terrain nicht streitig, stellen sie vielmehr in einen gesellschaftlichen Rahmen. Die grosse Ballszene beim Hofe in der zweiten Hälfte des Films erzählt Tavernier ganz aus den Kulissen heraus; nicht nur, weil sie das Budget überschritten hätte.

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Eine Wette

Tavernier filmt impulsiv und reflektiert. Die rastlose Kamera vermählt Eleganz und Spontaneität. Oft werden ihre Bewegungen in entgegengesetzter Richtung weitergeführt. Sie schwelgen nicht, sondern analysieren. Der Regisseur will sich beim Drehen stets selbst überraschen und zugleich Rechenschaft ablegen über das Ethos des Erzählens und die eigenen Wurzeln im Kino. Seine Genrefilme überprüfen die Tragfähigkeit der Konventionen. Jeder seiner Filme ist eine Wette gegen die Unvereinbarkeit seiner Elemente.

Der Kostüm- und der Kriegsfilm sind zwei Passionen, die sich durch die gesamte Filmographie ziehen. Insgeheim greift La princesse de montpensier, wie praktisch jeder seiner Filme, Motive des Westerns auf. Der Vorspann erinnert an den genügsamen Auftakt der Filme von Budd Boetticher und Anthony Mann, in denen man einfach nur zuschaut, wie eine Figur eine Landschaft durchquert. Die Schuld, die sich die Helden bei Mann oder Raoul Walsh meist schon vor Beginn der Geschichte auf sich geladen haben, zeigt Tavernier freilich eingangs direkt. Chabannes begeht eines der drei grossen Kriegsverbrechen jener Zeit (die beiden anderen waren das Zerstören eines Backofens und eines Pflugs), über die sich Tavernier von dem Historiker Didier Lefur aufklären liess: Er ersticht eine schwangere Frau. Diese Schande wird er fortan zu tilgen suchen. Er desertiert aus der Armee.

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Die Prüfung der Zukunft

Madame de Lafayettes Novelle ist eine Mahnung zur Tugendhaftigkeit. Taverniers Marie hingegen begehrt heftiger gegen die Sitten ihrer Epoche auf. Es fehlt ihr in Mélanie Thierrys Interpretation wohlgemerkt nicht an Koketterie. Sie ist eine widerspenstige, selbstbewusst fordernde Schülerin. Die Last, eine präfeministische Heldin zu sein, bürdet ihr der Film nicht auf. Vielleicht ist sie nicht einmal sein Kern. Die Männer um sie erwachen in ebenso schönem Relief zu filmischem Leben. La princesse de montpensier ist das Werk eines in die Jahre gekommenen Regisseurs, der ohne Altersmilde von blutjungen Charakteren erzählt.

Ihre Mutter rät Marie zur Ehe mit Montpensier, da er weder einen guten noch einen schlechten Ruf hat: Sie möge das examen de l’avenir abwarten. Grégoire Leprince-Ringuet zeichnet ihn als befangenen, weil viel zu jung verheirateten Gatten. Im Krieg kann er sich bewähren, in der Liebe stehen ihm die Worte und Gesten noch nicht zu Gebot, um seine Gefühle auszudrücken. Als ihn der König wieder in seinen Dienst ruft, hat der Jungvermählte für seine Frau nur einen kurzen Abschiedsgruss übrig, Chabannes hingegen umarmt er herzlich. Sein Rivale Guise, der sich gern für die Ehre und zu seinem Vergnügen schlägt, ist ein selbstgewissser Verführer, in dessen Ranküne Momente der Aufrichtigkeit aufblitzen. Anjou (Raphael Personnaz ist die grösste Entdeckung des Films: Er besitzt die Schönheit des jungen Alain Delon und bereits schon die Entschiedenheit, zu der dieser erst später fähig war) ist ein Zyniker von gefährlicher Autorität, der gleichwohl Integrität beweist und Achtung für Mut und Empfindsamkeit hegt.

Man könnte diesen vielstimmigen Film an sieben Tagen hintereinander sehen, jeweils aus dem Blickwinkel eines der Protagonisten, und stets Neues entdecken. Das Wochenende müsste man für Chabannes reservieren. Er ist der Knotenpunkt der Handlung, in ihm führt der Film alle Schicksale zusammen. Er ist ein Botengänger der Liebe, meist wider seine eigenen Interessen. Lambert Wilson spielt ihn als innig religiösen und gelehrten Renaissancemenschen, der in Naturheilkunde, Astrologie, Poesie und Musik bewandert ist. Er ist ein freier Geist, der über den Welthorizont seiner Epoche hinauszublicken vermag, ohne zu einem Humanisten nach heutigen Massstäben werden zu müssen. Tavernier setzt ihn als Figur ihrer Zeit ins Recht.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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