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J. Edgar

Mehr als einundachtzig Jahre zählt Clint Eastwood, längst eine Legende seiner selbst. Und einen Film nach dem andern macht er noch, alle Jahre, bald komplex, bald weniger. Doch neugierig gehen wir hin, weil er längst – das war weiss Gott nicht immer so – sich nicht wiederholt, wie das manchem schon in weit jüngeren Jahren widerfährt. Auch mit J. Edgar ist Eastwood wieder für eine Überraschung gut.

Text: Martin Walder / 11. Jan. 2012

Mehr als einundachtzig Jahre zählt Clint Eastwood, längst eine Legende seiner selbst. Und einen Film nach dem andern macht er noch, alle Jahre, bald komplex, bald weniger. Doch neugierig gehen wir hin, weil er längst – das war weiss Gott nicht immer so – sich nicht wiederholt, wie das manchem schon in weit jüngeren Jahren widerfährt. Auch mit J. Edgar ist Eastwood wieder für eine Überraschung gut. Eine Überraschung an ausbalancierter Ernsthaftigkeit, patriotisch affirmativ und distanziert zugleich.

Die biografische Chronik eines der mächtigsten Männer der USA im letzten Jahrhundert spielt ausgerechnet in jener Zone, die Clints einsame Westerner und dann sein «Dirty» Harry Callahan in der Grossstadt für ein, wenn nicht das Übel der Welt halten und gegen das sie heroisch ankämpfen: die Bürokratie. Sie torpediert, dass law zu justice, dass Gesetz auch wirklich zu Recht führt. Dass freilich der Einzelne, der – aus welch ehrbaren Gründen auch immer – das Gesetz draussen in der zivilisatorischen Wildnis in seine Hand nimmt, sich zweifelhaft zur Durchsetzung von Recht legitimiert, ist die dunkle Kehrseite der durch und durch amerikanischen Eastwood'schen Helden.

In J. Edgar nun fällt beides in eins: Eigenmächtigkeit innerhalb der Bürokratie, was vielleicht Eastwoods Interesse für den Stoff in seiner Ambivalenz erklärt. Schauplatz ist die Hauptstadt Washington D. C. Da regiert einer einen Monsterapparat, der seine eigenen Vorstellungen von law und justice kultiviert. John Edgar Hoover (1895–1972) baute in den zwanziger Jahren das Bureau of Investigation (BOI) der Bundespolizei auf und – ab 1935 als FBI – zur politischen Macht im Staate aus. Achtundvierzig Jahre lang war er sein Direktor, acht Präsidenten hat er bei teils herzlicher gegenseitiger Animosität überdauert: Coolidge, (Herbert) Hoover, Roosevelt, Truman, Eisenhower, Kennedy, Johnson und Nixon. Der ihm zugeschriebene Satz, ihm sei egal, wer unter ihm Präsident der USA sei, klingt zu schön, um nicht wahr zu sein …

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Folgt man Eastwoods wiederum ruhig und breit erzähltem, souverän die Jahrzehnte überspannenden Film, sind anarchistische Anschläge 1919 das auslösende Moment für Hoovers Besessenheit, das Land vor Staatsfeinden zu retten. Abgestützt auf eiserne Disziplin und einen gigantischen Fichenapparat, dessen verschlüsselte Zugangscodes nur er und wenige andere kannten, konsolidierte er seine Macht, die er auch publikums- und medienwirksam zu inszenieren wusste. Die Massenverhaftung von 10 000 Personen im Zeichen der Red Scare mit der fragwürdigen Deportation der charismatischen Anarchistin Emma Goldman, die Liquidierung von Gangsterlegenden wie Dillinger oder die Jagd nach dem Entführer des Babys des Atlantiküberfliegers Lindbergh – dies waren spektakuläre Aktionen, in denen Hoover sich gern als in vorderster Front stehend darstellte. Das hatte er von den narzisstischen Gangstern Hollywoods, den Cagneys & Co., rasch gelernt.

Der Film folgt diesen Selbstdarstellungen in Flashbacks, wenn der alte Kalte Krieger seine Memoiren diktiert und so die Erzählperspektive bestimmt. Das heisst: Wirklich war, was er uns erzählt, und damit galt die berühmte Losung des Westens: When the legend becomes fact, print the legend! Doch weder für Hagiographie noch für ein interessantes, aber dürres historisches Bio Pic gibt sich Dustin Lance Blacks cleveres Drehbuch her. Die materialreiche Chronologie ist über mehrere Zeitsprünge hin brillant gebrochen und verschachtelt (aber im historischen Setting und den kunstvollen Gesichtsmasken der “alternden” Darsteller stets gut identifizierbar). So demontiert Hoovers teils off-voice-begleiteter Aktionismus sich immer bedrückender selber. Vor allem aber mündet der Film in eine Klimax, die das von J. Edgar Erzählte in Frage stellt und widerlegt. Es ist eine hoch emotionale Szene, die uns den Mann zu guter Letzt so intim näher rückt, dass wir ihn nur dank all dem zuvor Gesehenen uns vom Leibe halten können.

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Doch was heisst das überhaupt: Hoover und Intimität? Immerhin haben wir es bei diesem ersten Intimschnüffler im Staat (etwa gegen Martin Luther King Jr. oder Eleanor Roosevelt) mit einem zu tun, der sein Innenleben rigoros abschottete, am rigorosesten vielleicht gegen sich selber. Eine nicht gerade glänzende Voraussetzung für ein Biopic! Doch Black wie Eastwood machen sich die Tatsache zunutze, dass John Edgar ein psychoanalytisch ergiebiger Fall ist. Black, -Autor bereits des grossartigen Polit-Zeitstücks Milk, gestattet sich deutliche Innenansichten eines durch und durch puritanischen Einzelgängers mit soziopathischen Zügen, der bis zu deren Tod mit seiner dominanten Mutter (St. Gallischer und bündnerischer Herkunft) zusammenwohnt. Wie diese ihrem Edgar zuhause das Tanzen beizubringen versucht, von der Kamera in schonungsloser Barmherzigkeit aus Deckenperspektive beobachtet, sorgt für Gänsehaut. Dieser Edgar berührt die Hand einer Verehrerin und später loyal ergebenen Sekretärin nur, um ihr sein System von Fingerabdrücken auf Karteikarten zu demonstrieren. Und vor allem: Zu seinem smarten Stellvertreter Clyde Tolson muss er ein Verhältnis gehabt haben, das seiner rigoros schwulenfeindlichen Anstellungspolitik im FBI Hohn sprach – was Truman Capote sarkastisch von «Johnny and Clyde» sprechen liess.

Leonardo DiCaprio spielt und spricht diesen abgründigen J. Edgar tadellos, jeder Satz gestanzte Rhetorik, ausser wenn er bei Gefühlsdingen in leises Stottern gerät. Er verkörpert ihn mit seiner (hier fast allzu?) charismatischen Präsenz und einem Hauch von Verletzlichkeit, überzeugend als junger scharfer Hund wie in der Altersmaske des fett und schwer gewordenen Loners. Diesem Typen sagt der von ihm verratene Clyde die Wahrheit ins Gesicht – ohne zu verleugnen, dass es Liebe war. Doch die entsetzliche menschliche Leerstelle namens J. Edgar konnte und konnte es sich selber nicht eingestehen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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