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Shaun das schaf 01

Shaun The Sheep Movie

Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen setzt die Geschichte in Gang: «Have a Day Off» verheisst die Werbung an einem Autobus – genau das, was Schaf Shaun und seine Herde angesichts der immer gleichen Alltagsroutine auf dem Bauernhof brauchen. Also wird Wachhund Bitzer abgelenkt und der Bauer hypnotisiert.

Text: Frank Arnold / 11. Mär. 2015

Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen setzt die Geschichte in Gang: «Have a Day Off» verheisst die Werbung an einem Autobus – genau das, was Schaf Shaun und seine Herde angesichts der immer gleichen Alltagsroutine auf dem Bauernhof brauchen. Also wird Wachhund Bitzer abgelenkt und der Bauer hypnotisiert. Doch dann macht sich der Wohnwagen mit dem schlafenden Bauern selbständig und rollt in die grosse Stadt, wo der Bauer durch einen Schlag auf den Kopf sein Gedächtnis verliert – höchste Zeit für eine Rettungsmission.

Ein bewährtes Rezept bei der Transformation einer Fernsehserie in einen Kinofilm ist, die Figuren in eine neue Umgebung zu versetzen. Das funktionierte bei Mr. Bean, der für sein erstes Kinoabenteuer über den grossen Teich reiste, ebenso wie beim Versicherungsangestellten Stromberg, der im Kino sein Büro für einen Betriebsausflug verliess. Und es funktioniert auch bei Shaun. Dieses hatte seinen ersten Auftritt im dritten der Kurzfilme, die Nick Park mit dem Duo Wallace & Gromit gemacht hatte.
In A Close Shave (1995) war es noch als kleines Schäfchen Teil einer Herde, das allerdings schon damals hervorstach – durch seine Abenteuerlust ebenso wie durch seinen weissen Fellbesatz auf dem Kopf. «Die Figur war einfach sehr populär, alle wollten eine Shaun-Figur haben. Und sie sah einfach süss aus!», so Richard Starzak, einer der beiden Regisseure von Shaun The Sheep Movie. Starzak war dann derjenige bei Aardman, der Nick Parks Überlegung, ob man aus dieser Figur nicht den Protagonisten einer Fernsehsendung machen könnte, zur Serienreife entwickelte.

2007 wurde die erste Folge ausgestrahlt, bis heute sind 140 entstanden, in Deutschland sind sie in der sonntäglichen «Sendung mit der Maus» der ARD und auf Kika zu sehen. In insgesamt 170 Länder wurde die Serie verkauft. Shaun ermuntert seine Artgenossen immer wieder zu neuen Abenteuern und heckt Streiche aus, die vor allem zu Lasten des nicht sehr hellen Wachhundes Bitzer gehen, aber auch die Schweine oder den (namenlosen) Bauern im Visier haben. Eine Besonderheit der jeweils siebenminütigen Folgen ist die Tatsache, dass sie ganz ohne Dialoge auskommen. Kommunikation findet durch Gesten statt. Das macht die Universalität von Shaun aus und unterscheidet diese Figur von Wallace & Gromit, den etwas unbedarften, aber leidenschaftlichen Erfinder und seinen stoischen, so viel klügeren Hund. Die beiden und ihr Schöpfer Nick Park waren lange Zeit das Aushängeschild des Studios, inzwischen hat Shaun sie an Popularität überrundet. Das liegt zum einen an der Tatsache, dass Nick Park seine Geschöpfe zu kostbar waren und er sie rar machte (was wiederum auch seiner eigenen langsamen Arbeitsweise geschuldet ist), während Shaun gerade durch die Regelmässigkeit seines allwöchentlichen Erscheinens auf den Bildschirmen populär wurde. Zum anderen liegt es an der Betonung von Slapstick und dem überschaubaren Schauplatz eines Bauernhofs, was viel zugänglicher ist als die spleenigen Briten Wallace & Gromit, die in ihrem ersten Abenteuer auf den Mond flogen, weil ihnen der Käse ausgegangen war, es später mit einem räuberischen Pinguin, einem monströsen Hunderoboter, einem Riesenkaninchen (im Original schöner: Were-Rabbit) und einer Bäckermörderin zu tun bekamen.

Shaun das schaf 02

Shaun the Sheep Movie ist gradliniger als Chicken Run (2000), der erste abendfüllende Langfilm aus dem Hause Aardman, der das Erzählmuster von John Sturges’ The Great Escape auf einen Hühnerhof verlegte, oder als The Pirates! (2013), der disparate Zeitebenen zusammenbrachte und daraus eine höchst skurrile Geschichte bastelte.

Auch wenn dieser Film einfacher gestrickt ist als seine Vorläufer, nimmt ihm das nichts von seinem Charme. Das beginnt schon mit der Eingangsmontage, einer Art Familienalbum der Zeit, als der Bauer noch jung war und Musik liebte – wenn sie aus seinem Kassettendeck erschallte, tanzte er sogar dazu. Am Ende werden es die Klänge aus eben diesem alten Kassettendeck sein, die sein verschüttetes Erinnerungsvermögen wieder in Gang setzen. Und natürlich trägt auch die Technik zu diesem Charme bei: Wie die Wallace-&-Gromit-Filme, Chicken Run und The Pirates! ist auch dieser Film in der zeitaufwendigen und mit viel Handarbeit verbundenen Technik der Stop-Motion-Animation entstanden, die einst auch den Riesenaffen King Kong zum Leben erweckte.

Gegenüber der Fernsehserie entwickeln sich hier die Figuren weiter: Bitzer und Shaun werden zu Verbündeten. Bevor sie sich in der Zelle des Tierheims wiedertreffen, muss Bitzer allerdings im Krankenhaus, in das er sich – getarnt als Mediziner – geschlichen hat, um den hier liegenden Bauern sehen zu können, beinahe eine Operation durchführen, während sich Shaun und seine siebenköpfige Herde auf der Flucht vor einem ehrgeizigen Tierfänger in einem Oxfam-Laden als vier Zweibeiner, darunter zwei voluminöse Damen, ausstaffieren – eine Tarnung, die allerdings in einer präzise choreografierten Sequenz in einem noblen Restaurant auffliegt. Wie der Bauer, aus dem Krankenhaus geflüchtet, in einem Friseursalon einem prominenten Mitmenschen die Frisur zunächst scheinbar ruiniert, damit aber schliesslich eine neue Mode kreiert, durch die er selber zu einer Berühmtheit wird, das ist die dritte Schlüsselszene, in der sich der Detailreichtum des Films entfaltet. Der plötzliche Starruhm des Bauern wird dabei verknappt zu einer Montagesequenz, die sich über die culture of celebrity lustig macht und dabei einige augenzwinkernde Anspielungen, etwa auf den Graffitikünstler Banksy (der wie Aardman ebenfalls aus Bristol stammt) oder das Cover des Beatles-Albums «Abbey Road» macht, die dem erwachsenen Teil der Zuschauer gefallen dürften.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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