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Louder Than Bombs

In einer einzigen Hinsicht ist Louder Than Bombs tatsächlich gelungen: Joachim Trier hat es endlich geschafft, Norwegen zu verlassen. Denn das war es, was die Figuren seiner ersten beiden dort gedrehten Filme, sich ihrer Privilegien überbewusste Osloer Mittelschichtswohlstandskinder, immer wieder predigten: Endlich raus aus dem beschaulichen Oslo!

Text: Philipp Stadelmaier / 16. Dez. 2015

In einer einzigen Hinsicht ist Louder Than Bombs tatsächlich gelungen: Joachim Trier hat es endlich geschafft, Norwegen zu verlassen. Denn das war es, was die Figuren seiner ersten beiden dort gedrehten Filme, sich ihrer Privilegien überbewusste Osloer Mittelschichtswohlstandskinder, immer wieder predigten: Endlich raus aus dem beschaulichen Oslo! Bislang gelang dies lediglich durch kurze, ziemlich imaginäre Kurztrips ins Traum-Paris der Nouvelle Vague (Reprise, 2006) oder durch die letale Überdosis Heroin am Ende von [art:oslo-august-31th:Oslo 31 August] (2011). Jetzt aber ist Trier endlich dort, wo der Held seines letzten Films eine letzte Chance auf ein neues Leben sah: in New York.

Wenn Triers erste beide Filme tatsächlich nur Übungen darin waren, so schnell wie möglich zum Ende zu kommen (die Obsession des Herunterzählen bis zur Null in Reprise, der Gang zum Selbstmord in Oslo, 31. August), so ist das nun nicht länger nötig. Das böse Ende gabs in Louder Than Bombs schon vor Beginn der Handlung: Die berühmten Kriegsfotografin hat sich vor Jahren umgebracht; nun müssen sich Mann und Söhne, einer erwachsen, einer zwölf, mit der Erinnerung an sie auseinandersetzen.

Triers Filme drehten sich immer in irgendeiner Art um abwesende Frauen. Oder um Frauen, die von Männern verdrängt, objektiviert oder idealisiert (und dadurch letztlich negiert) wurden. Nehmen wir Reprise. «Frauen behindern die Arbeit des Mannes», erklärt da der Oberchauvinist aus dem Freundeskreis der beiden Hauptfiguren mit Schriftstellerambitionen, Philip und Erik. So macht Philip seine Freundin zum Objekt einer ungesunden Obsession, während Erik seine Freundin immer mehr ignoriert. Damit bestätigen sie nur die These des Oberchauvis: Philip wird nicht mehr schreiben können; Erik schon. Was den Oberchauvi betrifft, so heiratet er am Ende die mit Abstand emanzipierteste Frauenfigur des Films, die ihn einst als Oberchauvi blossstellte. Mit anderen Worten, die Emanze wird besiegt.

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Auch Anders, der depressive, Philip sehr ähnliche (und wieder von Anders Danielsen Lie gespielte) Exjunkie aus Oslo, 31. August, kann mit Frauen nichts mehr anfangen, sofern sie nicht abwesend sind. Seine Exfreundin ist weit weg in New York. Er ruft mehrfach an, sie meldet sich nicht. Zuvor beginnt der Film im Schlafzimmer mit einer anderen. Der Sex sei schlecht gewesen, erzählt Anders später. Wir erinnern uns an eine ebenfalls lustlose Sexszene zwischen Philip und seiner Freundin in Reprise und daran, dass die «schlecht gemachte Liebe» und die negative Darstellung körperlicher Genüsse (Drogen, Sex, Alkohol) als leere Vergnügungen schon Louis Malles frühere Verfilmung von Drieu La Rochelles «Le feu follet» von 1963 geprägt hatten.

Moralisch gesehen ist Trier bis heute ein Nachfahre Louis Malles: Die körperlichen Begehren töten die Ideale oder zeigen durch Impotenz und Leere deren Schwächen auf. Dieser Dualismus lässt ihn letztlich zum Vertreter einer sehr bürgerlichen (und männlichen) Ideologie werden. Trier warnt vor der Angst und der Weigerung der Jungen (Männer!) vor dem Älterwerden (der Kern der Selbstzerstörung von Anders in Oslo, 31. August) und zeigt, wenngleich pessimistisch, die Notwendigkeit der Familie (was in Reprise wie in Oslo, 31. August augenzwinkernd geschieht). Der Mann wird zum frustrierten Macho; die Frau zur Mutter. Ihre ultimative Rolle.

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Nun kann man sagen, dass Trier noch auf eine andere Art ein Nachfahre Malles ist: als akademischer Filmregisseur, der den Formenschatz der Avantgarde nimmt, um damit bürgerliche Themen zu illustrieren. Damit machte Trier mit Malle und der Nouvelle Vague, was früher schon Malle mit der Nouvelle Vague getan hatte. Das ist zwar schnell durchschaubar, gab aber Triers ersten beiden Filmen eine Ironie, die ihren Machismus, wenn auch nicht ansehnlich, doch anschaubar machte. Sodass man sie in einer «Reprise» zwischendurch wieder «auf Anfang» setzen, von einer anderen Seite her «nehmen» konnte. Wenn etwa in Reprise die Verliebtheit der Nouvelle Vague in Schrift und Literatur ihren Niederschlag in den Jungschriftstellern Philip und Erik fand (auch Anders in Oslo, 31. August ist ein Schreiber), so nahm Trier deren bürgerliche Moral (neben den Frauen ihre Kämpfe à la «Kunst vs. Kommerz») ebenso ernst wie nicht ernst, da man hier nie einen ihrer Texte sah, nur Bücher mit Titeln wie «Phantombilder». Trier zeigte das schiere Phantasma zu schreiben, das nur durch Reprisen und Varianten und Blödsinn wie «Die Frau hält vom Arbeiten ab» funktionieren konnte. Was wiederum nahelegte, dass Trier selbst sich nur vorstellte, Filme zu machen wie Resnais (L’année dernière à Marienbad), Truffaut (Jules et Jim) und Godard (Le Mépris), bis sein zweiter Film ein Remake von Malle wurde. Und wenn Triers eigene Filme etwa ebenso wenig existierten wie die Texte von Philip und Erik? Wenn er die Frauen nur so fetischisieren wollte wie Godard und Truffaut? Und wenn sein bürgerlicher Moralismus gar nicht seiner war, sondern der von Malle, auf den er gestossen war?

Jetzt, bei Louder Than Bombs, wird diese Interpretation hinfällig. Hier ist nun alles vom Bedürfnis bestimmt, «ernst» zu machen. Mit der Familie, der Frau und der Kunst sowie ihrer Moral. Was ernsthaft danebengeht. Erstens hat Trier also die Einzelgänger für eine richtige Familie aufgegeben, was ihm gar nicht guttut: Die Episoden der einzelnen Figuren halten so wenig zusammen wie in einem schwachen Film von Robert Altman.

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Zweitens stellt er, als wollte er etwas nachholen, eine Frau in den Mittelpunkt: eine Kriegsfotografin, gespielt von Isabelle Huppert. Aber die Fotografin ist tot; präsent wird sie nur durch Flashbacks. Die Frau bleibt also eskamotiert und nur als solche ein Leuchtturm der Moral der Männer, bleibt ebenso ausgegrenzt aus der Männerwelt wie all die anderen Frauen in Nebenrollen, die zur moralischen Erbauung der Männer verheizt werden. Das Problem ist, dass Trier durch die Flashbacks gegenwärtig macht, dass für ihn Frauen ausserhalb ihrer Funktion für Männer inexistent bleiben. Isabelle Huppert spielt folglich so gelangweilt, dass es selbst Isabelle Huppert unmöglich gewesen sein muss, diese Langeweile noch interessant zu machen.

Und drittens: Da es ernst werden soll, sind wir nicht länger im Phantasma ungeschriebener Texte oder nachgedrehter Filme. Die Literaturwissenschaftler und Schriftsteller der letzten Filme, die Blanchot, Tor Ulven und Rilke verehrten, haben einem Soziologen Platz gemacht, der seinem kleinen Bruder erklärt, seine Ego-Shooter-Videospiele seien eine «sehr einseitige Interpretation amerikanischer Militäreinsätze». Letzterer ist der einzig Schreibende hier. Zum ersten Mal hören wir den Text einer Figur von Trier. Es ist ernst, «authentisch»: ein Tagebuch. Auch sehen wir die Bilder der Fotografin: «ernste», moralisch wertvolle Bilder aus Krisengebieten (von Trier zusammengeklaubt von Agenturen wie Magnum oder VII). Leider sind diese Fotos viel realer als diejenige Realität, die Trier mit ihnen untermauern will.

Bleibt nur die Sache mit Norwegen, dem Trier gut und gerne entkommen ist.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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